Post-Black-Metal : Die tote Haut des Klischees abstreifen

US-Bands wie Liturgy erneuern Black Metal musikalisch. Sie stehen auch für die Abkehr vom düsteren Kirchenanzünder-Image, das die skandinavischen Erfinder des Genres pflegten.

Gar nicht düster, und sie zerfallen im Sonnenlicht auch nicht zu Staub: Die Jungs von Liturgy. Bild: jason nocito

Kurz nach dem letzten Song des Abends steht ein ganz in schwarz gekleideter Mann vor dem Levee Club am Hackeschen Markt in Berlin-Mitte und zündet sich eine Zigarette an. Dann fasst er das Dargebotene aus seiner Sicht zusammen: "Das war doch Kinderkacke. Null Show. Keine Gefahr. Die Amis könnens nicht."

Gemeint sind Liturgy aus New York, die kurz zuvor aufgetreten sind. Sie bilden die Speerspitze der neuen US-Black-Metal-Szene. Ihr Sound ist roh, manchmal bestialisch laut. Eckpunkte sind monoton-sägende "dagga-dagga" Gitarrenriffs, Schlagzeugstakkato - natürlich spielt der Drummer eine Doublebassdrum - und das Gegrunze des Sängers, weit jenseits von Schmirgelpapiergeräuschen angesiedelt. Selbst unter Metal-Hardlinern fallen im Zusammenhang mit Liturgy schon mal Worte wie "Krach" oder "unhörbar".

Anziehungskraft bezog Black, das Esoterischste aller Metal-Subgenres jedoch nie ausschließlich aus seiner Musikalität. Sein Reiz lag in all den bei Satanisten beliebten umgedrehten Kreuzen und beschworenen Dämonen. Black Metal spielte mit der Aura des Bösen.

Durchgeknallte Nihilisten

Als das Genre Ende der Achtziger Jahre in Skandinavien entstand, waren die Mitglieder der meisten Bands tatsächlich Satanisten oder Agnostiker. Sie sehnten die vollständige Zerstörung des Christentums herbei, dessen Missionare, aus ihrer Sicht, Skandinavien einst seiner alten nordischen Kultur beraubt hatte. Für die moderne Gesellschaft mit ihrem hedonistischen Lebensstil empfanden skandinavische Black-Metaller nur Verachtung. Diese zutiefst misanthropische Einstellung führte tatsächlich zu Gewalt. Gräber wurden geschändet, Kirchen wurden angezündet, sogar vor Mord schreckten einzelne Musiker nicht zurück. Der rechtsradikale Sänger der norwegischen Band Burzum Varg Vikernes tötete einen ehemaligen Bandkollegen mit 23 Messerstichen und prahlte damit, jahrhundertealte Stabkirchen angezündet zu haben.

So hatte Black Metal Ende der Neunziger den Ruf weg, ein Genre voller durchgeknallter Nihilisten zu sein, die den "unheiligen Krieg" predigten. Um keine andere Musikrichtung ranken sich ähnlich viele Gruselgeschichten. So nutzte die Band Mayhem den Selbstmord ihres Sängers als Idee zur Coverillustration eines Bootlegs. Manche Black-Metaller verstümmelten sich angeblich auf der Bühne mit Fleischermessern. Und kaum eine Band, die nicht in "Corpsepaint" auftrat, der schwarz-weißen Leichenschminke, die die Musiker wie Zombies aussehen lässt.

Da verwundert es nicht, dass manche Zuschauer enttäuscht zurückblieben, als Liturgy im Frühjahr ihre erste Europatour absolvierten. Denn die Amis stellten keine blutigen Schweinsköpfe auf die Bühne. Die vier Musiker, alle Mitte 20, treten immer in normalen Straßenklamotten auf. Ungeschminkt. Man hätte sie auch für eine Indie-Band halten können. Ihr Interesse gilt einzig der Musik, nicht der Show.

