Redaktionsbesuch bei RT Deutsch: Propaganda? Welche Propaganda?

RT Deutsch sieht sich als die Gegenstimme zu anderen Medien. AfDler reden dort unkommentiert, bei Sigmar Gabriel wird kritisch nachgefragt.

Sigmar Gabriel in dem Studie von RT Deutsch

Umstritten: Sigmar Gabriel gibt dem Sender RT Deutsch ein Interview Screenshot: RT Deutsch

BERLIN taz | Auf Russia Today (RT) spricht Sigmar Gabriel von der Wahrheit. Vier Tage vor der Wahl geht das Video online: der Außenminister im Interview mit dem deutschen Ableger des russischen TV-Senders, als erstes Regierungsmitglied überhaupt.

Es geht um Nato, Kreml und schließlich die AfD. „Die Wahrheit ist: An der Spitze der AfD stehen Vertreter, die nichts anderes sind als Neonazis“, sagt der SPD-Mann. Die Moderatorin will dazwischen gehen, schafft aber nur einen halben Satz. „Junge Dame, lassen Sie mich mal ausreden“, sagt Gabriel und erklärt, warum es ihn vor der Rechtspartei graut.

Geht das denn? Ein deutscher Minister auf Russia Today? „Schande!“, schreibt ein Reporter der Bild auf Twitter, „verlogen!“, ein Abgeordneter der Grünen. Der Sender ist umstritten.

Seit drei Jahren unterhält Russia Today, finanziert vom russischen Staat, eine Redaktion in Berlin. Unter dem Label „RT Deutsch“ stellt sie Texte und Videos ins Internet. Katzenbilder neben Erfolgsmeldungen der russischen Armee, Aufzeichnungen von Merkel-Reden neben Interviews mit Verschwörungstheoretikern. Ein Gemischtwarenladen, der gut ankommt: Auf Facebook hat RT Deutsch 320.000 Likes. Den User-Kommentaren zufolge machen antiimperialistische Linksradikale und AfD-Fans einen großen Teil aus.

Markenkern: Wir gegen den Rest

„Wir sprechen diejenigen an, die nicht fassen können, warum bei entscheidenden Themen in allen Leitmedien, von der taz bis zur FAZ, das gleiche Narrativ herrscht und fast groteskerweise die gleichen Sprachregelungen gelten“, sagt Chefredakteur Ivan Rodionov. „Wenn es um den Konflikt zwischen Nato und Russland geht, um die Ukraine, um Syrien, um den Euro, um die EU und in der Innenpolitik mit gewissen Abstrichen auch um die AfD.“

Wir gegen den Rest, das ist der Markenkern des Senders.

Der Rest greift seinen Sender auch oft genug an. Diese Woche veröffentlichte das Vice-Magazin eine Auswertung der Facebook-Einträge von RT Deutsch, 42 Prozent entsprächen nicht der Wahrheit. Die EU sprach im Frühjahr von „prorussischer Desinformation“. SPD-Bundestagsfraktionschef Thomas Oppermann warnte, der Sender liefere „einseitige russische Pro­paganda“. Die Befürchtung damals: Mit Hilfe des Senders beeinflusse Putin die Bundestagswahl.

Und, hat er?

Vielleicht erklärt das den Erfolg von RT Deutsch: Wer mit Widerspruch schwer klarkommt, muss ihn dort nicht ertragen

Ein Besuch bei RT Deutsch in Berlin-Adlershof, einem Gewerbegebiet im Osten. Der Chefredakteur empfängt nicht in seinem Büro, sondern im Studio. Die Scheinwerfer leuchten, ein Kameramann steht bereit. Kommen wir jetzt ins Fernsehen? Nein, versichert ein Mitarbeiter, man zeichne nur den Ton auf, falls es hinterher Streit über die Zitate gebe.

Für jeden etwas dabei

Wenn Angriff die beste Verteidigung ist, dann ist Rodionov in bester Verteidigungshaltung. Die Vorwürfe des Vice-Magazins? Könne er nicht nachvollziehen. Über zugespitzte Überschriften könne man streiten, aber das gelte auch für andere Medien.

Rodionov greift zu einem Klemmbrett mit Artikeln aus der taz, die er vor dem Interview ausgedruckt hat. „Die taz titelt zum Beispiel: ‚Regisseur hinter Gittern‘. Es geht um den russischen Regisseur Kirill Serebrennikow, der in Wirklichkeit unter Hausarrest steht. Insofern ist ‚hinter Gittern‘ eine Falschmeldung“, sagt er.

