Polizisten können Systemfehler sein: Moral in einer unmoralischen Welt

Polizisten sind auch nur Menschen. Manchmal kann sie das zu Schwachstellen in immer unmenschlicheren Systemen machen.

Der Schauspieler Horst Krause steht am Donnerstag (15.09.2011) in Lehde am Set des Polizeirufes 110 "Die Gurkenkönigin".

Es soll sie geben, die Polizisten mit Herz Foto: dpa | Bernd Settnik

BERLIN taz | Im Zweizwerge-Verlag Berlin erschien vor einiger Zeit die Autobiografie eines Polizisten. Er las auf der Wache täglich die taz – um seine B.Z.- und Bild lesenden Kollegen zu provozieren, dann wurde er Kontaktbereichsbeamter (KOB) im Wedding, wobei er hoffte, aus der Bevölkerung heiße Tipps für irgendwelche kriminellen Handlungen zu bekommen, er wurde aber geradezu überhäuft von Denunziationen, was er zunächst sehr schätzte, aber dann schnell merkte, dass an all diesen Anschwärzungen nichts dran war.

Enttäuscht gab er seinen KOB-Job auf – und wurde Personenschützer bei Willy Brandt, den er sehr schätzte und vor allem davor schützte, dass er als Regierender Bürgermeister besoffen gemacht wurde. Jedes Mal, wenn man „Cognac-Willy“ auf einer Versammlung von SPD-Genossen abfüllte, ging er nach einiger Zeit zu ihm und sagte laut: „Herr Brandt, der Wagen ist vorgefahren.“ Obwohl der die ganze Zeit vor der Tür stand. Aber Willy Brandt verstand, sagte „Letzte Runde“ und verschwand mit ihm.

Die US-Wissenschaftlerin Shoshana Zuboff beschreibt das, was auf uns zukommt – wobei sie zuvörderst an die elektronische Überwachungstechniken denkt, die ständig vervollkommnet werden. So besitzen die Ehemänner in Saudi-Arabien zum Beispiel ein Smartphone, das Alarm gibt, wenn eine ihrer Ehefrauen sich dem Flughafen nähert.

Polizisten können Sand im Getriebe sein

Letzten Endes braucht aber auch die totale Überwachung Staatsdiener, die handfest eingreifen, also Polizisten, die den Überwachten oder Verdächtigen dingfest machen, also festnehmen.

Und das ist die Schwachstelle aller Systeme. Der jüdische Schriftsteller und spätere Rundfunkredakteur Valentin Senger überlebte mit seiner Familie, weil ein Polizist in der Meldestelle den Eintrag „mosaischer Glaube“ einfach löschte. Wer das heute angibt, der muss nur noch „Kultussteuern“ zahlen.

Am souveränsten war unser Dorfpolizist: Wenn er einen Bauernsohn zur Musterung für die Bundeswehr melden musste, ging er erst zu dessen Vater. Wenn der sagte, er bräuchte seinen Sohn unbedingt auf dem Hof, dann meldete er ihn nicht. Wenn der Abgabetermin für das Dieselrückzahlungsformular nahte, ging er zu den Bauern und füllte sie mit ihnen aus.

Er besuchte regelmäßig meinen Vater, der für ihn einen Schnaps bereithielt, irgendwann zückte er sein Notizbuch und sagte: „Schorse, kann ich dir mal mein neues Gedicht vorlesen?! Einmal druckste er herum: „Was Unangenehmes diesmal, jemand hat dich angezeigt, weil du dein Haus schwarz gebaut hast.“ Mit Hilfe des Dorfpolizisten kam mein Vater aber glimpflich ­davon.

Dem unmenschlichen System entkommen

Mein bayerischer Halbbruder lud mich einmal auf ein Dorffest ein, wo ausschließlich „Maß Bier“ ausgeschenkt wurde (in 1,069-Liter-Gläsern). Ich sagte, dass ich noch fahren müsse, er meinte daraufhin: „Bis zu drei Maß darfst du hier trinken, da sagen die Polizisten nichts.“ Auch im bayerischen Bischofsheim wurde mir in einer Kneipe gesagt: „Keine Gefahr, die Polizei hält dich nicht an, nur wenn oben im Walddorf die Bösen Onkelz spielen, werden ausnahmslos alle kontrolliert.“

Am seltsamsten war ein Grenzpolizist am Grenzübergang Helmstedt/Marienborn. Gewöhnlich fragten die Grepos, ob man Waffen oder Funkgeräte dabeihatte, er fragte jedoch den Fahrer: „Was ist denn das, es riecht so komisch?“ Wir antworteten: „Haschisch“. „Und wie wirkt das?“, wollte er wissen. Es entspann sich daraufhin ein längeres Informationsgespräch. Als alles gesagt war, schenkten wir ihm ein Stück Haschisch.

Irgendwann, als wir wieder mal nach Westberlin zurückfuhren, hatte „unser“ Grepo erneut Dienst. Er grüßte uns wie alte Bekannte – und wir gaben ihm erneut ein Stück. Dann fragte er, was da auf dem Aschenbecher läge. Eine Purpfeife für Haschisch, antworteten wir und reichten sie ihm. Er besah sie sich so genau, dass wir sie ihm schließlich schenkten. Als ich das einer DDR-Dissidentin erzählte, war sie entsetzt, wie unmoralisch wir uns gegenüber der DDR-Staatsgewalt verhalten hatten. Dabei waren wir hocherfreut gewesen, dass einer von den „Organen“ sich so menschlich verhalten hatte.

Das mögen alles Kleinigkeiten sein, aber sie sind wichtig, um den immer unmenschlicheren Systemen zu entkommen.

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geb. 1947, arbeitet für die taz seit 1980, Regionalrecherchen, ostdeutsche Wirtschaft, seit 1988 kulturkritischer Kolumnist auf den Berliner Lokalseiten, ab 2002 Naturkritik.

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