Queerer Debütfilm „I Love You More“: Glück, so lang wie ein Popsong

Das Spielfilmdebüt „I Love You More“ des Kosovaren Erblin Nushi ist autobiographisch. Es besitzt eine erstaunliche innere Ruhe und Selbstsicherheit.

Zwei Personen in Nahaufnahme, die Person rechts im Bild guckt die Person links im Bild an

Ben (Don Shala) und Leo (Leonik Sahiti) treffen sich im Film „I Love You More“ Foto: Pro-Fun Media

Ein spitzer Schrei der Mutter aus der Küche unten im Haus. Ben (Don Shala), der Teenagersohn, schrickt zusammen und meint später: „Ich dachte schon, die Serben hätten uns wieder überfallen.“ Der Ort, an dem dieser Film spielt, das sagt ein Insert gleich zu Beginn: „Irgendwo im Kosovo.“ Und die Zeit: irgendwann, als der Krieg schon vorbei war, aber noch nicht so sehr lang; irgendwann, als es zwar Handys schon gab und Laptops und das Internet, die Ben nutzen kann, um Verbindungen herzustellen, wo sonst keine wären, aber Smartphones gibt es noch nicht.

Irgendwo im Kosovo, dieses Irgendwo ist irgendwo auf dem Land, man sieht nicht viel Stadt, überhaupt nicht viel Ort, vor allem sieht man Natur, Hügel und Wälder von einiger Schönheit. Man kann aber auch in dieser Schönheit viel Teenager-Verlorenheit spüren. Schon gar, wenn man schwul ist, wie Ben.

In der ersten Einstellung, klug und mit genau der richtigen Menge Geduld inszeniert wie so viele, die folgen, bewegt sich die Kamera von der schönen Natur, die das Bild füllt, nach unten, wo man dann, von hinten, Ben sitzen sieht, im Gespräch mit seiner besten Freundin. Zeig mir ein Bild, sagt sie, im Glauben, er habe im Internet eine Fernaffäre mit einer jungen Frau aus Deutschland begonnen.

Er zeigt das Bild. „Sieht aber aus wie ein Junge“, meint sie, er nickt, sie begreift. Und akzeptiert es. Schwieriger ist es, als die Eltern von der Sache erfahren, eher nebenbei, kein Coming-out-Drama. Die Mutter lebt vom Schneidern, die Nähmaschine rattert im Haus. Der Vater malt, ihre Eltern haben ihn, das erfährt man, einst nicht als Partner der Tochter gewollt. Was die Mutter nun ins Feld führen kann im Kampf ums Akzeptieren des Sohns; wozu sie, bei allem Widerstand, im Innern bereit ist.

„I Love You More“ (Kosovo/Albanien 2023, Regie: Erblin Nushi). Die DVD ist ab rund 15 Euro im Handel erhältlich.

Der Vater dagegen konfisziert gleich den Rechner, ist aggressiv hilflos, der Konflikt und seine Entwicklung spielen eine Rolle im Film, aber dominieren ihn nicht.

Die Kamera umfängt ihn

Was dominiert, ist Bens Perspektive. Sein Sehnen danach, dass Leo17 tatsächlich, wie versprochen, in das Kosovo kommt. Von Kamera und Regie in einen Kokon aus atmosphärischen Bildern und Tönen gesponnen, liegt Ben in seinem Zimmer, an der Wand eine Fototapete mit glitzerndem Bach.

Die Kamera umfängt ihn, statt ihn zu bedrängen. Was drängt, ist die Zeit. Der spitze Schrei der Mutter war nämlich einer des Glücks: Sie haben in der Green-Card-Lotterie das Aufenthaltsrecht in den Vereinigten Staaten gewonnen. Und wollen weg aus dem Kosovo, nichts wie weg.

Zumindest die Eltern. Ben will vielleicht auch weg, aber er will auch Leo, ihn sehen und mit ihm schlafen, wobei man als Zuschauer lange nicht weiß, wie viel an diesem Leo als erster Liebe aus Deutschland nur Hirngespinst ist; mehr Hirngespinst noch, als es erste Lieben ohnehin sind.

Eine erste Begegnung

Doch dann taucht er tatsächlich auf, ein Moment des Glücks so lang wie ein Popsong, eine erste Begegnung, die Erblin Nushi gekonnt und bewusst als Kitsch inszeniert, ohne die Wahrheit des von der Wirklichkeit nur zu geringeren Teilen gedeckten Projizierens und Wünschens darin denunzieren zu wollen.

Es steckt viel Autobiografisches in diesem Debüt, was im Abspann mit privaten Aufnahmen etwa der realen nähenden Mutter deutlich markiert wird.

Nushi, nonbinär, ist 1992 im Kosovo geboren und aufgewachsen, kam dann mit den Eltern in die Vereinigten Staaten, hat in Northern Virginia Film studiert und kehrte mit diesem ersten großen Projekt in die alte Heimat zurück, hat Gelder aus dem Kosovo und Albanien bekommen, der Film ist auf Albanisch gedreht. Und besitzt in seiner filmischen Sprache eine erstaunliche innere Ruhe und Selbstsicherheit: Den Namen Erblin Nushi muss man sich merken.

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