Polizei drangsaliert Wald­be­set­ze­r*in­nen: „Übergriffig und willkürlich“

In ihrem Camp gegen die Verlängerung der A33 erleben die Ak­ti­vis­t*in­nen Polizei-Schikane. Dabei ist das Camp als zulässige Versammlung eingestuft.

Ein Baumhaus, das durch Seile und Pflöcke gehalten wird

Ausgefeilte Technik: In luftiger Höhe werden die Baumhäuser durch Seile und Holzpflöcke gehalten Foto: Lars Hermes

OSNABRÜCK taz | Sonnenstrahlen kämpfen sich durch das dichte Blätterdach, bilden am Waldboden ein Muster aus Licht und Schatten. In den Baumkronen hängen zusammengeschusterte Holzbauten, die im Wind knirschen und die Geräusche des Waldes übertönen. Hier, im Wald im Wiehengebirge bei Osnabrück, haben Ak­ti­vis­t*In­nen Baumhäuser und Holzplattformen gebaut, von denen aus sie den Wald vor drohender Rodung schützen wollen. Genau hier, wo Transparente und Schilder mit Parolen das selbstgebaute Lager schmücken, soll ein Autobahnkreuz entstehen.

Seit nun einem Jahr besetzen die Ak­ti­vis­t*In­nen das abgelegene Waldstück nahe Osnabrück schon. Sie protestieren gegen den geplanten neun Kilometer langen Lückenschluss A33-Nord. Er soll die Autobahn 33 von Belm, das liegt nordöstlich von Osnabrück, bis zur Autobahn 1 in Wallenhorst, nördlich der Großstadt, verlängern.

Das Bundesverkehrsministerium legte sich bereits 2012 auf diesen Trassenverlauf fest. Etwa 52 Hektar sind für den Bau des Teilstücks vorgesehen. Der geplante Baubeginn verzögert sich jedoch immer wieder.

Wo im Juli vergangenen Jahres zuerst eine einzelne Holzplattform in den Bäumen hing, erstreckt sich mittlerweile ein perfekt ausgebautes Lager: mehrere Baumhäuser in luftiger Höhe, Barrikaden auf dem Forstweg, der als Zufahrt fungiert, und in der Mitte des Camps ein großer Holzbau auf Stämmen, mehrere Meter hoch. Ihn nennen die Ak­ti­vis­t*In­nen „Wohnzimmer“, hier befindet sich die Gemeinschaftsküche. So kommen Polizei und Mäuse nicht an die Vorräte. Gegessen wird wiederum unten, wo verschiedene Sitzmöglichkeiten zum Ausruhen einladen. Umgeben ist das Lager von meterhohen Absperrungen samt einer Tür, die wie eine kleine Zugbrücke hochgeholt werden kann.

Menschen mit schwarzen Kapuzenpullovern sitzen auf einem Hang und blicken auf eine Autobahn.

Das Camp liegt am Rande der A1, die mit der A33 verbunden werden soll Foto: Lars Hermes

„Die Autobahntrasse der A33-Nord soll direkt durch ein FFH-Gebiet und entlang eines Wasserschutzgebietes gerodet werden“, erklärt Jonas, der eines der Baumhäuser bewohnt und eigentlich anders heißt.

FFH steht für Fauna-Flora-Habitat: Der Wald beherberge Feuchtgebiete, in denen Fledermäuse und andere bedrohte Tierarten leben, sagt Jonas. Schon jetzt sei der Wald durch Forstwirtschaft und einen Steinbruch sehr zerschnitten. Es gibt Lücken, außerdem viel Monokulturwald. „Hier eine Autobahn durch zu bauen, anstatt dem Wald zu helfen, ist purer Wahnsinn.“

Neben den ökologischen Folgen kritisieren die Ak­ti­vis­t*In­nen auch die sozialen Auswirkungen des Ausbaus. Die Autobahn würde mitten durch kleine Dörfer führen, Wohnhäuser würden abgerissen werden und Bäue­r*In­nen müssten ihre Felder aufgeben und auf neue Flächen umziehen. Dies hätte schwerwiegende Folgen für die Menschen, die seit Jahrzehnten in der Region leben.

Jonas ist einer von mehreren Aktivisten*Innen, die dauerhaft im Camp wohnen. Am Wochenende kommen auch Un­ter­stüt­ze­r*In­nen aus der Umgebung und aus der Ferne dazu, um beim Ausbau des Camps zu helfen. Material und Verpflegung dafür spenden lokale Unternehmen und Privatpersonen.

„Als Besetzung kämpfen wir für eine klimagerechte und hie­rarchiefreie Zukunft“, so Jonas. Friedliche Demonstrationen und Aktionen im legalen Rahmen reichen seiner Meinung nach nicht mehr aus, um den erforderlichen Druck auf Regierungen und Konzerne auszuüben. „Wir reihen uns mit der Besetzung in die langjährige Tradition des Kampfes gegen den Autobahnausbau in der Region ein.“

Dieser Kampf währt schon lange: Während der 1990er- und 2000er-Jahre kam es in dem Gebiet entlang der geplanten A33-Trasse zu Demonstrationen und mehreren Besetzungen durch selbstgebaute Hüttendörfer. Über einen langen Zeitraum hinweg kam es bei diesen zu Konfrontationen zwischen den sogenannten Hüttendörfler*Innen, der Polizei und den Autobahnbauern, da die Protestierenden immer wieder die geplante Trasse und Baustellen blockierten. Doch auch die oft ausgerückte Polizei hielt die Ak­ti­vis­t*In­nen damals nicht davon ab, über Jahre hinweg dort zu bleiben.

