Polen: Banner in Bauernhänden

Marschmusik und Kinder - so präsentiert sich die Partei von Premier Kaczynski, um Nähe zur Landbevölkerung zu zeigen. Doch in Umfragen liegt die Opposition vor seiner PiS.

"Schande und Verrat!" Jaroslaw Kaczynski Bild: dpa

"Hast du schon mal den Premierminister gesehen?", fragt die siebenjährige Ania. Ernsthaft zieht sie die braune Weste glatt. "Wir müssen jetzt hier alle Uniform tragen in der Schule. Braun. Da sieht man den Dreck nicht so." Sie dreht sich um, rennt die Treppe der Zuschauertribüne hoch und ruft: "Von hier aus kann man den Premier am besten sehen!" Rund 100 Kinder wuseln in ihren weiß-braunen Schuluniformen durch die Sporthalle von Baboszewo. Dass sie gleich in einer Parteiveranstaltung strammstehen müssen, wissen sie nicht. Jaroslaw Kaczynski, der Regierungschef und Parteivorsitzende der Partei"Recht und Gerechtigkeit" (PiS), will kurz vor den Parlamentswahlen am kommenden Sonntag noch einmal zeigen, wie sehr verbunden er dem einfachen Volk ist. Baboszewo ist ein 2.000-Seelenort, 80 Kilometer von Warschau entfernt, kein typisches polnisches Dorf, aber ländlich genug, um hier den "Kongress des polnischen Dorfes" medienwirksam zu inszenieren. Kurz vor der Ankunft Kaczynskis hat sich die Sporthalle von Baboszewo in ein riesiges Fernsehstudio verwandelt, mit Dorfkulisse auf der Bühne, jungen Statisten und Requisiten für den Parteijubel.

Scheinwerfer flammen auf, eine Jugendkapelle in marineähnlichen Uniformen haut auf die Pauk: rumm-tata, rumm-tata. Jugendliche in bunten Trachten springen zur Marschmusik vor die Bühne, auf der gleich die Politiker reden werden. Hinter den ersten sieben Stuhlreihen ist ein hohes Podest aufgebaut. Dort suchen Kamerateams des polnischen Staatsfernsehens nach den besten Einstellungen. Die später hinter diesem Podest sitzenden Bauern und Landfrauen werden vom Geschehen auf der Bühne nichts mitbekommen. Aber das brauchen sie auch nicht. Baboszewo und seine Bauern sind nur Kulisse für das Wahlkampf-Medienspektakel der nationalkonservativen Regierungspartei. Vor den Bildschirmen in ganz Polen wartet ein Millionenpublikum. Der Intendant des polnischen Staatsfernsehens ist ein PiS-Mann und wird für die beste Sendezeit sorgen.

"Ich bin Marek Opiola. Falls Sie mich noch nicht kennen, ich kandidiere hier für die PiS", ruft ein junger Mann mit blonden Locken ins Publikum. "Bitte benutzen Sie recht häufig die PiS-Banner, die auf Ihren Stühlen liegen, und halten sie in die Höhe!" Hinter dem Rednerpult leuchtet ein gelbes Rapsfeld mit blühenden Apfelbäumen, einem blauen Himmel und Schäfchenwolken. Vor dieser Landkulisse proben junge Männer und Frauen das Geradesitzen, Aufstehen, Klatschen und Wiederhinsetzen. Der Frontmann in der Mitte muss sein Jackett ausziehen. Im weißen Hemd gibt er einen besseren Hintergrund ab.

Trommelwirbel und Marschmusik. "Mein Damen und Herren, ich begrüße in Baboszewo die vielen honorigen Gäste und vor allem unseren sehr verehrten Pfarrer", sagt Opiola und verbeugt sich vor einem Mann in der ersten Reihe. Die katholische Kirche ist also auch da. "Lassen Sie uns jetzt erheben und die Nationalhymne singen!" Etwas verunsichert stehen die Leute auf. Nationalhymne? Auf einer Wahlveranstaltung? Kaum einer der Bauern kann die Hymne singen. Aber immerhin: Die Kinder in ihren Uniformen stehen stramm und schmettern. "Marsch, marsch, Dabrowski" und "Noch ist Polen nicht verloren".

Der erste wichtige Redner steht auf der Bühne, Zdzislaw Podkanski, ein weißhaariger, leicht untersetzter, aber würdig aussehender älterer Herr. "Wir unterstützen die national-patriotische Politik des starken Staates. Wir sind gegen die Auflösung des polnischen Staates in einem europäischen Superstaat", ruft er ins Mikrofon. "Wir sind gegen die deutsche Vorherrschaft in der EU! Liberale und Kosmopoliten wollen unser Land verkaufen. Wir sind dagegen! Dagegen!" Im Publikum sitzen Einpeitscher. "Bravo!", rufen sie und feuern die Leute an: "Und jetzt! Das Banner hoch!" Auf der Bühne klatschen die jungen Leute. Nach einer Weile fällt das Publikum ein. Noch hat niemand so richtig begriffen, worum es diesem Podkanski eigentlich geht. Vor einem Jahr spaltete er die Bauernpartei PSL und gründete dann die nationalistische PSL-Piast. Diese Bauern-Vertreter kandidieren nun auf den Listen der bisherigen Regierungspartei PiS und machen Stimmung gegen die Mutterpartei, die angeblich vom rechten Weg der bäuerlichen Tradition und Gottesfurcht abgekommen sei.

