Präsidentschaftswahl in Frankreich: Monsieur Jovial

Der unscheinbare François Hollande hat Martine Aubry als Spitzenkandidat für die Präsidentschaftswahl ausgestochen. Jetzt hat er gute Chancen, Sarkozy abzulösen.

Ein ernstzunehmender Konkurrent für Sarkozy? François Hollande. Bild: reuters

Im Café Richelieu kennt François Hollande von den Gästen, denen er leutselig die Hände schüttelt oder einen Wangenkuss gibt, nicht nur den Vornamen, sondern auch ihre halbe Lebensgeschichte.

Dem Lokalreporter der Regionalzeitung La Montagne klopft er auf die Schulter: "Bis später!" Hier in Tulle, der Hauptstadt der Corrèze am westlichen Rand des Zentralmassivs, ist Hollande zu Hause. Das war nicht immer so.

Denn eigentlich stammt er aus Rouen in der Normandie, wo er am 12. August 1954 als Sohn eines Arztes und einer Sozialarbeiterin zur Welt gekommen ist.

Im Unterschied zu so vielen Politikern, die sich in Frankreich einen Wahlkreis aussuchen, der ihnen eine möglichst leichte Wahl verheißt, wurde er vor dreißig Jahren im Auftrag des Sozialisten François Mitterrand wie ein Fallschirmspringer mit einer unmöglichen Mission hinter feindlichen Linien in der Bastion des Gaullisten Jacques Chirac abgesetzt.

Politisch kompatibel

Sie finden in zwei Durchgängen am 22. April und 6. Mai 2012 statt. Laut Umfragen würde der Sozialist François Hollande bei der Stichwahl gegen den bisherigen Staatschef Nicolas Sarkozy mit einem klaren Stimmenvorsprung (59 zu 41 Prozent) gewinnen.

Sarkozy hat aber noch nicht definitiv verraten, ob er sich wirklich um ein zweites Mandat bewerben wird. Die Finanzkrise und die wachsende Unzufriedenheit der Franzosen ließen seine Popularitätswerte derart sinken, dass Sarkozy am Ende vielleicht lieber einem anderen aus den Reihen seiner konservativen Partei UMP die Aufgabe überlassen könnte, diese Suppe auszulöffeln.

Darum wird in den Medien mit der Hypothese einer Ersatzkandidatur des heutigen Außenministers Alain Juppé gespielt.

Schon 1988 eroberte Hollande ein erstes Mandat als Abgeordneter, 2001 wurde er Bürgermeister von Tulle, 2008 dann Vorsitzender des Départements Corrèze. Ein politischer Gegner oder gar Feind von Chirac war er da schon längst nicht mehr. Dafür kennen und schätzen sich die beiden seit langem viel zu sehr.

Natürlich stehen sie nach wie vor politisch nicht im selben Lager, aber der Sozialist Hollande hat dem Konservativen Chirac bei seinem Umgang mit den Bauern und anderen Wählern viel abgeguckt. Im Juni 2011 ließ sich der pensionierte Staatspräsident bei einem Ausstellungsbesuch in der Corrèze zur Bemerkung hinreißen: "2012 wähle ich Hollande!" Sein Parteikollege Nicolas Sarkozy soll getobt haben.

Die Anekdote ist bezeichnend für François Hollande. Er ist politisch kompatibel mit der Linken, mit der Mitte und womöglich auch mit einem Teil der Rechten. Er ist deswegen bei den Präsidentschaftswahlen Sarkozys gefährlichster Gegner. An seiner höflich-jovialen Art und Schlagfertigkeit drohen ideologische Angriffe abzugleiten.

Lieber hätte sich Sarkozy mit der als "harte Linke" geltenden Martine Aubry gestritten. Auch Aubry hatte ihren Rivalen als "Weichling" zu diskreditieren versucht. Doch in Wirklichkeit ist Hollande einfach elastisch.

Inzwischen weiß Sarkozy, dass er diesen so furchtbar netten und umgänglichen Politiker nicht unterschätzen darf. Spätestens bei den Primärwahlen der Sozialisten, denen Hollande jetzt seine Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten verdankt, hat sich dieser "Monsieur Jovial" als geschickter Stratege entpuppt.

Eigentlich war er viel zu früh in dieses Rennen gestartet, in dem er neben dem zum Topfavoriten erklärten IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn wie ein hoffnungsloser Außenseiter aussah. Als dann Strauss-Kahn über seine Skandale und Affären stolperte, stand Hollande plötzlich als ernsthafter Ersatzmann im Raum. Und dank des enormen Erfolgs dieser erstmaligen "Primärwahlen", an denen rund drei Millionen Sympathisanten teilnahmen, gelang ihm sogar das Kunststück, die Rolle eines bloßen Stellvertreters loszuwerden.

Als Hollande von 1997 bis November 2008 Parteichef der Sozialisten war, lobten alle seine Führungsqualitäten und sagten zugleich, dass diesem cleveren Taktiker leider jegliches Charisma fehle, das in Frankreich für eine Führungsrolle unentbehrlich sei. Parteiintern war er in dieser Zeit nicht nur die rechte Hand von Lionel Jospin, als dieser von 1997 bis 2002 unter dem rechten Präsidenten Chirac der linke Premierminister einer Kohabitationsregierung war.