Ein Blick ins Archiv: Der Regisseur wurde am 22. August festgenommen und verbrachte eine Nacht im Gefängnis. Am nächsten Tag erschien die Überschrift in der taz, gleichzeitig entschied ein Gericht auf Hausarrest. Das stand dann einen Tag später in der Zeitung.

Was soll’s, wir wollten über die Bundestagswahl reden. RT Deutsch hat auf seiner Webseite eine Wahlkampfrubrik eingerichtet, 96 Beiträge seit Anfang Juni: ein Interview mit dem Linksparteiler Diether Dehm und eines mit dem Grünen Omid Nouripour, ein Clip mit der Pro-Erdoğan-Partei ADD und eine Wahlkampfrede von Angela Merkel, ein Bericht über russische Plakate der AfD und ein Ausschnitt aus der ARD-„Wahlarena“ mit Martin Schulz. Für jeden ist etwas dabei.

Eines haben viele der Beiträge aber gemeinsam: Die Redaktion hält sich zurück. Da wäre etwa ein Drei-Minuten-Interview mit FDP-Vize Wolfgang Kubicki, in dem der Reporter nur die Stichworte einwirft und bei keiner Antwort nachhakt. Was fordern Sie in der Ostpolitik? Mit Russland reden, auch wenn die Besetzung der Krim widerrechtlich war. Was sagen Sie zur Digitalisierung? Ist wichtig.

Ähnlich ein Clip mit dem AfD-Politiker Alexander Tassis, Sohn eines Griechen und Mitglied der Bremischen Bürgerschaft. „Die CDU ist dermaßen nach links gerückt, dass wir als Migranten die Stimme sein wollen aller na­tio­nalkonservativen Menschen“, sagt er, unterlegt mit Gitarrenmusik. Nach Widersprüchen zwischen Biografie und Posi­tio­nen fragt niemand.

Warum halten die Reporter in vielen Fällen nicht dagegen? „Das ist ein Grundstein der Journalistik: Den Akteuren einfach das Wort geben, sie unkommentiert sprechen zu lassen und ihre Meinungen so wiederzugeben, wie sie eben sind“, sagt Chefredakteur Rodionov.

Interviews ohne Widerspruch

Andere Medien definieren ihre Rolle breiter. Sie bieten seltener nur eine Plattform, ordnen dafür öfters ein, fragen nach und widersprechen. Vielleicht erklärt das den Erfolg von RT Deutsch: Wer mit Widerspruch schwer klarkommt, muss ihn dort nicht ertragen. Gerade für AfD-Anhänger eine Erholung: regelmäßig neue Clips mit ihren Kandidaten, unplugged und ohne Marietta Slomka.

Aber ist das schon Propaganda? Rodionov würde das abstreiten; er weist schon den Vorwurf zurück, eine Plattform für Radikale zu bieten. Sein Sender gehe auf alle zu, es sprächen nur nicht alle mit ihm. Wenn die Redaktion Interviews bei CDU, SPD und Grünen anfrage, würde sie oft ignoriert oder bekäme Absagen. Bei Medienkollegen, mit denen sie sprechen möchte, sei es genauso.

Schon wieder: Russia Today gegen den Rest. Und was würde es nun für den Sender bedeuten, wenn diese Erzählung nicht mehr aufginge?

Sigmar Gabriel sitzt während seines Interviews mit RT Deutsch ganz entspannt im Sessel. Es gebe nun mal Menschen in Deutschland, die russisches Fernsehen schauen, sagt er. Also müsse er darin vorkommen.

Zwanzig Minuten dauert der Clip. Die Moderatorin hakt diesmal nach, immer wieder, nicht übermäßig aggressiv, nur kritisch. Fast ein normales Interview – bis am Ende der Außenminister auf Attacke schaltet.

Nach Sigmar Gabriels Tirade gegen die AfD-Spitze fasst die Moderatorin nach. „Keine Entspannungspolitik mit der AfD?“, fragt sie ihn. „Es gibt mit Nazis keine Entspannungspolitik. Ich würde es auch nicht so verharmlosen, wie Sie es gerade machen“, antwortet Gabriel. Der Clip dauert jetzt noch fünf Sekunden. Die Moderatorin sagt nur noch: „Danke schön.“

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