Regisseur über Kafkas „Acht Oktavhefte“: „Franz Kafka beim Denken zuschauen“

Thom Luz inszeniert in Hamburg „Die acht Oktavhefte“. Er verspricht eine Detektivgeschichte, die sich am Ende in musikalischer Verdichtung erschließt.

Comic-Ausstellung zu Motiven von Franz Kafka

Inspiriert Viele: Franz Kafka Foto: Piotr Wittman/dpa

taz: Thom Luz, wie kamen Sie auf Franz Kafka und seine „Acht Oktavhefte“?

Thom Luz: Ich fühle mich in Kafkas rätselhafter Klarheit, seinem Humor, der nicht als solcher gleich erkennbar ist, und seiner nachdenklichen Sicht auf die Welt wohl. Als ich diese Oktavhefte gefunden habe, hat mich zunächst der kryptische Titel angezogen, der ein Geheimnis zu tragen scheint. In diesen Notizbüchern, Tagebüchern, aber auch Skizzen und Zeichnungen kann man Franz Kafka beim Denken zuschauen. Das ist natürlich ein großes Vergnügen.

Sie hätten dieses Vergnügen für sich behalten können.

Der allererste Satz in den Oktavheften war für mich wie eine musikalische Einladung: „Jeder Mensch trägt ein Zimmer in sich. Diese Tatsache kann man sogar durch das Gehör nachprüfen.“ Da habe ich gespürt: „Das muss ich weiterverfolgen.“ Ich war auf der Spur dieses Zimmers – und des Gehörs. Nach und nach haben sich immer mehr Fragmente einer Geschichte zusammengesetzt. Es gibt ein Zimmer – es wird auch ein Haus beschrieben und eine große Mietskaserne in einer mittelalterlichen Stadt –, aber immer wieder ein einsames Individuum in besagtem Zimmer, das horcht und Klänge beschreibt: Auf dem Dachboden rumpelt es, beim Südtor wird Trompete gespielt … Ich glaube nicht, dass es eine Geschichte ist, die Kafka intendiert zusammengesetzt hat. Sie ergibt sich durch Detektivarbeit.

Bei dieser Detektivarbeit entstand dann die Idee für einen Theaterabend?

Thom Luz

1982 in Zürich geboren, inszeniert in der freien Szene und an Stadttheatern in der Schweiz, Deutschland und Frankreich – nun erstmals am Schauspielhaus.

Eine Geschichte an einem Ort zu entdecken, an dem man sie nicht auf den ersten Blick erkennt, bereitet mir großes Vergnügen. Wenn ich ins Theater gehe, freue ich mich, wenn es Raum für Entdeckungen gibt. „Room to dream“ nennt es David Lynch. Als Zuschauer möchte nicht eine fertige Sache in den Schoss geschmettert bekommen. Ich liebe es sehr, wenn ich mich in meinem Stuhl vorlehnen und etwas entdecken kann, was die Person im Sitz neben mir vielleicht noch nicht entdeckt hat, wenn auf der Bühne, wie ja auch auf der Welt, viele Dinge gleichzeitig geschehen und man diese in Beziehung zueinander bringen kann. Diese Gleichzeitigkeit hat sich auch bei der Lektüre der „Acht Oktavhefte“ eingestellt.

In Kafkas Texten gibt es oft einen Plan, der sich dem/der Le­se­r*in – oder Hauptfigur – nicht gleich erschließt.

Alles bei Kafka folgt einem unsichtbaren Regelwerk. Dieses Regelwerk kann man auch erleben, wenn man einem Bühnenbildaufbau im Theater beiwohnt: Da gehen Türen auf und Arbeiter tragen einen Brunnen, einen Wald, eine Stehlampe, unerklärliche Metallobjekte auf die Bühne, Lautsprecher fahren vom Schnürboden herunter. Dann gibt es ein Signal, alle gehen, es ist Mittagspause. Erst am Schluss, wie im Werk von Franz Kafka, versteht man den finsteren Plan. Ich finde, dass dieser Vorgang dem Aufbau einer Geschichte ähnelt oder auch die Abbildung meiner Leseerlebnisse der Oktavhefte zeigt. In diesem Fall die eines ratlosen Detektivs, der nach Zusammenhängen sucht. Das versuche ich, auf der Bühne abzubilden. Mit allen Gleichzeitigkeiten und Überlagerungen.

Premiere „Die acht Oktavhefte“: Fr, 24. 2., 19.30 Uhr, Hamburg, Schauspielhaus. Nächste Vorstellungen: 26. 2., 4. 3.

Ist die Erzählung dennoch stringent?

Es gibt eine große Stringenz, die man aber vielleicht nicht sofort erkennt. Die Figuren auf der Bühne sind in ein Geschichte verstrickt, der sie bis zum Ende folgen müssen.

Und dann?

Gibt es eine Überraschung. Eine musikalische Verdichtung, bei der alle Parameter einer Theateraufführung zusammenspielen. Aktionen, Licht, Text, Klang und Musikstücke wiederholen sich und erzählen in ihrer Summe plötzlich eine Geschichte. Da entsteht eine Art Traumlogik: rückwärts verstehen, aber vorwärts den Abend erleben. Und das kann schon zauberhaft sein, wenn es funktioniert.

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