Polizeieinsatz gegen 96-Fans: Aufmarsch in Achim

Die Polizei kesselt 434 Hannover-Fans auf einem Bahnhof in Niedersachsen ein und spricht von Randale. Zeugen sehen das anders und kritisieren die Beamten.

Ankunft in Hannover: Polizeibeamte nehmen die in Achim eingekesselten 96-Fans in Empfang. Bild: dpa

Martin Kind war richtig sauer. Der Präsident von Hannover 96 musste am Freitagabend zunächst mit ansehen, wie sein Klub bei Werder Bremen unterlag. Später erreichte ihn die Nachricht, dass Anhänger der 96er auf dem Weg nach Bremen auf dem Bahnhof Achim randaliert hätten. Einen Tag später äußerte Kind sich im NDR: „Wir müssen überlegen, ob wir in der neuen Saison noch Karten an die Ultras verkaufen.“ Kind lobte die Polizei für ihr „konsequentes“ Handeln.

Gehandelt hatten die Beamten der Bundespolizei aus Bremen und Hannover in der Tat: 434 Personen wurden bis in die frühen Morgenstunden in der niedersächsischen Landeshauptstadt erfasst. Ein Hubschrauber und drei Hundertschaften waren im Einsatz.

Laut der Behörden müssen die „Randalierer“ jetzt mit Strafanzeigen wegen des Verdachtes auf gemeinschaftlich begangenen Landfriedensbruch, Missbrauch von Nothilfemitteln, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Sachbeschädigung rechnen.

In der Bewertung dessen, was im Landkreis Verden passiert ist, waren sich Polizei und norddeutsche Presse einig. „Hannover-Fans randalieren auf Achimer Bahnhof, titelte etwa der Weser-Kurier. Dagegen wehrt sich die Fanhilfe Hannover. Sie zeigt sich in einer Stellungnahme „erschrocken über die Falschdarstellung in den Pressemitteilungen der Bundespolizei“.

Verbotene Fanmärsche

Was war los in Achim? Am Freitagnachmittag waren etwa 700 Fans aus Hannover, unter ihnen etwa 300 Ultras, mit dem Regionalexpress 4424 Richtung Bremen unterwegs. Um 18 Uhr stiegen in Achim etwa 150 Ultras aus, um einen Anschlusszug in Richtung Bremen-Sebaldsbrück zu nehmen. Von dort aus ist das Weserstadion fußläufig zu erreichen.

Den vorgesehenen Anreiseweg, der in Bremen vom Hauptbahnhof per Shuttlebus organisiert ist, wollte man verlassen und damit eine Verfügung der Hansestadt umgehen, die Fanmärsche in Richtung Stadion verbietet. Für Florian Meyer von der Fanhilfe Hannover war das eine „spontane Aktion“, während der Bremer Polizeisprecher Holger Jureczko von einer „gezielten Aktion“ spricht. „Für eine Auswärtsfahrt waren die Leute eher unterdurchschnittlich alkoholisiert und entspannt unterwegs“, erinnert sich Meyer.

Der Anschlusszug kam nicht, obwohl er im Bahnfahrplan steht. Stattdessen rückte Verstärkung für die vorhandenen Beamten an. Die Fans wurden eingekesselt, ein Polizeihubschrauber begann über Achim zu kreisen. „Es ging darum zu verhindern, dass die Fans ins Bremer Stadtgebiet einsickern“, sagt Polizeisprecher Jureczko. Das Aufeinandertreffen verfeindeter Fangruppen sollte verhindert werden.

Die Fans wurden unruhig, blieben aber friedlich. Schließlich wurden zwei Böller gezündet. Florian Meyer bestätigt das, nicht aber das bengalische Feuer, von dem in der Polizeimeldung die Rede ist. Weil im Kessel keine Möglichkeit bestand, zur Toilette zu gehen, wurde vom Bahnsteig gepinkelt. Laut Polizei waren einige Fans auf den Gleisen unterwegs – Grund für die Vollsperrung der Strecke. Randale?

Körperliche Auseinandersetzungen

Kurz nach 20 Uhr traf ein leerer Regionalexpress ein, der die Fans zurück nach Hannover transportieren sollte. Ein Großteil der 96-Fans wanderte in den doppelstöckigen Zug. Wer sich weigerte, wurde in die bereits überfüllten Eingangsbereiche geschoben. Es kam zu körperlichen Auseinandersetzungen. Begann nun die Randale?

Hermann Kadel, der in der Nähe des Bahnhofs wohnt, beobachtete das Geschehen: Der Einstiegsbereich des Zuges „war voll wie eine Sardinenbüchse, da ging keiner mehr rein“. Weil gerempelt und geschoben wurde, habe im Türbereich ein schmächtiger, 1,70 großer Jugendlicher das Gleichgewicht verloren. „Drei Beamte haben den rausgezogen und ihm die Arme auf den Rücken gerissen. Dann ist von der Seite ein vierter Beamter dazugekommen und hat mit beiden Fäusten auf den Jungen eingeschlagen“, sagt der Augenzeuge.

Wenn irgendwo eine Zugtür aufgegangen sei, hätten die Beamten wahllos auf die Personen in die Türöffnungen eingeprügelt. In der Polizeimitteilung ist vom „kurzzeitigen Schlagstockeinsatz“ die Rede. Der vom Polizeiverhalten schockierte Hermann Kadel überlegt nun, Anzeige zu erstatten.

Bis 3 Uhr morgens waren Polizeibeamte in Hannover damit beschäftigt, die Personalien der Fans aus dem Zug von Achim aufzunehmen. Danach wurde die Pressemitteilung über die Fanrandale verfasst.

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