Auf der Bühne steht schon der nächste Redner. Janusz Wojciechowski, auch er ein Abtrünniger der PSL. "Die Liberalen sind ein Unglück für das Dorf!", haut er in die gleiche Kerbe wie sein Vorredner. "Die Liberalen wollen eure Stimmen haben, denn sie wissen, dass die Bauern die Wahlen in Polen entscheiden." Die PSL habe den falschen Weg eingeschlagen und sich mit den Liberalen verbündet. "Eine Stimme für die PSL ist eine Stimme für die Liberalen." Im Publikum geben die Einpeitscher immer noch Anweisung: "Und hoch! Die Banner hoch!" Aber nicht alle machen mit. Ein älterer hagerer Mann nimmt das Plastikbanner, knickt es mit einigem Kraftaufwand zusammen und setzt sich demonstrativ drauf. Schweigend und mit unbewegtem Gesicht.

Plötzlich verstummt das Murmeln im Saal. Alle schauen zur Bühne. Dort steht vor dem leuchtend gelben Rapsfeld ein Mann, dessen Gesicht von einem dichten Vollbart beherrscht wird. Bogdan Pek ist als polnischer EU-Gegner ins Europäische Parlament eingezogen und versucht dort den Geist der Gemeinschaft zu zerstören. "Die deutschen Abgeordneten in der EU hassen uns, weil wir dafür sorgen, dass die polnischen Interessen berücksichtigt werden." Das Publikum hält nun ohne Anweisung die Banner hoch und ruft "Bravo!" Die Kinder aber beginnen zu nörgeln: "Wann kommt denn nun endlich der Premier?"

Nach zwei weiteren Rednern ist es so weit. Im Saal wird es dunkel. Dann ein Trommelwirbel. Der PiS-Werbespot flimmert über die Großbildschirme auf der Bühne. Zum Militärmarsch laufen Jaroslaw Kaczynski und seine sechs Bodyguards ein. Alle stehen auf. Der Premier schüttelt Bauernhände und verteilt ein paar Handküsse. "Bravo!", rufen die Leute. Die Kameras schwenken über die Jubelszene.

"Die PSL ist verstrickt in die Machenschaften des alten Systems", kommt der Regierungschef und PiS-Parteivorsitzende gleich zur Sache. "Die Liberalen wollen mit der PSL ein neues Bündnis schmieden, das Korruption und Machtmissbrauch schützen soll. Sie zittern vor unserem Zentralen Antikorruptions-Büro und den Staatsanwälten." Die jungen Leute hinter Kacznyski klatschen frenetisch Beifall. "Bravo, bravo!", ruft das Publikum. Wie ein Meer gehen die PiS-Banner in die Höhe. "Es besteht die große Gefahr, dass diese Leute, obwohl sie in der Minderheit sind, Einfluss in den Medien gewinnen." Im Ausland machten sie Polen schlecht. empörte sich Kaczynski. Sie würden das Land als Diktatur bezeichnen, als geistige Wüstenei und wirtschaftlich am Rande einer Katastrophe stehend. "Das ist die schändlichste Tat der Liberalen, diese internationale Propaganda in der ausländischen Presse. Das ist Verrat!" Das Publikum rast: "Bravo, bravo!", trampelt esmit den Füßen und streckt die PiS-Banner in die Höhe. "Schande und Verrat!", wiederholt Kaczynski noch einmal. "Aber das polnische Dorf und die polnische Stadt lassen sich nicht betrügen! Wir lassen das nicht zu! Das Volk der Polen hat eine große Zukunft vor sich!" Trommelwirbel.

Die Kameras schwenken über die rasende Menge. Wenig später sehen Millionen Fernsehzuschauer, dass das polnische Dorf aufseiten der PiS steht. Der alte Mann steht auf, wirft das verknickte PiS-Banner unter seinen Stuhl. "Wahrscheinlich wählen die jetzt wirklich alle PiS", sagt er resigniert. "Aber hat der Premier irgendetwas von unseren Problemen hier erzählt? Die Bauern werden immer wieder für dumm verkauft. Seit Jahren." Die kleine Ania aber ist glücklich. Stolz hält sie ein Plakat mit einem wogenden Getreidefeld in die Höhe. "Das polnische Dorf wählt PiS" steht drauf. "Und hier", sagt Anja, "hier ist die Unterschrift des Premiers. Da werden mich jetzt alle beneiden."

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