Queerness und Fußball: Jetzt geht's um den Ball

Die Münchner Streetboys spielen als queeres Team in der Kreisklasse. Bei einem Hallenturnier zeigt sich, worum es vor allem geht: ums Kicken.

Fußballteam mit blauen Trikots in der Halle beim Gespräch

Der alltägliche Ernst des Fußballs: Teambesprechung beim Hallenturnier in München Foto: Alexander Deeg

Das Turnier in der Multifunktionshalle Neuperlach findet nur 20 Autominuten von der Arena des FC Bayern entfernt statt. Sohlen quietschen auf dem Hallenboden, es riecht nach altem Turnschuh. Eine Regenbogenflagge hängt vom Geländer. Es sind nur vereinzelte Männerstimmen zu hören. „Hab ich! oder „Schöner Pass“.

Die erste queere Fußballmannschaft im DFB-Ligabetrieb, die Münchner Streetboys, haben anlässlich des Welt-Aids-Tags zum Indoorturnier geladen. Von den 15 Teams, die heute antreten, sind einige ebenso wie die Streetboys queere Mannschaften. Andere wiederum sind befreundete, nicht explizit queere Vereine, gegen die die Streetboys sonst in der Kreisklasse antreten.

Hier in Neuperlach gehen gegnerische Spieler Arm in Arm vom Platz oder umarmen sich herzlich zur Begrüßung. Man stößt hier auf viele Dinge, die anders – vielleicht sogar besser – laufen als im Profifußball. Der Umgang mit queeren Spielern zum Beispiel.

Während die Streetboys gerade auf dem Platz um den Einzug in die nächste Runde spielen, flitzt Christoph Hertzsch im Hintergrund des Turniers von einer Aufgabe zur nächsten. Christoph spielt Fußball seit er fünf Jahre alt ist, seit fast neun Jahren ist er aktiver Spieler bei den Streetboys. Die Google-Begriffe „schwul, Fußball, München“ haben ihn damals zu den Streetboys geführt: „Eine E-Mail, ein Training und ich war verliebt – also in den Verein“, sagt er und lacht kurz auf.

An diesem Turniersamstag ist er allerdings zu sehr mit der Organisation beschäftigt, um selber zu spielen. Nicht ohne Stolz zählt er die Länder auf, aus denen die Mannschaften für das Benefizturnier angereist sind: Italien, Irland, Tschechien und England.

Dass zu einem Fußballturnier so viele queere Spieler und ihre Fans aus ganz Europa zusammenkommen, ist ungewöhnlich. Wie schwer sich der Fußball mit einem Bekenntnis zu Queerness tut, zeigte die letzte Weltmeisterschaft in Katar nur allzu deutlich: Katars WM-Botschafter bezeichnete Homosexualität als „geistigen Schaden“, die Fifa verbot die als Zeichen der Toleranz konzipierte One-Love-Kapitänsbinde.

Platz in bayerischer Fußballwelt gefunden

In der C-Klasse, in der die Streetboys spielen, sind solche Zeichen der Solidarität weniger umstritten, erzählt Christoph Hertzsch. Zum Beispiel sei der Kapitän der Spielvereinigung Heimstetten mit einer Regenbogenbinde auf dem Spielfeld aufgelaufen – „ganz ohne großes Aufhebens“, sagt Christoph. Zu der Heimstettener Mannschaft pflegen die Streetboys auch außerhalb der Spiele ein freundschaftliches Verhältnis, trinken mal zusammen ein Bier nach Abpfiff. Auch zum Benefizturnier ist die Mannschaft angereist. Es sind genau diese kleinen Gesten, von denen Christoph berichtet, wenn man ihn nach schönen Momenten im Ligabetrieb fragt.

Dass eine queere Fußballmannschaft heute ihren Platz in der bayerischen Fußballwelt gefunden hat, war Anfang der Neunziger zur Zeit der Streetboys-Gründung noch undenkbar. Genauso wie ein Turnier wie dieses. Und tatsächlich sitzen in der Münchner Turnhalle verschiedenste Verbündete der queeren Gemeinschaft am Spielfeldrand: Fans in den rosa Trikots des Fußballklubs Rosa Teufel, Menschen mit der blau-rosa-weißen Fahne der Trans-Community in der Hand, Grauhaarige mit Regenbogenfanschals um den Hals und sogar Babys mit Regenbogenstramplern. Auf dem Trikot der italienischen Mannschaft Bugs Bo­logna heißt es: „We are all different“.

Einer, der weiß, wie es früher war, ist der Schiedsrichter Hans-Jürgen Gurtowski. Der groß gewachsene Mann mit den Hörgeräten in beiden Ohren pfeift schon seit 44 Jahren Fußballspiele, seit 23 Jahren ist er Schiri im queeren Fußball. Beim Turnier der Streetboys ist er ehrenamtlich im Einsatz. Er erinnert sich an eine Zeit, in der schwule Männer bei ihren Coming-outs noch mit dem Verdacht der Pädophilie umgehen mussten. Gleichzeitig habe die Aids-Krise die Homophobie gegen schwule Männer weiter befeuert.

Auch Simon Fortner, einer der Streetboys-Dienstältesten, berichtet von Hindernissen, mit denen die Fußballer bei ihrer Gründung 1994 zu kämpfen hatten. „Es war schwierig zu beweisen, dass man vom Gegner eigentlich nur die Punkte möchte – und nicht mehr“, sagt er.

