Richtungsdebatte bei den Berliner Grünen: Neue Vorsitzende, alter Streit

Das Zerwürfnis ist mit der Wahl von Nina Stahr zur Co-Parteichefin beim fortgesetzten Landesparteitag nicht vorbei.

Das Bild zeigt die neue Doppelspitze der Berliner Grünen, Nina Stahr und Philmon Ghirmai

Sie werden viel miteinander zu bereden haben: Philmon Ghirmai und Nina Stahr bilden die neue Doppelspitze der Berliner Grünen Foto: dpa

Berlin taz Es fängt entspannt an in dem Kreuzberger Tageszentrum, wo die Grünen ihren am Samstag abgebrochenen Landesparteitag fortsetzen. Mit „Hello again“ begrüßt Parteichef Philmon Ghirmai die Delegierten, und es würde nicht überraschen, wenn dazu die gleichnamige Schlagerschnulze eingespielt würde.

Hello again, das gilt auch für Nina Stahr. Mit einer großen Mehrheit von rund 88 Prozent wird die Ex-Parteichefin ins Amt zurückgeholt, obwohl sie zu Beginn ihrer Rede einige Worte an die Delegierten richtete, mit denen sie den Umgang mit der am Samstag gescheiterten Tanja Prinz kritisiert.

Schnell ist es aber mit der Kuschelatmosphäre vorbei. Philmon Ghirmai, der mit 73 Prozent wiedergewählte Co-Landesvorsitzende, verteidigt in seiner Bewerbungsrede einen offenen Brief mehrerer Kreisvorstände, der das Realo-Lager von Prinz scharf kritisiert. Die Zeilen enthalten heftige Vorwürfe, aber keine Beweise dafür. Auch jetzt fließen wie beim abgebrochenen Parteitag am Samstag Tränen.

Die Fortsetzung der Landesdelegiertenkonferenz ist grundsätzlich ein Novum in der jüngeren Geschichte des Landesverbands. Einen Parteitag wegen gescheiterter Vorstandswahl abbrechen und vier Tage später fortsetzen, das gab es noch nicht. Am Samstag war Tanja Prinz, zuvor bei einer Vorwahl des Realo-Lagers erfolgreich, mit ihrer Kandidatur dreimal durchgefallen.

Vorwürfe ohne mitgelieferte Beweise

Am Dienstag präsentierten führende Realos dann Nina Stahr als neue Kandidatin. Sie führte den Landesverband mit dem heutigen Fraktionschef Werner Graf von 2016 bis 2021 und wechselte dann in den Bundestag. Ihren Sitz dort will sie behalten, die Partei macht eine Ausnahme von der in der Satzung festgeschriebenen Trennung von Amt und Mandat.

Der offene Brief, den Ghirmai anspricht, war am Freitag öffentlich geworden. Ohne Tanja Prinz explizit zu nennen, warnen darin Vorstände von neun der zwölf Kreisverbände vor ihrer Wahl. Schwere Vorwürfe erhoben sie gegen eine in Mitte beheimatete Gruppe von Realos namens „Gr@m“, die – entnervt von den jüngsten, aus ihrer Sicht vermeidbaren Wahlniederlagen – einen bürgerlicheren Kurs fordern.

Die Verfasser des Briefs halten ihnen vor, Mitglieder einzuschüchtern, mit Falschbehauptungen zu arbeiten und eine „Kultur des Misstrauens“ zu säen. Weil der Brief dafür keinerlei Beweise liefert, nennen ihn andere gegenüber der taz „verleumderisch“. Ghirmai hingegen spricht am Mittwochabend von „ernstzunehmenden Vorwürfen“. Das löste im Kreis der Delegierten aus Mitte teils Tränen aus.

„Heute hier zu stehen, ist nicht schön“, leitete Stahr ihre Bewerbungsrede ein und kritisierte die Form des Grünen-Streits der vergangenen Wochen. Auch wenn Tanja Prinz, die Samstag nach ihren drei vergeblichen Anläufen den Parteitag unter Tränen verließ, nicht im Saal ist, spricht Stahr sie direkt an: „So wie wir mit dir umgegangen sind, das war einer feministischen Partei nicht würdig.“

Mit Kritik starten, dann betonen, dass der echte Gegner außerhalb steht und Schwarz-Rot heißt und schließlich alle Flügel und Lager umarmen: Stahrs Rede könnte aus dem Lehrbuch für gute Politikerauftritte in Krisenzeiten kommen. Ihr Schlusssatz lässt sich auch als Aufruf verstehen, sich selbst etwas weniger wichtig zu nehmen: „Die Welt hat genug Krisen, sie braucht nicht auch noch eine Krise bei den Grünen.“

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