Rekrutierung von Ukrainern im Ausland: Schwierige Einberufung

Die ukrainische Armee braucht Männer. Die Regierung plant, männliche Geflüchtete ins Land zurückzubringen. Das ist aber praktisch nicht realisierbar.

Nach einer Fehlzündung versucht eine ukrainische Mörserbesatzung, das scharfe Geschoss zu entfernen

Soldaten der 56. Brigade in der Region Bakhmut, Ende November Foto: Madeleine Kelly/ZUMA Wire/imago

Die ukrainische Armeeführung bittet um weitere 450.000 bis 500.000 Männer für den Einsatz an der Front mobilisieren. Die Zahlen zeigen, wie ernst die Lage ist. Die Verluste müssen ersetzt werden. Außerdem brauchen Soldaten, die seit zwei Jahren an der Front kämpfen, dringend eine Ablösung. Eine physisch und moralisch erschöpfte Armee erleidet noch größere Verluste – doch Wolodymyr Selenskyj hat es nicht eilig.

Im Gegensatz zu Russland, das über schier unendliche Mobilisierungsressourcen verfügt, fehlt es der Ukraine daran. Abhilfe soll die Rückkehr der Männer, die ins Ausland gegangen sind, schaffen. Wer die Einberufung ignoriere, müsse mit Sanktionen rechnen, warnte der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow. Es sei „keine Strafe, für das eigene Land einzutreten und dem Land zu dienen“, sondern eine Ehre, meinte er und stieß damit vor allem in Deutschland, wo nach unterschiedlichen Schätzungen derzeit rund 190.000 ukrainische Geflüchtete im wehrpflichtigen Alter leben, auf heftige Reaktionen.

Das Ministerium stellte klar, dass Umjerow nicht von Mobilmachung gesprochen habe, sondern von freiwilliger Meldung zum Dienst. Der Minister habe den Ukrainern im Ausland signalisieren wollen, wie wichtig es sei, jetzt in die Armee einzutreten. Vorläufig gebe es jedoch keine Diskussionen über Mechanismen zur Einberufung.

Ob es eine solche Diskussion gibt oder nicht – sicher ist, dass hier ein Test unternommen wird, um mögliche Reaktionen zu beobachten. Hinzu kommt, dass in der erschöpften ukrainischen Gesellschaft der Ruf nach Gerechtigkeit immer lauter wird. Ehefrauen, Mütter und Töchter von Männern an der Front verstehen nicht, warum sie ukrainische Männer im wehrpflichtigen Alter unbeschwert in europäischen Städten herumlaufen sehen, während die eigenen Ehemänner und Söhne kämpfen.

Ehefrauen, Mütter und Töchter von Männern an der Front verstehen nicht, warum ukrainische Männer im wehrpflichtigen Alter unbeschwert in europäischen Städten herumlaufen.

Trotz des moralischen Aspekts des Problems ist es unwahrscheinlich, dass die Ukraine in der Lage sein wird, einen effektiven Mechanismus zu entwickeln, um geflüchtete Männer zurück in ihr Land zu bringen. Darüber hinaus ist unklar, ob eine solche Einberufung alle Männer trifft oder nur die, die das Land illegal verlassen haben. Gleichzeitig ist es schwierig vorherzusagen, wie viele Männer sich tatsächlich weigern würden, einem solchen Befehl Folge zu leisten, denn Tausende sind bereits in die Ukraine zurückgekehrt.

Der Unwille, an der Front zu kämpfen, ist sehr verständlich. Klar ist aber auch, dass die Ukraine einen existenziellen Krieg gegen einen mächtigen Feind führt. Dieser Kampf wird von harten moralischen Entscheidungen begleitet.

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Anastasia Magazova ist 1989 auf der Krim (Ukraine) geboren. Studium der ukrainischen Philologie sowie Journalismus in Simferopol (Ukraine). Seit 2013 Autorin der taz und seit 2015 Korrespondentin für die Deutsche Welle (DW). Absolventin des Ostkurses 2014 und des Ostkurses plus 2018 des ifp in München. Als Marion-Gräfin-Dönhoff-Stipendiatin 2016 Praktikum beim Flensburger Tageblatt. Stipendiatin des Europäischen Journalisten-Fellowships der FU Berlin (2019-2020) in Berlin. Als Journalistin interessiert sie sich besonders für die Politik in Osteuropa sowie die deutsch-ukrainischen Beziehungen.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

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