Polizeigewalt in Favelas von São Paulo: Brasiliens blutiges Dauerthema

Polizisten töten bei einer Großoperation in den Favelas von São Paulo mindestens zehn Menschen. Der rechte Gouverneur verteidigt den Einsatz.

Festnahme einer Person durch die Polizei.

Großangelegte Polizeioperation gegen Drogendealer in São Paulo am 30. Juli 2023 Foto: Oslaim Brito/The News 2/imago

BERLIN taz | „Extrem zufrieden“ sei er, gab São Paulos rechter Gouverneur Tarcísio de Freitas am Montag vor Jour­na­lis­t*in­nen zu Protokoll. Was der Gefolgsmann von Ex-Präsident Jair Bolsonaro in den höchsten Tönen lobt, halten andere für ein Massaker. Es geht um einen Polizeieinsatz in der Küstenstadt Guarujá, bei dem mindestens zehn Menschen getötet wurden. Der Ombudsmann der Polizei von São Paulo spricht von mindestens 19 Opfern.

Vergangenen Donnerstag war ein Polizist der Spezialeinheit Rota von Drogendealern erschossen worden. Ab Freitag drangen daraufhin Polizeieinheiten in der „Operation Schild“ in Favelas der Region ein. Sie verhafteten den mutmaßlichen Schützen, hinterließen aber auch ein Blutbad.

Laut der Polizei seien sie zuvor beschossen worden und hätten, so der Sekretär für Öffentliche Sicherheit São Paulos „im gleichen Maße“ reagiert. Be­woh­ne­r*in­nen berichten hingegen von schweren Menschenrechtsverletzungen. Vermummte Polizisten hätten Häuser gestürmt und einige der Opfer regelrecht hingerichtet.

Mindestens ein Mann sei gefoltert worden. „Ich hörte seine Schreie und seine verzweifelten Bitten um Hilfe. Er war Arbeiter und hatte keine Waffe“, sagte eine Zeugin dem Nachrichtenportal UOL. Die Polizisten sollen zudem gedroht haben, mindestens 60 Menschen zu ermorden und alle männlichen Be­woh­ne­r mit Vorstrafen und Tattoos zu töten. In den sozialen Medien bejubeln Polizisten die Einsätze.

Wenige Reformimpulse von der Lula-Regierung

Racheakte durch Polizisten sind keine Seltenheit in Brasilien. Im Mai 2021 töteten Polizisten 28 Menschen in der Favela Jacarezinho in Rio de Janeiro nach dem Tod eines Kollegen. Mehrere der Opfer sollen hingerichtet worden sein.

Gouverneur Freitas kündigte weitere Einsätze in den Favelas an. Er scheint, wie sein Vorbild Bolsonaro, mit harter Hand regieren zu wollen. Freitas will auch einen Vorschlag von Hardlinern der Waffenindustrie prüfen, der Kameras an Polizeiuniformen wieder abschaffen soll. Diese waren im Bundesstaat São Paulo eingeführt worden, um Verstöße zu dokumentieren. Danach war tatsächlich ein Rückgang der Polizeigewalt zu beobachten gewesen.

Präsident Luiz Inácio „Lula“ da Silva hat sich bisher noch nicht zu der Gewalt in Guarujá geäußert. In seiner Regierungserklärung versprach Lula zwar, Polizeigewalt bekämpfen zu wollen, konkrete Ansätze aber gibt es wenige.

Das liegt zum einen daran, dass die Linke den Sicherheitsdiskurs stiefmütterlich behandelt und ihn rechten Kräften überlassen hat. Außerdem hat Lula keine Mehrheit im Parlament, seine Koalition ist fragil. Der Spielraum für grundlegendere Reformen wie eine Abschaffung der Militärpolizei, eine Entkriminalisierung von Drogen oder ein Stopp der Masseneinkerkerung dürfte derzeit klein sein.

Die Regierung hat aber auch wenig Handhabe, weil Sicherheitspolitik in Brasilien Ländersache ist – und in vielen Bundesstaaten regieren rechte Law-and-Order-Politiker. Doch auch dort, wo Lulas Partei im Chefsessel sitzt, sieht es nicht unbedingt besser aus.

Insbesondere der nordöstliche Bundesstaat Bahia, eine Hochburg der Arbeiterpartei PT, hat sich zu einem Hotspot der Gewalt entwickelt. Allein am letzten Wochenende starben dort 15 Menschen bei Polizeieinsätzen. Der aktuelle Gouverneur verteidigte mehrfach Polizeioperationen, und der ehemalige Gouverneur Rui Costa, unter dem der Bundesstaat einen Anstieg der tödlichen Polizeigewalt von 313 Prozent erlebte, ist nun Lulas Kabinettschef.

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