Radsport in Berlin: Drei Männer und ein Geisterrad

Begegnung an einem weißen Fahrrad. Der Radsportler und Kurierfahrer Christian Jäger kam dort im Februar 2022 nach einer Kollision mit einem BMW ums Leben.

Sportsfreunde von Christan Jäger haben am Unfallort frische Blumen hingestellt und aufgeräumt

Sportsfreunde von Christan Jäger haben am Unfallort frische Blumen hingestellt und aufgeräumt Foto: taz

BERLIN taz | Gegenüber vom Hotel Adlon machen sich drei Männer auf der Mittelinsel an einem Geisterfahrrad zu schaffen. Sie zupfen an der Girlande, entsorgen vertrocknete Pflanzen, stellen ein frisches Gebinde mit roten und weißen Blumen in die Vase. „Nee, heute ist kein Jahrestag“, sagt einer der drei mit Fingerzeig auf das Schild mit dem schwarzen Kreuz, das an der Stange des weiß angemalten Rads hängt. „Wir wollten hier nur mal Ordnung machen.“

57 Jahre alt war der Radsportler und Kurierfahrer Christian Jäger, als es ihn am 24. Februar 2022 gegen 9.45 Uhr an dieser Stelle im Bezirk Mitte erwischte. Auf der Kreuzung Wilhelmstraße Unter den Linden kollidierte er mit einem BMW, erlitt lebensgefährliche Verletzungen und starb wenige Stunden später im Krankenhaus. Über 30 Jahre lang sei er als Kurier unfallfrei durch die Stadt gefahren, heißt es in seinem Lebenslauf, der an der Gedenkstelle an einem Laternenpfahl klebt.

Seit Jahren stellt der ADFC weiß angemalte Fahrräder an Unfallorten auf, wo Radfahrer ums Leben gekommen sind. Veranstaltet wird einmal pro Jahr auch ein „Ride of Silence“, eine Rundfahrt zu den Unfallorten.

Eine gute Aktion, finden die drei Männer, die am Montag um das Geisterrad herumwuseln und eigenen Angaben zufolge jenseits der 70 sind. Der eine trägt eine grüne Lederjacke und Zwirbelbart, der Zweite ein gelbes Basecap und hautenge Rennfahrer-Funktionskluft. Bei dem Dritten, dem Größten der Gruppe, lugt ein blaues Rennfahrer-Shirt unter dem Anorak hervor.

Bike-Polo auf dem Tempelhofer Feld

Klar hätten sie Christian Jäger gekannt. In ihrem Club, dem RV Berlin 1888, habe er zu den Besten gehört. Sie seien eher ein alternder Club, sagt Peter Müller, der Größte des Trios. Jüngere Mitglieder des RV 1888 seien eher an Bike-Polo interessiert, sagt Müller und macht bei der Gelegenheit auf ein Event diese Woche aufmerksam: Am Mittwoch starte auf dem Tempelhofer Feld die European Bikepolo Championship 2023.

Bis 5. August findet das Turnier von 9 bis 21 Uhr. statt. Laut Website haben sich 48 Teams aus aller Welt angemeldet. Von Fahrradkurieren aus Seattle ins Leben gerufen, habe sich Bikepolo in den letzten Jahren im Zuge des Fahrradbooms zu „einer der größten urbanen Trendsportarten entwickelt“, heißt es dort.

Natürlich würden sie auf dem Tempelhofer Feld vorbeigucken, erzählen die drei – aber als Zuschauer. Zum Mitmachen ziehe es sie nach St. Johann in Tirol, wo vom 17. bis 21. August 2023 der Radweltpokal stattfindet. Auch Senioren können sich dort auf altersgerechten Strecken in Wettrennen messen.

Christian Jäger hatte als Rennfahrer diverse Pokale geholt, so steht es in seinem Lebenslauf an der Laterne. Auch an den Meisterschaften der Fahrradkuriere nahm er teil. Für das Jahr 2022 hatte er bereits eine Rennsportlizenz gelöst.

Bis heute wüssten sie nicht, ob der tödliche Unfall für den 27-jährigen BMW-Fahrer ein gerichtliches Nachspiel hatte, sagen die Sportfreunde. Ob die taz nicht mal nachfragen könne?

Verfahren eingestellt

Der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Sebastian Büchner, teilte am Montag auf Anfrage mit, das Verfahren gegen den Fahrer sei am 8. Mai 2023 eingestellt worden. Nach dem „unstreitigen Ergebnis der Ermittlungen“ habe der Beschuldigte zum Unfallzeitpunkt einen epileptischen Anfall erlitten. Die Krankheit sei ihm zwar bereits seit längerem bekannt gewesen, „jedoch befand er sich seither in ärztlicher Behandlung und war medikamentös ordnungsgemäß eingestellt“.

Dies habe dazu geführt, dass der Beschuldigte länger als ein Jahr vor dem Unfallgeschehen nicht mehr an einem Anfall litt. Der Vorwurf einer möglichen Verletzung der Sorgfaltspflicht sei ihm nicht zu machen. Eine Beschwerde gegen diese Entscheidung sei nicht eingelegt worden, so Büchner.

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