Revisionen im NSU-Verfahren: Viel Arbeit, wenig Zeit

Seit Dienstag liegt das schriftliche NSU-Urteil vor, nun schreiben die VerteidigerInnen an den Revisionen. Dafür gilt eine knappe Frist.

Die Richter im NSU-Prozess um den Vorsitzenden Manfred Götzl im Gerichtssaal

Ihr NSU-Urteil steht auf dem Prüfstand: Richter Manfred Götzl (2. v.r.) und seine MitrichterInnen Foto: Peter Kneffel/dpa

BERLIN/MÜNCHEN taz | Am Dienstag wurde die schriftliche Urteilsbegründung im NSU-Prozess vorgelegt, nun arbeiten die VerteidigerInnen an ihren Revisionsbegründungen. Die Zeit dafür ist knapp: Die Anwälte und Anwältinnen haben nur einen Monat zur Verfügung.

„Wir werden die schriftlichen Urteilsgründe eingehend prüfen und die Revision innerhalb der Monatsfrist begründen“, sagte Wolfgang Heer, Verteidiger von Beate Zschäpe, gegenüber der taz. Auch die VerteidigerInnen mehrerer Mitverurteilter erklärten, ihre Mandanten hielten an den Revisionen fest, jetzt würden die Begründungen ausformuliert. Noch allerdings warteten die AnwältInnen auf den postalischen Eingang des Gerichtsschriftsatzes.

Der Strafsenat des Oberlandesgericht München hatte seine schriftliche Urteilsbegründung für den NSU-Prozess am Dienstag nur einen Tag vor Ablauf der Frist dafür vorgelegt – 21 Monate nach der mündlichen Verkündung. Bereits am 11. Juli 2018 hatten die RichterInnen Beate Zschäpe für die Terrorserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ mit zehn Toten und drei Anschlägen zu lebenslanger Haft verurteilt. Vier mitangeklagte Helfer erhielten Strafen von zweieinhalb bis zehn Jahren Haft. Auf opulenten 3.025 Seiten hält der Senat um den Vorsitzenden Manfred Götzl nun seine Urteilsgründe fest. Dazu kommt ihr Protokoll der Verhandlung, das 44 Ordner umfasst.

Zwei Revisionsbegründungen für Zschäpe

Schon direkt nach dem Urteil hatten alle VerteidigerInnen Revision für ihre MandantInnen angekündigt. Nur Carsten S., der Überbringer der Ceska-Mordwaffe an das NSU-Trio, zog dies später zurück und trat im Frühjahr 2019 seine dreijährige Haftstrafe an.

Für Beate Zschäpe wird es gleich zwei Begründungen ihrer Revision geben – denn sie hatte sich mit ihren ursprünglichen PflichtverteidigeInnen, darunter Wolfgang Heer, überworfen und mit Mathias Grasel einen vierten Pflichtverteidiger durchgesetzt. Beide Parteien erarbeiten eigenständige Schriftsätze.

„Ich halte das Urteil des Oberlandesgerichts nach wie vor für falsch“, erklärte Grasel. Anders als vom Senat befunden, sei Zschäpe keine gleichwertige Mittäterin der NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gewesen. „Daher wird mein Hauptaugenmerk auf der Rechtsfigur der Mittäterschaft und der Begründung des Gerichts hierzu liegen“, so Grasel. Er habe die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Mittäterschaft ausgewertet und werde das schriftliche NSU-Urteil „hieran messen“.

Tatsächlich sah auch das Oberlandesgericht keine Nachweise dafür, dass Zschäpe an einem der NSU-Tatorte war. Für die RichterInnen aber war klar, dass die Rechtsextremistin die verübten Morde und Anschläge genauso wie ihre zwei Mitstreiter gewollt habe. Zschäpe habe dafür die Gruppe mit falschen Alibis getarnt, die Finanzen organisiert und am Ende die Bekenner-DVD verschickt. Damit habe sie sich an allen Verbrechen „bewusst und gewollt“ beteiligt.

Um dies Annahme zu entkräften, haben Zschäpes VerteidigerInnen nun nur vier Wochen Zeit – eine gesetzlich festgelegte Zeitspanne. „Diese Frist verlängert sich im Gegensatz zu der Frist für das Gericht leider nicht mit zunehmender Dauer der Hauptverhandlung“, monierte Anwalt Grasel. Gleichzeitig gehörten Revisionsbegründungen „zu den anspruchsvollsten Tätigkeiten eines Strafverteidigers“. „Es steht also sehr viel Arbeit in sehr kurzer Zeit bevor.“

Opferanwalt hat geringe Erwartung an Urteilsgründe

Mehmet Daimagüler, Nebenklageanwalt für die Familien zweier Nürnberger NSU-Mordopfer, zeigte Verständnis dafür, dass es Zeit brauche, nach einem so langen Prozess ein revisionssicheres Urteil zu schreiben. Dennoch sei der lange Zeitraum zwischen Urteilsverkündung und Urteilsbegründung problematisch. „Egal, was die Gründe dafür waren, hat das sedierende Wirkung auf die Öffentlichkeit. Ein kritischer Umgang zum NSU-Komplex findet dort kaum noch statt.“

Daimagüler hat auch inhaltlich gedämpfte Erwartungen an die Urteilsgründe. „Das Gericht hat in fünf Jahren Prozess einen Bogen um die heißen Eisen gemacht. Ich habe geringe Hoffnung, dass es in der Urteilsbegründung anders ist.“ So seien die RichterInnen den Zweifeln an der Trio-These nicht nachgegangen. Auch der „klar erkennbare institutionelle Rassismus“ in Polizeibehörden, der die Aufklärung der Morde verhinderte und die dubiose Rolle des Verfassungsschutzes seien fast nicht thematisiert worden, so Daimagüler. „Ich fürchte, dass wir dazu auch jetzt nicht viel lesen werden.“

In dem Monat für die Revisionsbegründung wird auch die Bundesanwaltschaft tätig. Auch sie hatte Revision für ein Urteil angekündigt – das gegen den Mitverurteilten André Eminger. Obwohl der Zwickauer Rechtsextremist bis zum Schluss der engste Helfer des NSU-Trios war, verurteilte ihn das Gericht nur zu zweieinhalb Jahre Haft. Im Gerichtssaal brachen Neonazis darauf in Jubel aus. Die Bundesanwaltschaft hatte dagegen zwölf Jahre Haft für Eminger gefordert

Nach Eingang der Revisionsbegründungen wird es ein mehrmonatiges schriftliches Verfahren vor dem Bundesgerichtshof geben. Erst danach werden die dortigen RichterInnen endgültig über die NSU-Urteile entscheiden. Dies wird nicht vor 2021 erwartet.

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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