Jonas (Name geändert), Aktivist

„Hier eine Autobahn durch zu bauen, anstatt dem Wald zu helfen, ist purer Wahnsinn“

„Die Möglichkeit eines freien und selbstbestimmten Lebens in den selbst erbauten Hütten aus Holz übte eine enorme Anziehungskraft aus“, erzählt Jo­shua, der auch anders heißt und die Hüttendörfer miterlebte und sich an diesen beteiligte.

Es habe Menschen in die Dörfer gezogen, die nicht nur gegen die Umweltzerstörung durch den Autobahnbau protestierten, sondern auch ihren Widerstand gegen die materialistische Gesellschaft zum Ausdruck bringen wollten. „Nur wenige Dörfer bestanden über einen längeren Zeitraum. Nach Räumungen wurde jedoch einfach neu besetzt oder sich noch bestehenden Besetzungen angeschlossen“, erzählt Joshua weiter.

Auch seit Beginn der Besetzung im vergangenen Jahr fährt die Polizei Niedersachsen einen harten Kurs. So gibt es immer wieder Bodenräumungen und regelmäßige Personenkontrollen auf den Wegen zur Besetzung.

Am 24. Mai, parallel zur bundesweiten Großrazzia gegen die Letzte Generation, wurde der bislang drastischste Einsatz ausgeführt: Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das Amtsgericht Osnabrück die Durchsuchungen aller Strukturen zum Auffinden von Beweismitteln und Diebesgut an. Dabei stellte die Polizei die Personalien aller Menschen im Wald fest.

Anlass für die Durchsuchung, so schreibt es die Polizei, sollen Straftaten im Umfeld des Camps gewesen sein, bei denen sich der Verdacht gegen die Camp­be­woh­ne­r*In­nen gerichtet habe. Unter anderem sollen Jagdhochsitze in der Nähe des Camps beschädigt oder vollständig zerstört, Bäume unberechtigterweise gefällt und Brandstiftung an einem Radlader begangen worden sein. Ziel der Maßnahme sei es gewesen, Be­woh­ne­r*In­nen und mögliche Beschuldigte zu identifizieren. Neben den Kräften der Polizeiinspektion Osnabrück waren unter anderem die Bereitschaftspolizei sowie ein Höheninterventionsteam an dem Einsatz beteiligt.

Solidarität und Unterstützung vermisst

„Die eskalierende Razzia hat uns natürlich getroffen, von dieser lassen wir uns jedoch nicht einschüchtern“, erklärt Luisa, die den Einsatz selbst mitbekommen hat. Auch sie möchte ihren richtigen Namen nicht nennen.

Was einen stärkeren Eindruck hinterlassen habe als die Repression, sei jedoch das Fehlen von Solidarität und Unterstützung. „Während die Letzte Generation breite Aufmerksamkeit und Solidarität erfuhr, blieb die Unterstützung für unsere Besetzung nahezu komplett aus“, sagt ­Luisa. Dabei könne Solidarität kleineren Waldbesetzungen enorm helfen, sich gegen Repressionen zu wehren. „Durch Bezugnahmen könnte man zeigen, dass jeder Polizeieinsatz einen Preis hat, die Cops sich nicht alles erlauben können und wir uns gemeinsam gegen ihre Repressionen wehren.“

Immer wieder gibt es Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Campbewohner*Innen. So berichten die Ak­ti­vis­t*In­nen von Übergriffen und Willkür der Staatsgewalt, während die Polizei ihre Einsätze mit Ordnungswidrigkeiten und Strafanzeigen begründet.

„Die Cops kommen eigentlich fast wöchentlich zum Camp, um es sich anzuschauen, zu fotografieren und oftmals auch, um die Bodenstrukturen zu räumen“, sagt Luisa. Dabei komme es auch vor, dass Personen für Kontrollen der Personalien mit auf die Wache genommen werden. „Während der Bodenräumungen bedienen sich die Cops auch gerne mal an unserem Werkzeug.“

Regelmäßige Besuche der Polizei

Im Juli vergangenen Jahres hat die Polizei die Besetzung als zulässige Versammlung eingestuft und betont, dass eine Auflösung nur im Falle einer Gefahr für die Allgemeinheit oder der Missachtung beschränkender Verfügungen erfolgen würde. Während die Polizei weiterhin regelmäßige Besuche im Camp abstattet, bleibt die Situation vor Ort also wohl vorerst unverändert.

Trotz der Konflikte und der polizeilichen Gegenmaßnahmen halten die Ak­ti­vis­t*In­nen an ihrer Besetzung fest. Sie organisieren regelmäßig Bürgerdialoge, Veranstaltungen und Kletterworkshops, um ihre Bewegung und den Widerstand gegen den Ausbau der A33-Nord zu stärken.

Es ist noch nicht entschieden, wann der Bau der umstrittenen Autobahn beginnen wird. Derzeit läuft das Planfeststellungsverfahren, das Ende 2020 gestartet ist. Anschließend besteht die Möglichkeit, dass Geg­ne­r*In­nen der Autobahn den Plan vor dem Bundesverwaltungsgericht anfechten.

Selbst wenn es keine Klagen geben sollte, müsste noch mindestens ein Jahr in die weitere Planung investiert werden. Anschließend würde es mindestens sechs Jahre dauern, um die neun Kilometer lange Lücke der Autobahn zwischen der A33 und der A1 zu schließen. Es ist davon auszugehen, dass die Fertigstellung der Autobahn frühestens im Jahr 2030 erfolgt.

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