"Die tote Haut der Klischees muss entfernt werden, um die lebende Seele des Black Metal neu zu erforschen", sagt Liturgy-Sänger Hunter Hunt-Hendrix, der Philosophie an der New Yorker Columbia University studiert. Hunt-Hendrix hat Liturgy 2005 gegründet. Seiner Band geht es zurzeit prächtig. Die Musikpresse überschlägt sich förmlich mit Elogen. Ihr Label Thrilljockey nennt die Musik der New Yorker bereits Post Black Metal. In der Tat haben Liturgy das Genre ein Stück verändert und damit massentauglich gemacht. Hunt-Hendrix hat dazu ein zwölfseitiges Essay mit dem Titel "Transcendental Black Metal" geschrieben. Es beschreibt die Neuerfindung einer verfemten Musikrichtung in vier Abschnitten.

Das Leben bejahen

"Lange Zeit stand der amerikanische Black Metal im Schatten des skandinavischen", schreibt Hunt-Hendrix. Doch damit sei es nun vorbei. Die Zukunft der Musikrichtung lege nicht weiter in rechtsradikalem Hass und Misanthropie. Stattdessen beschreibt er eine Vision frei von nihilistischer Ideologie, da diese nur Stillstand bedeuten könne. Seine Form von Black Metal bejaht das Leben und versteckt sich nicht hinter "Kostümen oder Esoterik". Und noch entscheidender: Für Hunter Hunt-Hendrix sind das keine leeren Worthülsen, er versucht seine Gedanken auch musikalisch zu verankern.

Einer der Kernbestandteile des Black Metal war bislang sein "Blastbeat". Ultraschnelle, immergleiche Attacken auf der Double-Basstrommel, die wie ein pyroklastischer Strom durch die Landschaft donnerten. Liturgy haben den "Blastbeat" nun zum "Burstbeat" weiterentwickelt. Auf ihrem neuen Album "Aesthetica" spielt Drummer Greg Fox zwar größtenteils auch mit unglaublichem Tempo, aber seine Beats atmen. Sie ebben auf und ab, repräsentieren dabei den Kreislaufs des Lebens. Die Band lebt von dieser Dynamik. Fox variiert sein Spiel alle paar Sekunden, rhythmisch meist hochkomplex. Liturgy legen darüber Gitarrenriffs, deren Hymnenhaftigkeit man anmerkt, dass Hunter Hunt-Hendrix sich für experimentelle Streicherwerke des 20. Jahrhunderts interessiert, wie die des Italieners Giacinto Scelsi. Zwischen den Songs stehen experimentelle Gesänge, die zwischen eigentümlich und großartig changieren. "Aesthetica" ist definitiv eine der sonderbarsten Alben des Jahres.

Am Lagerfeuer

Doch all das ändert nichts daran, dass Liturgy allein auf weiter Flur sind. In New York spielen zwar noch die ebenfalls hochgelobten Krallice (Ryan Adams setzte sie auf Platz 2 seiner Lieblingsalben 2008), aber anschließend bedarf es schon einer Reise von fast 7.000 Kilometern, um die nächste bedeutende US-Black-Metal-Band zu verorten, bis an die Westküste nach Olympia im Bundesstaat Washington. Dort leben die vier Mitglieder von Wolves In The Throne Room, ganz im Sinne von Henry David Thoreau, auf einer abgelegenen Selbstversorgerfarm. Ihre Songs schreiben sie in den angrenzenden Wäldern am Lagerfeuer.

Liturgy werden oft mit ihnen verglichen, weil auch Wolves In The Throne Room vollständig auf Satanismus und Christenhass verzichten. Stattdessen verbinden sie Black Metal und Ökologie. "Ich bin immer wieder überrascht, dass nicht mehr Bands diese Verbindung sehen, gerade weil Black Metal so naturbezogen ist", sagt Aaron Weaver, der Schlagzeuger der Band. Ihre Lebensweise bedeutet die völlige Umkehrung der europäischen Black-Metal-Attitüde. Nachhaltigkeit statt Zerstörung. Leben statt Sterben.

Doch ganz von der Faszination der inszenierten Todessehnsucht kann sich auch der amerikanische Black Metal nicht lösen. Fragt man Hunter Hunt-Hendrix, was er von der schwarz-weißen Leichenschminke hält, gesteht er: "Ich liebe Corpsepaint." Tragen würde er es trotzdem nicht. "Viel zu theatralisch!"

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