Rohingya in Birma: Ein Volk, das es nicht geben darf

Ihre Vorfahren waren arabische Händler. Viele von ihnen kamen schon zu Kolonialzeiten ins Land. Jetzt ist sogar das Wort „Rohingya“ verpönt.

Die Volksgruppe der Rohingya gilt für die Vereinten Nationen inzwischen als „am meisten verfolgte Minderheit der Welt“. Bild: reuters

BERLIN taz | „Wir haben ein Boot bestiegen, um ein muslimisches Land zu suchen, Malaysia oder Indonesien“, sagt Asranal Ali. „Egal, welches Land, Hauptsache ein muslimisches.“ Er sei von Buddhisten in seiner Heimat zur Flucht gezwungen worden, sagt Hasan Ali der Nachrichtenagentur Associated Press: „Wir konnten uns nicht weigern, sonst wären wir verprügelt worden.“ Später auf See hätten sich dann der Kapitän und die Mannschaft mit einem Rettungsboot abgesetzt.

Asranal Ali und Hasan Ali gehören zur muslimischen Volksgruppe der Rohingya, die von den Vereinten Nationen inzwischen als „am meisten verfolgte Minderheit der Welt“ bezeichnet wird. Die Situation in ihrer Heimat, dem mehrheitlich buddhistischen Myanmar (Birma), ist verzweifelt: Hardliner schüren Ressentiments wie die – seit Langem latent verbreiteten – Ängste vor einer muslimischen Unterwanderung und dem Ende der religiösen und kulturellen Vorherrschaft der buddhistischen Birmanen, die die größte Volksgruppe des Landes stellen.

Erst gerade hat Birmas Parlament ein neues Gesetz verabschiedet, wonach die Behörden den Frauen in bestimmten Regionen zwischen zwei Geburten einen Mindestabstand von 36 Monaten vorschreiben dürfen. Niemand bezweifelt, dass sich dies gegen die Rohingya richtet. Wahlen dürfen sie nicht mehr. Die Ausweise (White Cards), die ein Teil von ihnen bislang besaßen, wurden ihnen ebenfalls abgenommen.

Spannungen zwischen Rohingya und Birmas anderen Volksgruppen gibt es seit der britischen Kolonialzeit. Offiziell zählt das Land heute 135 Ethnien, wobei die Rohingya, die einen bengalischen Dialekt sprechen, nicht mitgezählt werden.

Schon der Name „Rohingya“ ist tabu. Stattdessen werden sie als „Bengalen“ bezeichnet. Das soll ihren Status als illegale Migranten aus dem benachbarten Bangladesch unterstreichen und rechtfertigen, warum Birma ihnen die Staatsbürgerschaft verwehrt. Doch Bangladesch sieht die Rohingya nicht als seine Staatsbürger an und gibt ihnen auch keinen offiziellen Flüchtlingsstatus.

Alte Ressentiments immer wieder neu geschürt

Geflüchtet: Seit 2014 flohen Schätzungen zufolge 120.000 Rohingya aus Birma, davon 25.000 in den ersten drei Monaten dieses Jahres.

Woher: Gut eine Million Rohingya leben in Birma. In Bangladesch, in Thailand, Malaysia und einigen Golfstaaten sind es eine weitere Million.

Wo in Birma: In Birma leben die Rohingya im westlichen Staat Rakhaing an der Grenze zu Bangladesch. Im Norden sind die Rohingya die Bevölkerungsmehrheit, im Süden buddhistische Rakhine.

Abgelehnt: Auch die Rakhine sehen sich in Birma marginalisiert. Sie lehnen aber wie viele Birmesen die Rohingya ab - und behaupten ebenso, dass die Rohingya ursprünglich aus dem benachbarten Bangladesch stammten und nicht nach Birma gehören. (han)

Seit Jahrhunderten schon haben die Vorfahren der Rohingya, Händler aus Arabien, in Arakan gelebt, Birmas heutigem Staat Rakhaing (englisch: Rakhine). Die meisten Rohingya kamen während der Kolonialzeit nach Birma, das bis 1937 ein Teil Britisch-Indiens war. Die Briten begünstigten die Migration von Arbeitskräften – Hindus wie Muslimen – vom Subkontinent ins buddhistische Birma, wo sie auf Ressentiments stießen.

Im Zweiten Weltkrieg paktierten Birmas Nationalisten zunächst mit den Japanern. Rohingya und andere Minderheiten hielten eher zu den Briten. Schon damals gab es Massaker von Birmanen an Rohingya.

