Radfahren: 30 Jahre und ein bisschen leise

Früher bestand der ADFC aus Hardcore-Radlern, die Kreuzungen besetzten und gegen Autofahrer wetterten. Drei Jahrzehnte später empfiehlt er seinen Mitgliedern die schönsten Ausflugsrouten.

Älter geworden: Radfahrer. Bild: DPA

In früheren Zeiten ging es noch laut zu beim Berliner Landesverband des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC). Die taz zitierte 1991 die Landesvorsitzende Uta Wobit, Autos seien eine „Gefahrenquelle für Leib und Seele“ und sollten total aus der Innenstadt verbannt werden. Autofahrern warf sie vor, diese wollten „auf Kosten der Gesundheit und Freiheit ihrer Kinder weiter der Autodroge fröhnen“. Eine Weile lang fotografierte Wobit falsch geparkte Autos und gab die Bilder der Polizei. Um die Forderung nach Tempo 30 durchzusetzen und an getötete Radfahrer zu erinnern, organisierte der ADFC Kreuzungsblockaden. Als die Polizei die Versammlungen verbot, sagte Wobit, sie werde die Teilnehmer auf das Verbot hinweisen. Was sie allerdings machen solle, „wenn die Leute nicht auf mich hören“, wisse sie auch nicht.

Ziviler Ungehorsam kommt heute beim ADFC nicht mehr vor. Die Jubiläumsfeier an diesem Sonntag auf dem Tempelhofer Feld ist als Familienfest konzipiert. Sogar Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler (SPD) kommt als Gast vorbei. Es war ein langer Weg bis hierhin. Martin Lutz war von Beginn an dabei. Er kam Anfang der Achtzigerjahre von München nach Berlin, um Meteorologie zu studieren. „Westberlin war damals eine vergleichsweise autoarme Stadt, es gab nur 300 Autos pro tausend Einwohner. Da hätte man denken können, es wäre viel Platz für Radfahrer“, sagt Lutz. „Aber die Verkehrsplanung war völlig auf das Auto ausgerichtet.“ Weil denen kein Platz genommen werden durfte, kamen die Radwege auf den Bürgersteig. Das ist aber die gefährlichere Alternative: Beim Rechtsabbiegen ist die Gefahr viel größer, dass Auto- und Lastwagenfahrer einen Radler übersehen. Der Radweg auf der Straße ist im Vergleich viel sicherer. Martin Lutz wollte den Ärger über diese Verkehrspolitik nicht in sich hineinfressen, sondern wurde im Verein aktiv – „obwohl es sehr frustrierend war damals, wir haben uns ziemlich abgekämpft.“

Am 28. Februar 1983 – gut drei Monate vor der offiziellen Vereinsgründung – berichtete die taz erstmals über den Berliner ADFC: Der machte eine Umfrage unter Passanten zur Zukunft der Schloßstraße. Die Einkaufsstraße hatte damals vier Spuren für Autos und einen schmalen Gehweg. Die meisten Passanten sprachen sich bei der Umfrage für eine Fußgängerzone aus, durch die nur Radfahrer und Busse fahren dürfen. Doch die Verantwortlichen in den Bezirksämtern reagierten abweisend. „Die meinten: Das geht ja gar nicht! Dann fehlt die Verkehrskapazität und es kommt zu Staus“, erinnert sich Lutz.

Der ADFC feiert seinen 30. Geburtstag am Sonntag von 14 bis 20 Uhr auf dem Tempelhofer Feld, zwischen Columbiadamm und Oderstraße. Es gibt einen Kinder-Fahrradparcours, Livemusik, ein Bühnenprogramm mit RBB-Moderator Ulli Zelle, Essen vom Grill, einen Kletterturm, einen Preis für das originellste Fahrrad und keine Hetzreden gegen den Senat.

Diese Ablehnung ist nach Ansicht von Martin Lutz auch der Hintergrund für die radikalen Forderungen der damaligen Zeit. „Wenn man so wie heute eine Verwaltung hat, die aufgeschlossen ist, braucht man nicht lärmend durch die Straßen ziehen und Aktionen machen“, findet er. „Der Stil hat sich geändert, weil sich das Gegenüber geändert hat.“ Auch die Mitglieder sind andere. Neben der „Hardcore-Radler-Fraktion“, wie Lutz die Aktivisten der ersten Jahre beschreibt, sind inzwischen viele Familien im ADFC – oder Freizeitradler, die unter der Woche sogar Auto fahren und vielleicht nur am Sommerwochenende mal eine Tour nach Brandenburg unternehmen. Der Verein bietet dieser Zielgruppe ein großes Serviceangebot, etwa Landkarten mit den schönsten Ausflugsrouten.

Die verkehrspolitisch Aktiven gibt es im Verband immer noch. Die müssen jetzt aber nicht mehr laut auf sich aufmerksam machen, sondern „werden von der Politik automatisch angehört und beteiligt“, findet Lutz. „Heute rennt man in der Verwaltung offene Türen ein.“ Jetzt sei das Problem, dass es nicht genug Geld gebe, um alles umzusetzen. Trotzdem: Radler haben viel mehr Platz in der Stadt als vor 30 Jahren. Und der Radverkehr hat dementsprechend zugenommen. Lutz: „Wenn ich zur Arbeit fahre, hat man manchmal vor der roten Ampel schon einen Stau von 20 Fahrrädern.“ Deshalb brauche der Radverkehr auch noch mehr Platz. In der Steglitzer Schloßstraße immerhin haben die Autos jetzt nur noch zwei statt vier Spuren – und die Radfahrer eine eigene.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.