Regisseurin über Science-Fiction-Theater: „Ein Mehr an Wirklichkeit“

Ehrliche Frage nach einem realen Problem: Regisseurin Alina Sobotta über die Theatertauglichkeit von Stanisław Lems Science-Fiction-Roman „Solaris“.

Lächelnder Mann mit Brille: der polnische Science-Fiction- Schriftsteller Stanislaw Lem (undatierte Aufnahme)

Differenzierter Blick auf den ja gerne mal lächerlichen Menschen: „Solaris“-Autor Stansislaw Lem (1921–2006) Foto: Forum Krzysztof Wojcik/dpa

taz: Alina Sobotta, was macht einen Science-Fiction-Roman wie Stanisław Lems „Solaris“ zu einem Theaterstoff?

Alina Sobotta: Es ist eigentlich sogar der perfekte Stoff. Weil wir gezwungen sind, uns hinauszubewegen über die Grenzen unserer bekannten Welt, aber auch denen unserer Fantasie – wenn wir Science-Fiction lesen, aber auch, wenn wir uns in den Theaterraum begeben. Beides sind Räume, die ein Mehr an Wirklichkeit ermöglichen und aufmachen. Wenn da ein Autor aus einer sehr konkreten autobiografischen Erfahrung, auch Gewalterfahrung heraus – Lem war ja Holocaustüberlebender – anfängt, auf einer Unbedingtheit von Mehr an Welt zu bestehen; darauf, dass wir uns bestimmte Fragen über uns als Menschheit, unsere Zukunft und die Möglichkeit anderer Welten stellen: Dann geht es ihm wie uns im Theater. Ich glaube, dass wir auch dort einen Raum haben, bei dem die Verabredung ist: Sobald wir durch die Tür treten, Platz nehmen, sind wir eingeladen, Raum und Zeit nochmal auf eine andere Art und Weise zu erleben. Das hat aber natürlich auch seine ganz eigenen Fallstricke.

Inwiefern?

In Science-Fiction steckt immer ein bisschen die Behauptung: So, wir überlegen uns jetzt, ausgehend von unserer Welt – es ist ja gerade keine Fantasy –, noch mal eine ganz andere. Und dieses world building ist im Theater ein bisschen schwieriger.

Warum?

Da haben wir es eigentlich immer schon mit einer nicht realen Welt zu tun. Demgegenüber hat es ein Andrei Tarkowski leichter …

der Regisseur der wohl bekanntesten „Solaris“-Verfilmung.

Denn im Film kann ich die Wege auf der Raumstation mitgehen, ich kann in die Kabine gehen, es gibt eine Küche, eine Bibliothek. Die Form der Realitätsbehauptung ist im Theater erst mal eine andere.

Wie kam es nun aber konkret dazu, dass Sie sich mit „Solaris“ beschäftigen?

31, geboren in Mönchengladbach, hat u.a. Theaterregie, Slawistik und Feminist Studies studiert.

Also, ich bin ja auch Polin, da sind „Solaris“ und Lem Kanon. Das ist übrigens interessant: Ich habe gemerkt, dass es da wirklich einen Generationsunterschied gibt: Wer kennt Lem und gerade auch „Solaris“ – und wer nicht? Mich hat Lem eigentlich schon immer fasziniert. Es war aber eine meiner Dozentinnen an der Musik- und Theaterhochschule, mit der ich mich unterhalten habe und dabei „Solaris“ erwähnt. Die sagte: Ist das nicht der Stoff, nach dem du suchst? Und in dem Moment war das total einleuchtend.

Woran genau würden Sie das festmachen?

An „Solaris“ berührt mich die Einsamkeit und Verlorenheit der Figuren auf der Station. Ihr Umgang mit ihren individuellen Traumata und Dämonen, die sie da draußen heimsuchen. Die Konfrontation mit ihren offenen Wunden. Was ich daran aber auch so aktuell und wichtig finde: Wir befinden uns gerade wieder in einer Art Wettlauf ins All, einem Space Race – ähnlich wie zur Entstehungszeit.

Das Buch kam 1961 heraus, ein paar Monate nachdem die Sowjets mit „Sputnik 5“ allerlei Tiere in den Weltraum befördert hatten – und einige davon auch wieder lebendig zurück.

Aber ich habe das Gefühl, wenn jetzt wieder ein Space Race stattfindet, passiert das in einer Manier, die Lem kritisiert hätte.

Nämlich?

Es geht doch primär darum, unser Wirtschaftssystem auszuweiten in den Kosmos. Darum Rohstoffe und Ressourcen zu erwirtschaften und die zu kapitalisieren. Und verloren gegangen ist eine Form des ideologischen Wettlaufs um den Weltraum. An „Solaris“ finde ich schön und wichtig: die Skepsis, mit der Lem das Ganze betrachtet. Er lässt ja eine Figur fragen: Was suchen wir eigentlich? Wir brauchen keine anderen Welten, wir ersticken ja schon an unserer eigenen. Wir wollen in den Kosmos gehen, aber eigentlich nur Planeten finden, die aussehen wie ein Regenwald, wie eine Eiswüste, wie die Sahara. Denn wirklich andere Welten können wir uns eigentlich gar nicht vorstellen. Wir sehen immer nur uns und unsere Welt gespiegelt.

Kurzfristig abgesagt werden mussten alle drei Vorstellungen der Abschlussinszenierung „Solaris nach Stanisław Lem“ von Alina Sobotta am 19.–21. 1., jeweils 19.30 Uhr, Hamburg, Kampnagel/k1. „Ersatztermine sind zeitnah leider nicht zu realisieren“, teilt Kampnagel mit, bereits erworbene Karten können zurückgegeben werden.

Aber auch das hat seine Tücken.

Wenn uns das gezeigt wird – „unsere eigene monströse Hässlichkeit, unsere Albernheit und unsere Schande“, so heißt es ja im Roman –, dann können wir damit nicht umgehen. Und da mag ich Lems Blick auf die Menschen: Der ist sehr ehrlich, fast schmerzhaft ehrlich, Hässlichkeit und Albernheit finde ich da ein gutes Stichwort. Gleichzeitig trotzdem auch sehr liebevoll, und mit Potenzial für Solidarität und Trost. In dem Sinne finde ich Lem sehr umfassend und erkenne darin eine sehr menschliche Erfahrung. Sein Text ist eine sehr ehrlich gestellte Frage nach einem sehr realen Problem.

Und da ist es dann überhaupt nicht mehr überraschend, dass dieser Stoff auf einer Theaterbühne landet: Wenn man die Sache so angeht, wird daraus genuiner Theaterstoff – wie ein Königsdrama welcher wäre.

Ja, total! Da stecken doch fast klassisch antike Dramen drin: der Mensch gegen das Schicksal. Die Menschen arbeiten sich an diesem fremden Ozean ab wie an einem Gott, bei dem man nicht weiß, ist der eigentlich gutwillig oder böswillig? Manipuliert er uns, oder sind das alles Kollateralschäden, dass uns jetzt hier unsere intimsten und schmerzhaftesten Erinnerungen heimsuchen auf dieser Raumstation?

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