Rechter Terror: Der Schatten

Im Verfahren gegen die Gruppe Freital wird es heikel. Mischten Verfassungsschutz und Polizei mit? Hätte ein Anschlag verhindert werden können?

Zwei Fenster und eine rosa Hauswand, eines davon mit Holz statt Glas

„Böller wie Splitterbomben“: Die Wohnung Geflüchteter in Freital nach einem der Anschläge Foto: dpa

Der Vorwurf dürfte Peter Frank ärgern, sehr sogar. Es geht um den Fall Freital, eine Serie rechter Straftaten in Sachsen. Der Generalbundesanwalt hat ihn übernommen und angeklagt: als Rechtsterrorismus. Nun heißt es, ein Polizist habe die Gruppe vor Einsätzen seiner Kollegen gewarnt, habe mitgeteilt, wann sie besser verschwinden sollten.

Ja, sagt Franks Sprecherin, dem Verdacht werde nachgegangen. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Dresden ermittele. Mehr könne sie nicht sagen. Die Probleme sind damit aber nicht am Ende.

Im November hatte die Bundesanwaltschaft Anklage gegen sieben Männer und eine Frau der Freitaler Gruppe erhoben: Über Monate sollen sie in der Kleinstadt vor Dresden Straftaten verübt haben. Zwei Asylunterkünfte wurden mit Sprengsätzen angegriffen, das Auto eines Linkspartei-Politikers abgebrannt, das Büro seiner Partei demoliert, ein linkes Wohnprojekt in Dresden attackiert.

Die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft ermittelte und sah darin keinen Terror. Peter Frank, oberster Ankläger der Republik, tat es – und übernahm.

Signal der Härte gegen rechte Gewalt

Es war ein Signal der Härte gegen die bundesweit immer weiter ausufernde Gewalt gegen Flüchtlinge. Nun aber droht das Verfahren von einer anderen Frage überlagert zu werden: Bringen Sachsens Sicherheitsbehörden den Prozess in Gefahr?

Denn da ist nicht nur der Polizeispitzel, noch ein weiterer Fall ist ungeklärt: Was hatte es mit dem Kontakt des Verfassungsschutzes zu einem Gruppenmitglied auf sich? Diese Frage treibt vor allem Endrik Wilhelm um. Er ist Verteidiger von Maria K., einer der Angeklagten.

„Ich möchte, dass dieses Verfahren so rechtsstaatlich läuft, wie es laufen sollte. Und da stellt sich gerade schon die Frage der Mitverantwortung der Ermittlungsbehörden“, sagt der Dresdner Anwalt. Wilhelm reichte inzwischen Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft ein: wegen Beihilfe durch Unterlassen.

Im Juli 2015 hatte die Freitaler Gruppe mit ihrer Gewaltserie begonnen. Ihre Anschläge verabredeten sie über eine geheime Gruppe in einem Messengerdienst, den „Schwarzen Kanal“.

Aus Tschechien besorgten sie Hunderte illegale Böller. Einige, so stellten die Ermittler fest, hatten eine 130-fach stärkere Wirkung als Silvesterfeuerwerk. Damit schlugen die Neonazis nachts zu.

Geheime Chatprotokolle

Drei Monate nach der ersten Tat, im Oktober 2015, meldete sich schließlich eines der Mitglieder bei der Polizei. Er wolle auspacken, sagte er, aber dafür Vertraulichkeit zugesichert bekommen.

Die Polizei verwies ihn zunächst an den Verfassungsschutz. Später bekommt der Mann seine Vertraulichkeit, wird von der Polizei vernommen – und liefert die geheimen Chatprotokolle. So bestätigten es Vertreter von Verfassungsschutz und Generalstaatsanwaltschaft im Rechtsausschuss des Sächsischen Landtags.

Allerdings: Wenige Tage nach Auftauchen des Informanten begeht die Gruppe ihren letzten und schwersten Anschlag – eine weitere Sprengstoffattacke auf eine Asylunterkunft in Freital. Die Gruppe platziert die Böller direkt vor den Fensterscheiben.

Der Syrer Ibrahim R. wird von umherfliegenden Glassplittern an der Stirn und am Auge verletzt, drei andere Bewohner flüchten im letzten Moment aus dem Raum. Die Bundesanwaltschaft wertet die Tat als versuchten Mord.

„Wesentliche Informationen auf dem Silbertablett“

Hätte der Anschlag verhindert werden können? Denn es gab ja nun den Informanten. Zudem schnitt die Polizei bereits über Wochen die Telefongespräche einiger Verdächtiger mit.

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„Man muss schon fragen, warum diese Erkenntnisse nicht genutzt wurden, um Schlimmeres zu verhindern“, sagt Endrik Wilhelm. Er ist mit der Kritik nicht allein.