Birmas spätere Militärdiktatur ging mehrfach gewaltsam gegen Rohingya vor. 1978 flohen 200.000 Rohingya nach Bangladesch, 1991 weitere 250.000. Ein 1982 vom damaligen Diktator Ne Win erlassenes Gesetz machte die Rohingya staatenlos. Die Staatsbürgerschaft erhält nur, wer nachweisen kann, dass die eigene Familie schon vor Birmas Unabhängigkeit in Jahr 1948 einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Da die meisten Rohingya arme Bauern, Fischer und Analphabeten sind, verfügen sie kaum über offizielle Dokumente, geschweige denn über so alte.

Das Ende der Militärjunta hat keine Erleichterung gebracht

Seit die herrschenden Generäle 2011 die Uniform auszogen und das Land zu liberalisieren begannen, hat sich für viele Birmesen das Leben verbessert – nicht jedoch für die Rohingya. Die neu gewonnene Meinungsfreiheit befeuerte den buddhistischen Nationalismus. Rohingya werden zu Sündenböcken gestempelt. Radikale Mönche fordern, die „Bengalen“ aus dem Land zu werfen.

Im Jahr 2012 kam es in Rakhaing nach der Vergewaltigung einer Buddhistin mutmaßlich durch Rohingya zu pogromartigen Unruhen. Mehrere hundert Menschen starben. 140.000 Rohingya flohen in vom Militär errichtete Lager. Dort leben die meisten noch heute. Sie dürfen die Lager nicht ohne Erlaubnis verlassen. Sie verloren ihren Besitz, ihre Felder und Fischerboote und sind von Schulbildung, Gesundheitsversorgung und Jobs abgeschnitten. Menschenrechtler sprechen von „Apartheid“ und „ethnischen Säuberungen“.

Internationale Kritik am Umgang mit den Rohingya ignoriert die Regierung oder verbittet sie sich sogar. Die westlichen Länder haben ihre ohnehin wenig wirksamen Sanktionen gerade erst gelockert und wollen die Regierung im geostrategischen Wettbewerb mit China nicht schon wieder unter Druck setzen. Birmas Behörden ihrerseits setzen Hilfsorganisationen unter Druck: Caritas International und andere mussten ihre Arbeit mit den Rohingya beenden. Die Volkszählung 2014 hat es unmöglich gemacht, sich als Rohingya zählen zu lassen. Wer sich weigerte, als Bengale aufgeführt zu werden, wurde statistisch unsichtbar.

Verwundert und empört über Kritik aus dem Ausland

Diese Politik billigt indirekt auch Birmas demokratische Opposition. Die Friedensnobelpreisträgerin und Ikone der Demokratie, Aung San Suu Kyi, wagt es nicht, sich für Rohingya auszusprechen – was viele ihrer Verehrer im Ausland enttäuscht. In Birma verstehen die meisten Aktivisten der Demokratiebewegung das überhaupt nicht: „Die Rohingya gehören einfach nicht zu uns“, so die verbreitete Ansicht.

Die Rohingya werden nicht nur immer wieder aufgefordert, Birma zu verlassen, sondern auch mit Schikanen und Gewalt dazu gedrängt. Birmesische Beamte kassieren dabei noch ab. Auch einzelne Rohingya sind an dem Menschenschmuggel beteiligt, ist er doch eine der wenigen Einnahmequellen überhaupt.

Auf der anderen Seite der Grenze, in Bangladesch, leben in der Region Cox’s Bazar rund 200.000 Rohingya in Lagern. Bangladesch will sie ebenfalls nicht haben und macht ihnen das Leben schwer. Aber nicht nur sie, sondern auch andere Bangladescher fallen den illegalen Schleuserbanden in die Hände, die ihnen das Blaue vom Himmel versprechen – einen Job in einer Plantage oder auf einer Baustelle in Malaysia oder anderswo zum Beispiel.

Die Schlepper sind gut organisiert, ihr Geschäftsmodell ist brutal: Sobald sie ihre Opfer auf dem Schiff oder in einem ihrer Lager in Südthailand oder Nordmalaysia in ihrer Gewalt haben, fordern sie mehr Geld und misshandeln sie, bis ihre Angehörigen sie freikaufen.

Nachdem Anfang Mai mehrere Dutzend Tote an der Grenze zu Malaysia entdeckt wurden, griff Thailands Junta durch. Seither sind die Menschenschmuggelrouten über Südthailand versperrt, die Passagiere werden nun auf See alleingelassen.

Trotz allem dürften die Rohingya weiter fliehen, solange sie die Rechtlosigkeit in ihrer Heimat mehr fürchten als die Risiken der Flucht. Zugleich dürfte es unmöglich sein, Birmas unwilliger Regierung zweifelsfrei nachzuweisen, dass Rohingya ohne Personaldokumente, die über Bangladesch geflohen sind, aus ihrem Land stammen.

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