Rassismus im Lebensalltag: Eine beschissene Entscheidung

Was bringt Leute dazu, Rassisten zu werden? Ein Klärungsversuch beim Vorweihnachtsessen unter Freunden.

Ein Teilnehmer steht während einer Kundgebung der islam- und fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung auf dem Wiener Platz vor einer Deutschlandflagge und hält ein Smartphone.

Rassismus ist wie eine toxische Schleimkugel: Teilnehmer einer Pegida-Kundgebung 2021 in Dresden Foto: dpa/dpa-Zentralbild | Sebastian Kahnert

„Diese Eva Herman war ja irgendwie ihrer Zeit voraus“, sagt der Freund beim Vorweihnachtsessen und steckt sich einen Geleekringel in den Mund.

„Das ist ja nun wirklich ein widerlicher Gedanke!“, sagt seine Frau.

„Ach, war das diese entgleiste Nazi-Nachrichtensprecherin?“, fragt die Freundin.

„Genau, die hatte so ein Buch geschrieben, in dem stand, die Nazis hätten Frauen noch zu schätzen gewusst in ihrer natürlichen Beschaffenheit als Mutter und Hausfrau.“

„Dark Feminist!“

„Aber wohin ist die abgetaucht? Wieso macht die nicht Karriere in der AfD?“

„Ist die nicht nach Panama?“

„Moderiert irgendwas in den fauligen Zonen des Internets.“

„Aber hat die dann nicht noch ne Rolle in Hollywood bekommen?“

„Nee, warte, das war die andere mit dem Goldhaar: Susan Stahnke! Die hat da Karin Göhring gespielt.“

„Die waren beide bei der Tagesschau?“

„Früher waren da alle blond, das gehörte zum guten Ton.“

„Stahnke wurde gefeuert, weil sie Erotikfotos gemacht hat, Hermann, weil sie die Frau wieder hinter den Herd stellen wollte.“

„Du kannst es als Frau einfach niemandem Recht machen.“

„Naja, es muss ja nicht gleich ein Nazi-Herd sein.“

„Die hat so übel rechts rausgehauen, dass sie sogar bei JB Kerner rausgeflogen ist.“

„Hat man da auch schon canceln gesagt?“

„Glaub nicht, aber hat auch ohne das Wort nix genützt, das Grauen zu shamen.“

„Ja, es rollt und rollt als toxische Schleimkugel, sammelt dabei jeglichen Dreck auf und wächst so weiter.“

„Irgendwie tun Rassisten mir manchmal leid.“

„Jetzt ist aber Schluss mit Glühwein und Zucker, Rassisten sollten dir niemals leidtun!“

„Naja, aber es ist doch bemitleidenswert im Kopf so dermaßen klein und elendig zu sein.“

„Nein, Rassismus ist eine selbst getroffene Entscheidung, wenn du erwachsen bist, genauso wie die Entscheidung, ob du … hier, was weiß ich … deine Wohnung mit Raufaser tapezierst oder nicht.“

„Du kannst Rassismus doch nicht mit einer Raufasertapete vergleichen!“

„Nee, aber du entscheidest dich definitiv aktiv für das Schlechte und Hässliche in deinem Lebensalltag – oder eben dagegen.“

„Aber Rassismus ist schon schlimmer als Raufaser.“

„Sicher, aber darum geht es nicht, es geht darum beschissene Entscheidungen zu treffen und dann so zu tun, als würden die von allein an der Wand kleben.“

„Und als könnte man die nicht auch wieder ab spachteln.“

„Aber entscheidet man sich nicht für etwas, weil man meint, es werde für innere Zufriedenheit sorgen?“

„Oder zumindest äußere.“

„Bei einer Tapete wohl schon.“

„Du meinst, Leute werden Rassisten, weil sie meinen, das mache sie froh?“

„Wenn sie außer Deutschsein sonst nix weiter im Leben haben, womöglich schon.“

„Aber dann könnte ich mich ja auch daran aufbauen, dass ich … sagen wir mal … eine Nase habe.“

„Genau, du denkst es dir so hin: Du bist wer, weil du eine Nase hast.“

„Aber alle haben doch eine Nase.“

„Genau, also brauchst du eine superspezielle Nase und musst dir die in deinem Hirn zusammenbrauen.“

„Eine deutsche Nase.“

„Exakt.“

„Ich habe eine deutsche Nase, also bin ich.“

„Original deutscher Knorpel.“

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Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr neuer Roman Roman „Auf Wiedersehen“ ist im April 2023 im Weissbooks Verlag erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

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