Referentin für Gesundheitspolitik über Altenpflege-Tarifvertrag: „Pflege konkurriert mit Handel“

Tarifvertrag für Altenpflege-Azubis soll in Bremen allgemeinverbindlich werden – um Anschluss ans Lohnniveau der Krankenpflege zu halten.

Krystyna Nieroda liebt ihren Beruf als Pflegekraft im Stadtteilhaus St. Remberti. Foto: Ann-Kathrin Just

taz: Frau Bury, verdienen Beschäftigte und Azubis in der Altenpflege zu wenig?

Carola Bury: Das lässt sich so verallgemeinert nicht sagen. Was wir allerdings genau wissen, ist: Wir brauchen in Zukunft mehr Beschäftigte und deshalb auch mehr Auszubildende in der Pflege. Und um die zu bekommen, muss die Branche konkurrenzfähig sein.

Was meinen Sie mit konkurrenzfähig?

Die Pflege konkurriert ja auch mit dem Handel oder Handwerk um potenzielle Auszubildende. Will man junge Menschen für die Pflege gewinnen, müssen die Bedingungen gut sein – und zwar sowohl in der Ausbildung als auch was die Arbeit der fertig Ausgebildeten betrifft.

Und das wird durch einen Tarifvertrag verbessert?

Auf jeden Fall auch: Wir haben hier ja jetzt erstmals bundesweit einen Tarifvertrag für die Auszubildenden in der Altenpflege. Die sind finanziell bislang deutlich schlechter gestellt als beispielsweise die in der Krankenpflege: Hier sorgt der Tarifvertrag, den Ver.di mit den Arbeitgebern der freien Wohlfahrtspflege ausgehandelt hat, dafür, dass der Anschluss nicht verloren geht.

59, Referentin für Gesundheitspolitik der Arbeitnehmerkammer.

Aber normalerweise müsste doch der Preis steigen: Wenn es wenig Azubis gibt, müssten die sich doch die Lehrstelle aussuchen können?

Das ist im Handel oder beim Handwerk so, aber nicht bei der Altenpflege.

Wieso?

Da ist zuerst die Frage: Wie viel Schulplätze stehen zur Verfügung. Die waren bisher nicht beliebig nach oben zu generieren wie im Handwerk. Deshalb fordern wir mit der Gewerkschaft und mit Arbeitgebern gemeinsam, die Zahl der Schulplätze zu erhöhen.

Nun schlägt der Arbeitgeberverband Pflege vor, einen bundesweiten Tarifvertrag auszuhandeln, auch damit die Vereinbarungen in Bremen und Niedersachsen nicht für allgemeinverbindlich erklärt werden. Wäre das eine Lösung?

Es kommt ja immer darauf an, wer durch einen Tarif gebunden wäre, und inwiefern Tarifflucht möglich ist. Hier haben die Wohlfahrtsverbände verhandelt – und durch diesen neuen Tarifvertrag liegen die Ausbildungsvergütungen 20 Prozent höher als bislang. Dass ein bundesweiter Tarifvertrag mit anderen Verhandlungspartnern auch einen so großen Schritt machen würde, ist nicht sicher.

Dieser große Schritt ist eine Botschaft?

Ja. Ich denke, das ist ein Signal an die jungen Menschen: Hier ist eine Branche, die versucht, gute Arbeitsbedingungen herzustellen. Deswegen sind ja auch Urlaubsanspruch und Wochenarbeitszeit neu geregelt. Das Schlagwort ist: Die Konkurrenz darf nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden. Eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung hier in Bremen würde das bekräftigen.

Die Arbeitgeberverbände der Branche bestreiten, dass die Konkurrenz auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird: Wo sind die Belege fürs Schlagwort?

Ich verstehe nicht, warum sich die privaten Arbeitgeber gegen die Allgemeinverbindlichkeit sträuben, wenn sie doch – wie sie behaupten – das Gleiche bezahlen. Dann würde nur etwas zur Pflicht erklärt, was doch ohnehin Praxis ist.

Wenn es keinen positiven Befund für einen Konkurrenzkampf auf Kosten der ArbeitnehmerInnen gäbe, wäre es eine weitere Regulierung eines ohnehin stark regulierten Bereichs.

Die Untersuchungen der Boeckler-Stiftung – die letzte war 2013 – zeigen, dass auch in der Pflege tarifgebundene Unternehmen rund 24 Prozent höhere Gehälter zahlen als ungebundene. Es ist ebenso festgestellt worden, dass befristet Beschäftigte deutlich weniger verdienen als unbefristet Beschäftigte. Die Untersuchungen zeigen, dass es sinnvoll ist, hier wieder zu weitreichenden Tarifverträgen zu kommen. Dieses ist ein erster Schritt in Bremen.

Es hat noch nie einen Tarifvertrag in dieser Branche gegeben.

Das ist richtig. Es hat früher aber Situationen gegeben, in denen sehr viel mehr Beschäftigte der Altenpflege Teil des öffentlichen Dienstes waren. Was ich Ihnen zugebe ist, dass die Tarife nicht der einzige Punkt sind, an dem die Situation sich ändern muss: Hier liegt noch einiges im Argen.

Nun soll die Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Azubi-Vertrags ja laut Arbeitnehmerkammer nur „ein erster Schritt sein“ und den Tarifvertrag für die gesamte Branche vorbereiten: Aber fertig Ausgebildete sind doch wohl in der Lage, sich einen Job zu suchen und wegzuziehen?

Das tun ja auch manche. Und es gibt auch Arbeitgeber, die das bewusst einsetzen und Kopfprämien zahlen. Nur es kann ja nicht Sinn und Zweck sein, dass punktuell einzelne Verbesserungen angeboten werden. Es ist wichtig, dass eine Untergrenze eingezogen wird.

Es gibt doch einen Mindestlohn?

Aber einen ganz niedrigen: Im Moment haben wir in der Pflege 9,40, ab 1. Januar 9,70 Euro. Wir liegen also deutlich unter 10 Euro – und wir sprechen von einer schweren und belastenden Arbeit.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.