Wie er heute unterstreicht, war er an allen Reformen der Regierung beteiligt. Denn immer wieder hält man ihm vor, ihm fehle es an Erfahrung, weil er ja nie Minister gewesen ist. Vor allem aber fädelte er unter den ewig zerstrittenen Genossen bei den Kongressen jeweils mit viel Diplomatie die nötige Synthese ein.

Überzeugter Europäer

Zu Hause bei den Hollandes, die ihren Familiennamen von protestantischen Ahnen haben, die im 16. Jahrhundert vor der Inquisition aus den Niederlanden nach Frankreich geflüchtet waren, gab es keine linke Tradition. Der Vater kandidierte im Gegenteil sogar in den 60er Jahren für eine rechtsextreme Liste und sympathisierte mit der OAS gegen die algerische Befreiungsbewegung.

Mit 18 engagierte sich François Hollande bei den Sozialisten von François Mitterrand. Schon als Student habe er seine Kommilitonen mitgerissen, sagt sein damaliger Mitschüler und heutiger Berater Michel Sapin: "Er war ein Leader, aber nicht wegen seiner Autorität, sondern wegen des Charmes seiner Intelligenz, die dazu einlud, ihm zu folgen."

Während sich Jospin, Fabius, Rocard, die "Elefanten" der Parti Socialiste, um Mitterrands Erbe stritten, verfolgte Hollande mit seinem internen Klub "Transcourants" (Quer durch alle Strömungen) und danach "Démocratie 2000" abseits der Machtkämpfe politische Ziele.

Er ist als klar proeuropäischer Sozialdemokrat mehr ein Schüler des früheren EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors als von François Mitterrand, dessen strategische Gerissenheit er aber noch heute bewundert. Bei diesem wurde er ab 1981 als junger Präsidentenberater, an der Seite seiner Arbeits- und Lebensgefährtin Ségolène Royal, in das Handwerk der Staatsführung vor und hinter den Kulissen eingeführt.

Die beiden hatten sich in der Kaderschmiede der Verwaltungshochschule ENA kennen und lieben gelernt, in die Hollande nach seinen Diplomen in Politischer Wissenschaft, Recht und nach der Elitehandelsschule HEC eingetreten war.

Der Anti-Sarkozy

Dieses Duo Royal/Hollande schien damals in der Politik, im Beruf wie im Privatleben unzertrennlich. Sie haben zusammen vier Kinder, waren aber nie verheiratet. Die Trennung 2007 kam für viele überraschend, als Royal als Präsidentschaftskandidatin ankündigte, sie habe ihrem untreuen Ex geraten, das gemeinsame Domizil zu verlassen, und im Übrigen wünsche sie ihm, mit der anderen glücklich zu werden.

Diese "andere" ist die 36-jährige Fernsehjournalistin Valérie Trierweiler, die bisher eine politische Sendung auf dem Privatkanal Direct 8 moderiert hat. Sie hat viel zu Hollandes Wandel beigetragen. Sie hat ihm beigebracht, wie man sich in den Medien Gehör verschafft.

Ihr und seiner Karriere zuliebe hat Hollande mehrere Kilos abgenommen und sich einen modischen Look verpassen lassen. Selbst in seiner Art zu reden, ist er weniger rundlich. Die Leute sollen ruhig merken, dass er nicht nur bellen, sondern auch beißen kann.

Bei den Primärwahlen der Sozialisten hat sich Hollande im Unterschied zu seiner Rivalin Aubry bereits schon in der Anrede nicht nur an die Genossen und Genossinnen Linkswähler, sondern an die Französinnen und Franzosen gerichtet. Er verspricht ihnen einen Wechsel nach mehr als vier "unerträglichen" Jahren Sarkozy-Präsidentschaft. Er verspricht ihnen dabei nicht das Blaue vom Himmel. Er sagte in seiner Siegesansprache am Sonntagabend, wohl in Anspielung auf den bekannten American Dream, er wolle "Frankreichs Traum" (von Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit und nationaler Größe) zu neuem Leben erwecken.

Die Krise und die unter Sarkozy akkumulierten Schulden engen den Spielraum für eine Politik sozialer Reformen grausam ein. Hollande verheimlicht nicht, dass die Sparpolitik, wenn auch in einer sozial gerechter verteilten Form, fortgesetzt werden müsse. Eine Mehrheit der Bürger scheint es ihm abkaufen zu wollen. "Alles - bloß nicht mehr Sarkozy", hatten viele Teilnehmer der Primärwahlen zu ihren Motiven gesagt. Das ist nichts besonders schmeichelhaft für den glücklichen Sieger dieser Kandidatenkür.

Hollande hat sich ganz bewusst als Anti-Sarkozy profiliert, weil sich der aktuelle Präsident mit seinen selbstherrlichen Allüren, seinem autokratischen Machtgehabe und seinen allzu ostentativen Freundschaften zu Frankreichs Milliardären bei seinen Landsleuten in Misskredit gebracht hat. Weil unter Sarkozy nichts "normal" gewesen sei, wolle er im Gegensatz zum jetzigen Staatschef ein "normaler" Präsident werden, hatte Hollande in der Pose eines Biedermanns, eines Nachbarn von nebenan gesagt. "Anti-Sarkozy", das ist zunächst jedoch nur ein Image und kein Programm.

Europa- und außenpolitisch würde sich bei einer Wahl von Hollande wohl kaum viel ändern. Die französischen Sozialisten hoffen bereits, dass auf ihren erwarteten Sieg auch ein Regierungswechsel in Deutschland folgt, der dann die Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit mit Berlin ändern soll.

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