Proteste in Tunesien: Heißer Sommer erwartet

Vier Monate nach der Revolution mehren sich die Anzeichen, dass Kräfte des alten Regimes die Demokratisierung stoppen wollen. Die geplanten Wahlen stehen auf der Kippe.

In Tunis wird weiter gegen die Regierung demonstriert. Bild: reuters

MADRID taz | Etwas über zwei Monate vor den für den 24. Juli geplanten Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung in Tunesien befürchten immer mehr Menschen, die erste erfolgreiche arabische Revolution des Jahres 2011 könnte Opfer eines Gegenschlages werden. Gerüchte verbreiten sich in Windeseile. Demonstrationen formieren sich innerhalb weniger Stunden. Die einen befürchten, die Wahlen könnten verschoben werden - die anderen wollen einen späteren Wahltermin.

Als Erster warnte der im Februar zurückgetretene Innenminister der Übergangsregierung, Farhat Rajhi, vor einer Verschwörung. In einem Interview, dessen Videoaufzeichnung eine Bloggerin vor zwei Wochen veröffentlichte, erklärte der Jurist: "Wenn die Islamisten die Wahlen gewinnen, werden wir ein Militärregime bekommen. Die Leute aus dem Sahel" - damit werden in Tunesien gemeinhin die Heimatregionen des gestürzten Präsidenten Ben Ali und dessen Vorgänger Habib Bourguiba bezeichnet - "sind nicht bereit, die Macht abzugeben. Falls das Wahlergebnis nicht in ihrem Interesse ist, wird es einen Militärputsch geben."

Wenige Stunden später versammelten sich hunderte Jugendliche im Zentrum der Hauptstadt Tunis und forderten den Rücktritt des Übergangspremiers Caid Essebsi. Die Polizei griff mit ungewöhnlicher Härte ein, Journalisten und Pressefotografen wurden teils verletzt oder festgenommen. In den Vororten wurden Geschäfte geplündert. Mehrere Tage lang wiederholten sich diese Szenen, bis die Regierung erstmals seit dem Sturz Ben Alis Mitte Januar wieder eine Ausgangssperre verhängte.

"Ich glaube, dass es tatsächlich ein Komplott gibt", sagt Omar Mestiri, der Chef des Oppositionsradios Kalima, das bisher mangels UKW-Lizenz nur im Internet sendet. Neben Protesten und Repression führt er als Beleg für seine Theorie, jemand wolle die Demokratisierung sabotieren, auch die fast zeitgleichen Massenausbrüche in fünf Haftanstalten an.

Unterwanderung der Demonstrationen?

Mestiri sieht darin den langen Arm der aufgelösten politischen Polizei und fordert die Übergangsregierung auf, "Licht ins Dunkel zu bringen". Für den Journalisten sind auch die Plünderungen das Ergebnis einer gezielten Unterwanderung der Demonstrationen. Außerdem fürchtet Mestiri um die Meinungsfreiheit: Die Militärjustiz ermittelt jetzt gegen Exinnenminister Rajhi wegen "Diffamierung der Armee", mehrere Internetseiten wurden aus dem gleichen Grund geschlossen.

"Im Hintergrund kämpfen zwei Strömungen miteinander", analysiert Mustapha Ben Ahmed, zuständig für internationale Beziehungen bei der Gewerkschaft UGTT. "Zum einen sind da die Vertreter der alten Staatspartei RCD. Sie kontrollieren noch immer große Teile der Verwaltung, der Wirtschaft und des Sicherheitsapparates." Die RCDler "wollen keine Stabilität", meint er, "vor allem nach der Entscheidung, sie nicht an den Wahlen teilnehmen zu lassen".

Als Zweites macht er "populistische Strömungen" aus, allen voran die Kommunistische Arbeiterpartei (POCT), deren Chef Hamma Hammami die Verschiebung der Wahlen auf Oktober verlangt, "damit die Parteien Zeit haben, ihr Programm bekannt zu machen und die Bevölkerung tatsächlich ihre Wahl treffen kann".

"Ich halte es für ziemlich unwahrscheinlich, dass die Wahlen tatsächlich wie geplant am 24. Juli stattfinden werden", sagt Radiojournalist Mestiri. Inzwischen spricht selbst Premier Essebsi von "technischen Schwierigkeiten" bei den Vorbereitungen. Eine Verschiebung, fürchtet Mestiri, könne "dazu genutzt werden, den gesamten Wahlprozess zum Scheitern zu bringen".

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