Protestcamp-Räumung bei Hannover: Tümpeltown geht es an den Kragen

Im Naturschutzgebiet Leinemasch soll gerodet werden. Ak­ti­vis­t*in­nen protestieren. Doch ihr Baumhausdorf steht vor der Räumung.

Polizisten, teils vermummt und mit Helmen, rangeln mit mehreren Menschen mit schwarzen Jacken und Kapuze

Es wurde auch handgreiflich: Protest gegen die Räumung Leinemasch am vergangenen Sonntag Foto: Timo Knorr

HANNOVER taz | Am Montagmorgen machen sich in Hannover Hunderte Po­li­zis­t*in­nen und zahlreiche Holz­ar­bei­te­r*in­nen mit schwerem Gerät bereit. Es ist klirrend kalt und es schneit. Seit September 2022 haben Kli­ma­schutz­ak­ti­vis­t*in­nen hier im Naturschutzgebiet Leinemasch ein Baumhausdorf errichtet. Sie wollen verhindern, dass der „Südschnellweg“ verbreitert wird, eine Straße zwischen den Ortsteilen Ricklingen und Anderten.

„Wir sehen den Ausbau als eine Fortführung von fossil-kapitalistischen Logiken“, erzählt ein*e Spre­che­r*in mit dem Spitznamen „Quadrat“. Nach einem Jahr und drei Monaten steht nun die Räumung der Waldbesetzungen offenbar kurz bevor.

Schon lange wird um den Ausbau der Schnellstraße gestritten. 2015 startete die Planung, nach Bürgerdialogen, Planfeststellungsverfahren und Diskussionen startete der Bau 2022. Von 16 auf 25 Meter wird die Straße verbreitert. Dabei drängt die Zeit: Am Südschnellweg werden bereits Sicherheitsstandards unterschritten, bei ausbleibender Renovierung droht eine Sperrung der Hochbrücke bei Döhren. Dann müssten unzählige Menschen und Waren, die die Straße täglich passieren, anders in die Stadt gelangen. Alternativen gibt es aber nicht wirklich.

Auch wenn der Ausbau mittlerweile formal beschlossene Sache ist, engagieren sich zahlreiche An­woh­ne­r*in­nen für den Erhalt des Naherholungs- und Naturschutzgebietes Leinemasch. Da gibt es die Bürgerinitiative Leinemasch West und das Bündnis Leinemasch Bleibt. Von Petitionen und Menschenketten über Aktionen vor dem Verkehrsministerium bis hin zu Blockaden der Baustelle und der Waldbesetzung wurde bereits protestiert.

Die ersten Bäume fielen

Auch einen „runden Tisch“ mit Verkehrsminister Olaf Lies (SPD) gab es. Ergebnisse: keine nennenswerten. Auch eine Biberpopulation und seltene Fledermäuse konnten keinen Aufschub erwirken. Klagen scheiterten, die Landesstraßenbaubehörde hält an ihren Plänen fest. Am Montagmorgen fielen ganz im Westen zwei Kilometer von der Besetzung entfernt die ersten Bäume.

Wütend über den Ausbau sind nicht nur die Baumbesetzer*innen, sondern auch Mitglieder der angrenzenden Kleingartenkolonie. Mehrere Parzellen sollen weichen. So etwa die von Carmen Beutler. Niemand habe sie informiert, dass der Garten verschwinden solle, als sie ihn im April pachtete, sagt die 64-Jährige der taz. Ersatzgärten und Entschädigungen seien noch in Verhandlung, heißt es dazu vom Bezirksverband der Kleingärtner Hannover. Beutler hofft, dass die Besetzung möglichst lange hält, das Projekt verzögert und ihr Sommersitz lange erhalten bleibt.

Brigitte Ferneding, Protestierende

„Zehn Jahre Baustelle – für mich keine Perspektive“

Dass die Wald­be­set­ze­r*in­nen in dieser Woche geräumt werden, hatte sich bereits angekündigt. Nur von Anfang Oktober bis Ende Februar dürfen laut Bundesnaturschutzgesetz Bäume und Sträucher entfernt werden. 13 Hektar Land betrifft das beim Südschnellwegausbau, 9 davon sollen wieder renaturiert werden. Bereits im Dezember raunte die Lokalpresse, laut „Behördenkreisen“ solle es der Waldbesetzung namens „Tümpel Town“ im Januar an den Kragen gehen.

Die Polizei Hannover versendete zeitgleich Einladungen an ausgewählte Redaktionen und Journalist*innen, sich für die Rodung zu „akkreditieren“. Wie bei Sicherheitsgipfeln oder Events sei der Zugang für Jour­na­lis­t*in­nen nur in Polizeibegleitung möglich. Begründet wird das mit den Gefahren durch die Rodungsarbeiten. Ein letzter unbegleiteter Besuch und Protest im Waldgebiet war am vergangenen Sonntag möglich. Die gesamte Woche gilt nun im Sicherheitsbereich ein Demonstrationsverbot.

Ein letzter Spaziergang

Beim letzten Waldspaziergang beteiligten sich mehr als 1.200 Menschen. Mit dabei: bürgerlich anmutende An­woh­ne­r*in­nen bis hin zu Wald­be­set­ze­r*in­nen mit verklebten Fingerkuppen. An der Spitze der Demonstration: Annette Ferneding. Die 70-Jährige ist für den Erhalt des Naherholungsgebiets. Seit mehr als 40 Jahren besucht sie die Leinemasch. „Zehn Jahre Baustelle – für mich keine sinnvolle Perspektive“, sagt Ferneding.

Der Tross stapft durch die schlammige Gegend. Einige biegen über kleine Palettenwege, die im tauenden Eis des kürzlichen Hochwassers Brücken bilden, in Richtung der Waldbesetzung ab. Zeitgleich dringen andere zu einer zweiten, kleineren Baumbesetzung, genannt „FKK“, durch, um diese mit Essen und Trinken zu versorgen. Seit zwei Tagen hatte die Polizei das verhindert. Den Ak­ti­vis­t*in­nen in den Bäumen wird Hausfriedensbruch vorgeworfen.

Als sich die Demonstration zerstreut, bleiben viele bei der Mahnwache zurück. Hier dürfte die Polizei wohl als Erstes räumen. Wo genau sie tätig wird, richtet sich nach den Rodungsarbeiten, sagt eine Sprecherin. Wer jetzt noch nah ran will, ist auf die Presseshuttles der Polizei angewiesen. In „Tümpel Town“ herrscht trotz Januarwetter gute Stimmung. „Ganz gleich, wie das hier ausgehen wird, wir werden weiterkämpfen“, schreiben die Ak­ti­vis­t*in­nen der taz per Messenger. Alle Beteiligten stellen sich auf eine lange Woche ein.

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