Protest in Guantánamo: Wenn Schweigen tötet

Die Gefangenen in Guantánamo haben ihre Protestaktionen ausgeweitet. Sie erfahren Unterstützung aus den USA. Nur Barack Obama rührt sich nicht.

Protestaktion in New York. Bild: reuters

NEW YORK taz | Als „schwach, dürr und krank“ beschreibt Pardiss Kebriaei die jungen Männer, die sie in der ersten Aprilwoche in Guantánamo getroffen hat. „Meine Mandanten wollen leben“, sagt die New Yorker Anwältin zur taz, „aber sie haben das Gefühl, dass ihnen keine andere Möglichkeit als der Hungerstreik bleibt, um gehört zu werden“.

Am Anfang des dritten Monats der Protestaktion werden mindestens 11 Gefangene zwangsernährt. Dazu werden sie auf eine Liege gefesselt und ihnen wird eine Kanüle durch die Nase in die Speiseröhre getrieben. Zahlreiche weitere Gefangene sind körperlich und seelisch extrem geschwächt.

Die Anwältin vom „Center of Constitutional Rights“ ist seit 2007 dutzende Male in dem Internierungslager gewesen. Die Anspannung, die dort jetzt herrscht, beschreibt sie als „größer als seit Jahren“. Nach ihrem jüngsten Besuch befürchtet sie, dass „bald“ jemand sterben könnte.

Nach wochenlangen wachsenden Spannungen im US-Gefangenenlager Guantánamo Bay ist es am Samstag zu einer Eskalation gekommen. US-Wärter setzten nach Medienberichten Gummigeschosse gegen Häftlinge ein, die sich gegen eine Verlegung aus einer Gruppenunterkunft in Einzelzellen wehrten. Auf beiden Seiten habe es aber nur leichte Verletzungen gegeben, zitierte der Sender CNN einen Militärsprecher in Guantánamo Bay.

Dort werden zurzeit noch 166 Terrorverdächtige festgehalten, viele von ihnen schon seit 2002, als das Lager eingerichtet wurde. US-Präsident Barack Obama hatte nach seinem Amtsantritt 2009 eine Schließung binnen eines Jahres angekündigt, war aber an massivem Widerstand im Kongress gegen eine Verlegung der Gefangenen auf US-Boden gescheitert.

„Wenn es je einen Moment gegeben hat, Ihr Versprechen umzusetzen, und das Gefängnis von Guantánamo zu schließen, dann jetzt“, schreiben 25 us-amerikanische Menschenrechtsorganisationen in einem offenen Brief an Barack Obama. Auch Amnesty International, Human Rights Watch und Witness against Torture haben unterzeichnet (pdf).

Sie fordern den US-Präsidenten auf, die Gefangenen entweder in ihre Heimat- oder in andere Länder zu transferieren oder sie vor ein Gericht zu stellen. Und sie bitten darum, jemanden zu benennen, der sich vom Weißen Haus aus um die Schließung des Lagers kümmert. Daniel Fried, der sich in den vergangenen Jahren ohne Erfolg um die Schließung des Lagers gekümmert hat, ist im Januar versetzt worden. Seine Stelle ist seither verwaist.

Mahnwachen für die Hungerstreikenden

Am selben Tag, an dem der offene Brief erscheint, finden in 26 Städten der USA Mahnwachen für die Hungerstreikenden statt. „Die Gefangenen sind keine Engel“, sagt Friedensdichter Luke Nephew an dem Tag auf dem Times Square in New York, „unter den Kapuzen stecken Menschen“. In Washington gibt gleichzeitig der Chef des für gewöhnlich politisch zurückhaltenden Internationalen Roten Kreuzes eine Pressekonferenz. Darin kritisiert Peter Maurer die Methoden der Zwangsernährung der Gefangenen in Guantánamo und fordert Präsident Obama auf, „mehr zu tun, um die unhaltbare Situation zu beenden“.

Der Zugang nach Guantánamo wird komplett vom Pentagon kontrolliert. Über das Ausmaß dieser Kontrolle kommen immer neue Details an die Öffentlichkeit. So stellte sich letzte Woche heraus, dass das Pentagon Zehntausende E-Mails von Gefangenen und ihren Anwälten direkt an die militärische Staatsanwaltschaft weitergeleitet hat.

Auch bei dem Hungerstreik sorgt das Pentagon mit einer Informationskontrolle für Verwirrung. Anwälte können seit Anfang Februar die Gewichtsverluste ihrer Mandanten beobachten und berichten darüber. Doch das US-Verteidigungsministerium hat bis Ende März bestritten, dass es überhaupt Proteste gibt. Seither korrigiert es seine Zahlen leicht nach oben und gibt inzwischen zu, dass 43 Gefangene hungerstreiken. Aber auch das weicht stark von den Informationen der Anwälte ab. Die sprechen von mehr als 100 Hungerstreikenden.

Schier aussichtslose Lage

Auslöser für den Hungerstreik waren Durchsuchungen von Koran-Büchern in Guantánamo. Doch Anwälte und Menschenrechtsgruppen sehen den tieferliegenden Grund für den Protest in der schier aussichtslose Lage der Gefangenen. Die überwiegende Mehrheit der heute noch 166 Gefangenen ist seit mehr als elf Jahren in Guantánamo interniert.

Seither sind sie weder angeklagt worden, noch haben sie einen Prozess oder eine Verurteilung bekommen. Familienbesuche gibt es in Guantánamo nicht. Und kein Gefangener weiß, wann – wenn überhaupt – er das Lager verlassen kann. Anwältin Pardiss Kebriaei macht diese „Gefangenschaft auf unbegrenzte Zeit“ verantwortlich. Sie zitiert einen Mandanten, der ihr gesagt hat: „Das Schweigen der Regierung tötet uns“.

Nur gegen 34 Gefangene will die US-Regierung überhaupt Anklage erheben. Für 86 andere Gefangene in Guantánamo hingegen haben die US-Behörden längst – teilweise noch unter Ex-Präsident George W Bush – entschieden, dass sie in ihre Heimatländer transferiert werden können. Doch der Kongress blockiert. Er lässt nur Abschiebung in „sichere Länder“ zu. Jemen, das Land aus dem die Mehrheit der Guantánamo-Insassen und die Mehrheit der Mandanten von Pardiss Kebriaei stammt, gehört nicht dazu.

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