Postenschacher bei der UNO: Ein Apparatschik in Genf

Kaschstans Ex-Premier Tokajew wird Generaldirektor des Europäischen UNO-Hauptsitzes. Denn UN-Generalsekretär Ban Ki Moon möchte wiedergewählt werden.

Betreibt eine umstrittene Personalpolitik: UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon. Bild: dapd

GENF taz | Posten und Funktionen bei der UNO sollten nach Qualifikation besetzt werden. So lautet die Regel. Doch insbesondere auf den höheren Ebenen der UNO-Hierarchie sind oft andere, sachfremde Faktoren ausschlaggebend für eine Personalentscheidung: das Interesse vieler Mitgliedsregierungen an einer politischen Einflussnahme im UNO-System oder daran, verdiente bzw. lästig gewordene Politiker, Diplomaten oder Militärs ihres Landes bei der UNO zu ver- oder entsorgen.

Eine wichtige Rolle spielen auch Absprachen zwischen den besonders einflußreichen fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates. Und manchmal auch das Eigeninteresse des UNO-Generalsekretärs- zum Beispiel an seiner Wiederwahl. Ein aktuelles Ergebnis einer solch sachfremden Personalentscheidung ist, dass der Kasache Kassymschomart Tokajew am 1. Mai den Posten des Generaldirektors am Europäischen UNO-Hauptsitz in Genf angetreten hat.

Bis dahin amtierte Tokajew neun Jahre lang als Präsident des Parlaments (Senat) in der kasachischen Hauptstadt Astana. Zwischen 1994 und 1999 war er Außenminister, danach bis 2002 Regierungschef der ehemaligen zentralasiatischen Sowjetrepublik.

In all den Jahren funktionierte Tokajew als treuer und kritikloser Apparatschik im autoritären Machtsystem von Präsident Nursultan Nasarbajew, der Kasachstan seit über 22 Jahren regiert. Anfang April ließ er sich bei einer manipulierten Wahl mit über 95,5 Prozent der Stimmen für mindestens weitere fünf Jahre im Amt bestätigen.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) hat diese Wahl scharf kritisiert. Senatschef Tokajew wies diese Kritik ebenso zurück wie die Kritik von Oppositionellen an massiven Menschenrechtsverletzungen, Vetternwirtschaft und Korruption in Kasachstan.

Ein geeigneter Mann?

Ein geeigneter Mann also für den UNO-Chefposten in Genf. Das sah jedenfalls UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon so, der Tokajew Mitte März in sein neues Amt im Range eines Untergeneralsekretärs berief. Dabei lagen bereits im November letzten Jahres drei Bewerbungen von zum Teil sehr viel qualifizierteren Personen mit langjähriger UNO-Erfahrung vor.

Italiens Premierminister Silvio Berlusconi nominierte den ehemaligen italienischen Abrüstungsbotschafter Carlo Trezza. Aus Frankreich kandidierte Jean-Maurice Ripert, seit August 2009 Sonderbeauftragter des Generalsekretärs für Pakistan und zuvor UNO-Botschafter seines Landes in Genf und in New York sowie Direktor der Abteilung für internationale Organisationen im Pariser Außenministerium.

Beworben hatte sich auch die ranghöchste Deutsche bei den Vereinten Nationen, Angela Kane, seit 2008 Untergeneralsekretärin für Management in der New Yorker Zentrale und zuvor vier Jahre lang beigeordnete Generalsekretärin für politische Angelegenheiten. In den 90er Jahren diente sie dem damaligen Generalssekretär Kofi Annan als Sonderbeauftragte in verschiedenen UN-Friedensmisisonen.

Ban Ki Moon entschied jedoch, diese drei Bewerbungen zu abzulehnen, zumal Kane und Ripert nicht aktiv von den Regierungen in Berlin und Paris unterstützt wurden. Stattdessen forderte der Generalsekretär die Regierungen aller 193 UNO-Mitgliedsstaaten schriftlich auf, ihm "geeignete Kandidaten" für das Amt des Generaldirektors in Genf zu benennen.

Neue Amtszeit ab 2012

Ein ungewöhnlicher Schritt, für den Insider aus dem Umfeld Bans folgende Erklärung haben: der Generalsekretär wollte Kandidaten, welche von Regierungen unterstützt werden, die für seine eigene Wiederwahl wichtig sind. Im September muss der Sicherheitsrat den Generalsekretär für die Zeit von Januar 2012 bis Dezember 2016 bestimmen. Und eine zweite Amtszeit für Ban Ki Moon, der im Herbst 2006 von den USA und China gegen sehr viel profiliertere Kandidaten durchgesetzt wurde, ist keineswegs gesichert.

Mit Tokajew, der vor seiner Polit-Karriere als Chinesisch-Dolmetscher arbeitete und immer gute Beziehungen zu Peking und Moskau unterhielt, hat Ban den Kandidaten der beiden ständigen Ratsmitglieder Rußland und China auf den Genfer Chefposten berufen und damit die Chancen auf seine Wiederwahl im September erhöht.

Die USA äußerten keine Bedenken gegen Tokajew. Denn mit dem Kasachen bleibt der Genfer Chefposten exsowjetischer Erbhof und damit eine andere schlechte Tradition der UNO-Personalpolitik erhalten, für die Washington mitverantwortlich ist. 1992, nach dem Ende des globalen Ost-Westkonflikts und dem Zerfall der Sowjetunion verlor Moskau den seit 1945 selbstverständlichen Anspruch auf einen der fünf Untergeneralsekretärsposten (USG) in New York.

Zur Kompensation dieses Verlustes sicherte der damalige US-Präsident George Bush sen. seinem russischen Amtskollegen Boris Jelzin den Generaldirektorsposten am Europäischen UNO-Hauptsitz zu. Von 1993 bis März 2002 besetzte zunächst Vladimir Petrovski, Moskaus letzter USG in New York und bis 1991 stellvertretender Außenminister der Sowjetunion die Genfer Stelle, und nach ihm bis zum 1. Mai Sergei Ordzhonikidze, ehemals stellvertretender Außenminister Russlands.

Die erneute Berufung eines Russen auf den Genfer Posten war jetzt nur deshalb nicht möglich, weil Ban Ki Moon erst im Juli letzten Jahres Yury Fedotov, ebenfalls ein früherer stellvertretender russischer Außenminister, zum Generaldirektor des UNO-Büros in Wien ernannt hatte.

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