Der sächsische Grünen-Innenpolitiker Valentin Lippmann findet: „Die wesentlichen Informationen lagen auf dem Silbertablett.“ Der Eindruck, dass die Polizei den Anschlag hätte verhindern können, dränge sich auf.

Die Behörden weisen den Vorwurf zurück. Man habe dazu ein Prüfverfahren eingeleitet, sagt die Sprecherin der Bundesanwaltschaft. Der Verdacht habe sich „bislang nicht erhärtet“. Auch der sächsische Verfassungsschutz widerspricht, von dem Anschlag auf die Flüchtlingsunterkunft gewusst zu haben. Nur ein einziges Treffen habe es mit dem Informanten gegeben: eine „Nullnummer“. Nichts habe man dabei über die Gruppe erfahren.

Nicht nur die Verteidiger, auch Anwälte der Nebenklage bleiben skeptisch. „Warum hatte der Verfassungsschutz überhaupt Kontakt zu dem Mann?“, fragt Kristin Pietrzyk, die Ibrahim R. vertritt. „Der hat da nichts zu suchen. Das ist doch eine klare Sache der Strafverfolgungsbehörden.“

Vertraulichkeit aufgehoben

Tatsächlich war der Informant aus der Freital-Gruppe nicht nur Mitläufer. Schon im Juni griff er mit Timo S., heute angeklagt als Rädelsführer, und einem dritten Komplizen Flüchtlingsunterstützer an.

Mit dem Auto versuchten sie, deren Wagen von der Straße zu drängen. Als die Verfolgungsjagd schließlich zum Halten kam, zerschlug der dritte Angreifer die Autoscheiben mit einem Baseballschläger.

Auch bei dem Angriff der Freitaler auf ein linkes Wohnprojekt in Dresden war der Informant dabei. Er gehörte zur Gruppe, die mit Böllern und Steinen die Vorderseite des Hauses attackierten. Die zweite Fraktion griff mit Buttersäure von der Hinterseite an.

Kurz nach der Attacke meldete sich der Mann bei der Polizei. Dass er, trotz der Straftaten, Vertraulichkeit zugesichert bekam, ist für Verteidiger Endrik Wilhelm ein Unding. „So etwas geht bei einem Beschuldigten nicht.“

Erst im Juli dieses Jahres wurde die Vertraulichkeit aufgehoben – ein dreiviertel Jahr nach den ersten Festnahmen. Das zeigen Ermittlungsakten, die die taz einsehen konnte. Zu den acht heute Angeklagten gehört der Informant dennoch nicht. Gegen ihn wird gesondert ermittelt.

Es bleibt nicht die einzige Ungereimtheit. Ungeklärt ist auch die Sache mit dem Polizisten. In einer Vernehmung hatte der mutmaßliche Anführer, Timo S., behauptet, der Mitangeklagte Patrick F. habe einen Bekannten bei der Bereitschaftspolizei, der sie über Polizeieinsätze informiert habe – und darüber, wann sie sich besser aus dem Staub machen sollten. So berichtete es die Zeit. Patrick F. soll den Ermittlern auch den Namen des Beamten genannt haben.

„Pures Behördenversagen“

Ein Polizist als Tippgeber für Terroristen? Dieser Vorwurf wiegt schwer. Die Dresdner Staatsanwaltschaft geht ihm nach. Sie ermittelt seit Donnerstag konkret gegen einen Beamten. Der Vorwurf: Verletzung von Dienstgeheimnissen.

Die Grünen haben beantragt, dass sich der Sächsische Landtag bereits am Dienstag mit den Vorwürfen befasst. „Durch pures Behördenversagen wird einer der wichtigsten Prozesse der jüngsten Zeit ins Wanken gebracht“, kritisiert Innenexperte Lippmann.

Für Nebenklageanwältin Pietrzyk ist klar, dass die Rolle von Polizei und Verfassungsschutz auch im Prozess thematisiert werden muss. „Dass hier eigenartig agiert wurde, ist offensichtlich.“

Dass der Prozess, der im Frühjahr 2017 beginnen soll, noch platzt, glaubt Pietrzyk allerdings nicht. „Dafür sind die Beweise der Anklage zu stark.“ Der Bundesanwaltschaft liegen neben den Chatprotokollen inzwischen auch Geständnisse einiger Beschuldigter vor.

Der Gruppe ging es darum, ein „Klima der Angst“ zu schaffen, heißt es in der Anklage. Sie sei hierarchisch organisiert gewesen, verhielt sich konspirativ, plante ihre Taten genau. Und sie nahm die Tötung von Menschen „billigend in Kauf“. Ihre Böller hätten wie Splitterbomben gewirkt. All das spreche für Terrorismus.

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