Es kursierten noch viele Stereotype über schwule Fußballer, etwa über deren vermeintlich schwächere Schusskraft oder geringere Ballfertigkeit. Von verbaler bis zu körperlicher Gewalt hätten die Streetboys damals alles erlebt, sagt Simon. Jetzt meint er nur noch achselzuckend: „Ich war schwul in den Neunzigern – da macht es mir nicht mehr so viel aus wie früher, wenn mich mal einer ‚schwule Sau‘ nennt.“

Mit Klischees spielen

2024 sind die Streetboys 30 Jahre alt geworden, homophobe Beleidigungen auf dem Spielfeld sind mittlerweile die Ausnahme. Für ihr Jubiläum haben die Streetboys einen Kalender mit freizügigen Bildern der Spieler aufgenommen: Da flitzen die Männer mit nacktem Po über das Spielfeld oder seifen einander unter der Dusche ein. „Manchmal muss man auch etwas mit Klischees spielen“, sagt Christoph Hertzsch und grinst.

Das zahlt sich aus: Mit ihrem Kalender nehmen die Streetboys bei ihrem Benefiz­turnier Geld für die Aidshilfe ein. 2.600 Euro sind am Ende in der Kasse. Trotzdem gerät nicht in den Hintergrund, dass alle gekommen sind, um Fußball zu sehen. Wenn man die Spieler heute auf dem Platz sieht, scheint es absurd, dass sich schwuler Fußball noch immer beweisen muss.

Im Amateurfußball scheint etwas möglich zu sein, was fern der Realität im Profifußball ist. Christoph Hertzsch muss nicht lange überlegen, warum das so ist: „Das liegt an der Ignoranz und den wirtschaftlichen Interessen der großen Verbände.“

Auch Hans-Jürgen Gurtowski berichtet, dass im Profifußball weiterhin die Angst herrsche, nach einem Coming-out Sponsoren zu verlieren oder gar die Karriere beenden zu müssen. Und dann sind da auch noch massenhaft Fans in den Stadien, die Kollegen in der Mannschaftskabine. Im Amateurfußball gibt es hingegen wenig bis keine kommerziellen Interessen, am Spielfeldrand und in der Kabine treffen die Spieler auf Freunde und Bekannte.

Angesichts der letzten WM in Katar zuckt Christoph resigniert mit den Schultern: „Vor allem diese elendige Debatte um die Regenbogenbinde ist Ausdruck davon, dass sich Verbände nicht mit Queerness im Fußball auseinandersetzen wollen. Geld war in dem Moment anscheinend wichtiger als Menschenrechte.“ Für ihn ist klar: Nicht in erster Linie die Spieler, sondern die Fifa und der DFB hätten sich an die Seite queerer Menschen stellen müssen. „Die queere Community hat damit jedes Vertrauen in den DFB verloren.“

Lippenbekenntnisse gibt es vom DFB schon seit Jahrzehnten. Bereits 2012 wurde ein Dialogforum mit dem Titel „Vor dem Ball sind alle gleich – sexuelle Identitäten im Fußball“ organisiert. Auf dem Christopher Street Day in Frankfurt hat der DFB seit Jahren einen eigenen Wagen. 2021 setzte der Verband erstmals eine eigene Ansprechperson für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt ein.

Nur positive Vibes

Christoph Hertzsch begrüßt das zwar, hält eine einzige Person für die rund 7,4 Millionen Mitglieder aber für symbolisch. Für ihn sind diese „positiven Vibes“, wie er die Bemühungen des DFB nennt, zwar wichtig, aber nicht ausreichend. „Um die nötigen Strukturen für queere Spieler zu schaffen, muss schlussendlich auch mal Geld in die Hand genommen werden“. Nicht nur punktuell bei internationalen Turnieren, sondern auch in Trainingslagern, bei Fortbildungen und Mannschaftsbesprechungen müsse man grundlegend über Queerness im Fußball sprechen.

Die Erwartung, dass die Situation bei der EM in Deutschland besser sein könnte, ist bei vielen queeren Mannschaften und ihren Fans groß. Christoph Hertzsch sagt: „Es ist leicht, mit dem Finger auf andere zu zeigen, aber vor allem sollte man es selber besser machen.“

Auf die Frage, wie es denn beim Turnier in Deutschland queerfreundlicher zugehen soll, nennt das EM-Organisationsteam eine Reihe an Maßnahmen. Darunter ein bundesweites Awarenesskonzept, das in allen Stadien zum Einsatz kommen soll. Außerdem wird in Berlin ein sogenanntes Pride House als Safe Space für queere Menschen errichtet. Ein Ort, der Angebote wie Public Viewings oder Workshops beheimaten soll. In Berlin ist sogar der Lesben- und Schwulenverband LSVD bei den Turnierplanungen an Bord. „Die Anliegen queerer Menschen spielen bei der Planung der EM eine wichtige Rolle“, schreibt das Berliner Büro per Mail.

Beim Turnier in Neuperlach verpassen die Streetboys den Einzug ins Finale und werden Dritter. Im Finale geht es noch mal emotional zu. Als ein Schiedsrichter im Finale drei anstatt fünf Elfmeter schießen lässt, gibt es heftigen Protest. So heftig, dass der Schiedsrichter aufgewühlt den Platz verlässt: „Beleidigen lassen muss ich mich hier nicht!“ Einen besseren Beweis dafür, dass queerer Fußball wirklich stinknormaler Fußball ist, gibt es wohl nicht.

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