Prozess gegen „Knockout51“: Neonazi-Kampfsportler vor Gericht

Am Montag startet in Thüringen der Prozess gegen brutale Rechtsextreme. Die Bundesanwaltschaft sieht in ihnen Terroristen – das Gericht nicht.

Zwei Polizisten stehen vor einer rechtsextremen Szenekneipe in Eisenach

Zwei Polizisten stehen vor einer rechtsextremen Szenekneipe in Eisenach, Thüringen Foto: Martin Wichmann/dp

BERLIN taz | Über Jahre konnten Leon R. und seine thüringer Neonazi-Kampfsportler Gewalt verbreiten: Menschen bedrohen und verprügeln, Waffen beschaffen. Am Montag nun beginnt gegen die rechtsextreme Gruppe „Knockout51“ der Prozess, vor dem Oberlandesgericht in Jena. Die Anklage führt die Bundesanwaltschaft, welche die Truppe als Terrorvereinigung sieht – anders als das Gericht.

Im April 2022 war der Eisenacher Leon R. mit drei Kumpanen festgenommen worden: Bastian A., Maximilian A. und Eric K. Das Quartett sitzt bis heute in Haft und bildete laut Anklage die Führung von Knockout51 – der 25-jährige Leon R. war der Kopf. Mindestens drei Jahre lang soll die Gruppe zuvor in der Thüringer NPD-Zentrale in Eisenach, dem „Flieder Volkshaus“, Kampfsport trainiert und eine ganze Reihe Gewalttaten verübt haben. Das Ziel: die Schaffung eines „Nazi-Kiez“.

Leon R. selbst betreibt in Eisenach eine rechtsextreme Szenekneipe, das Bull’s Eye. Zwei Mal wöchentlich traf sich seine im Kern gut zehnköpfige Gruppe zum Kampfsport, trainierte mit äußerster Härte, für den Straßenkampf gegen Linke oder die Polizei. Leon R. soll dabei die Aufnahmebedingungen in die Gruppe vorgegeben, die Trainings und ideologischen Schulungen geleitet und eine überregionale Vernetzung in der Szene hergestellt haben. Auch organisierte er Demos in Eisenach gegen angebliche Gewalt von Linken oder „Ausländern“.

Seine Gruppe führte derweil in der Stadt „Kiezstreifen“ durch, sicherten die NPD-Zentrale ab, soll das örtliche Linkspartei-Büro mit Steinen attackiert haben. Daneben kam es immer wieder zu schweren direkten Angriffen auf Personen. Zehn Attacken listet die Anklage, bei denen Gruppenmitglieder vermeintliche Linke, Drogenkonsumenten, Randalierer oder Polizisten wiederholt bis zur Bewusstlosigkeit verprügelten, auf. Etliche Opfer erlitten Knochenbrüche, mussten tagelang im Krankenhaus behandelt werden.

Autonome schlagen zurück

Immer wieder soll die Gruppe auch Straftaten auf Coronademos verübt haben. Auf einer Großdemonstration im August 2020 in Berlin sollen Mitglieder einen Polizisten in den Bauch getreten und einen zweiten weggestoßen haben, um einen Festgenommenen zu befreien. Auf Corona-Aufzügen in Leipzig und Kassel soll die Gruppe wiederum Linke verfolgt und verletzt haben.

Antifa-Gruppen hatten frühzeitig vor der Gewalt von Leon R. und seiner Kampfsporttruppe gewarnt. Doch die konnte über Jahre ihre Gewalt fortsetzen. Am Ende setzten Autonome auf Selbstjustiz: Im Oktober 2019 versuchten Vermummte Leon R. zunächst in seiner Kneipe zu attackieren, zwei Monate später dann vor seiner Wohnung. Der Neonazi selbst wurde dabei nicht verletzt, aber unter anderem der nun mitangeklagte Maximilian A. Für diese und weitere Angriffe wurden zuletzt Autonome um die Leipzigerin Lina E. zu Haftstrafen verurteilt.

Nach den Angriffen sollen Leon R. und die anderen sich radikalisiert und gezielt Auseinandersetzungen mit Linksradikalen gesucht haben, um diese unter dem Deckmantel der Selbstverteidigung auch tödlich zu verletzen, so die Anklage. Gruppenmitglieder sollten fortan ein Messer tragen und im Ernstfall nicht zögern, zuzustechen.

Leon R. besorgte sich einen Sportbogen, der tödlich wirken kann, und begann, eine Dekowaffe scharf umzubauen. Mit Hilfe eines 3D-Druckers soll er auch versucht haben, eine halbautomatische Maschinenpistole zu bauen. Seine Gruppe veranstaltete Schießtrainings in Tschechien. Und die Eisenacher NPD-Zentrale wurde so umgebaut, dass sie für Angreifer zur Falle werden sollte.

Kriminelle oder Terroristen?

Im September 2021 fuhr die Gruppe zudem eigens mit Messern vor ein linkes Jugendzentrum nach Erfurt, um dort einen Angriff auf sich zu provozieren – der blutig zurückgeschlagen werden sollte. Überlegt wurde auch, Linke dabei mit dem Auto zu überfahren. Allein: Es kam weder in Erfurt noch anderswo mehr zu einem Angriff auf die Gruppe.

Sah die Bundesanwaltschaft Knockout51 zunächst als kriminelle Vereinigung, stufte sie diese ab dem Zeitpunkt der Radikalisierung, ab April 2021, als Terrorgruppe ein. Das Oberlandesgericht aber ließ die Anklage nur als Anklage gegen eine kriminelle Vereinigung zu. Die Thüringer Linken-Abgeordnete und Rechtsextremismusexpertin Katharina König-Preuss kritisiert das deutlich. „Das ist völlig unverständlich. Wer Waffen baut, beschafft und Menschen aus neonazistischer Motivation umbringen will, bei dem sollte natürlich auch die Frage der terroristischen Vereinigung juristisch geprüft werden“, sagte sie der taz. Die ideologische Motivation der Gruppe müsse im Verfahren entsprechend berücksichtigt werden.

Ein Sprecher des Oberlandesgerichts sagte dazu der taz nur, dass für den verhandelnden Senat die vorliegenden Taten nur den Vorwurf einer kriminellen Vereinigung rechtfertigten.

König-Preuss hofft zudem, dass im Prozess die überregionale Vernetzung von Knockout51 zu weiteren rechten und rechtsterroristischen Gruppen thematisiert wird. Diese sei „nicht zu unterschätzen“. Für den Prozessbeginn am Montag ist vorerst nur die Anklageverlesung geplant. Bereits die kann dauern: Der Schriftsatz umfasst fast 300 Seiten. Zeugen sind an dem Tag noch nicht geladen. Auch Nebenkläger gibt es im Prozess nicht.

Ob sich die Angeklagten im Prozess einlassen werden, ist offen. Verteidigt werden sie teils von Szeneanwälten. Im Fall von Bastian A. ist es anders: Ihn vertritt Mustafa Kaplan, einst NSU-Opferanwalt und zuletzt Verteidiger des Lübcke-Mörders Stephan Ernst. „Ich habe das Mandat übernommen, weil ich Verteidiger bin“, sagte er der taz. Ob Bastian A. eine Aussage machen werde, stehe noch nicht fest, erklärte auch er.

Diverse Zeugenaussagen, abgefangene Chatnachrichten und Überwachungen aus PKW aber sollen die Angeklagten belasten. Durch die Vielzahl an Taten wird der Prozess dauern: Angesetzt sind schon jetzt Termine bis Ende März 2024.

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Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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