Rollenspiel im Film: Die wollen nur spielen

In der Dokumentation „Wochenendkrieger“ erzählt Andreas Geiger von fünf Spielern bei einem Rollenspiel. So wird etwa ein Sekretär der Grünen zum „Fürsten des untoten Fleisches“.

Ziemlich professionell, aber aus der puren Lust am Spiel: eine Wochenendkriegerin. Bild: Verleih

Orks greifen Elfen und Hobbits an, die Mächte der Leere drohen die paradiesische Idylle des Auenlandes zu vernichten und nur der mächtige Zauber des Erzmagiers kann vielleicht den Sieg der bösen Fee verhindern. All das passiert nicht in Mittelerde, sondern in Brokeloh am Steinhuder Meer. Dort findet jährlich das Rollenspiel „Conquest of Mythodea“ statt, zu dem um die 4.000 Fantasy-Fans anreisen, um in aufwändigen Kostümen und Masken eine Geschichte nachzuspielen, für die genau genommen die Erben von J.R.R. Tolkien Tantiemen einklagen könnten.

Dieses „Liverollenspiel“ findet auf dem Rittergut des Ortes und dem nahen Gelände statt und wird mit großer Professionalität und Sorgfalt wie eine riesige, mehrere Tage dauernde Theateraufführung durchgeführt. Doch es gibt keine Zuschauer. Jeder Teilnehmer spielt eine Figur, und auch wenn dies, wie zwangsläufig bei den meisten, nur eine kaum beachtete Statistenrolle ist, haben die Spieler so viel Spaß, dass sie viel Zeit, Geld und kreative Energie ins „LARP“ (Live Action Role Playing) investieren.

In „Wochenendkrieger“ versucht der Filmemacher Andreas Geiger zu ergründen, was die Spieler daran so fasziniert. Dies tut er auf zwei Ebenen, sodass der Film durchgängig in der Form einer großen Parallelmontage strukturiert ist. Auf der einen Ebene versucht er, die Spielhandlung so dramatisch und eindrucksvoll wie möglich zu inszenieren. Dazu gehören eine stimmungsvolle Filmmusik, die mal bedrohlich wabert und dann wieder heroisch schmettert, die sonore Erzählstimme von Kaspar Eichel, der dabei einen ganz passablen Märchenonkel abgibt und animierte Landkarten, auf denen die Hauptfiguren als Spielkarten bewegt werden. Dazu gibt es Stimmungsbilder und Nahaufnahmen der Protagonisten, die offensichtlich nicht „live“ aufgenommen, sondern speziell nachgedreht wurden. So kann der Zuschauer der Handlung (die, wie gesagt, eine Blaupause von bekannten Fantasygeschichten ist) folgen und er bekommt einen guten Eindruck davon, wie ernsthaft und leidenschaftlich sich die Teilnehmer auf dieses Spiel einlassen.

Auf der dokumentarischen Ebene stellt Geiger fünf von diesen „Wochenendkriegern“ vor. Allerdings ist keiner von ihnen ein Statist, sondern alle spielen wichtige, die Handlung tragende Rollen. So bleibt leider unklar, warum so viele sich mit den kleinen, eher dekorativen Rollen begnügen, während das große Theater meist wo anders gespielt wird. Dafür sind die fünf Protagonisten durchweg Glückstreffer für den Dokumentarfilmer, denn sie sind interessante Persönlichkeiten, die vor der Kamera gut aussehen und reflektiert über ihr „normales“ Leben, ihre Rollen und Faszination für das Spiel erzählen können. So spielt die Lehrerin Chris aus Tübingen die „Herrscherin der Leere“ Aniesha Lee, der Maskenbildner Gregor den Erzmagier Lamathiel und die Modedesignerin Nico die Königin der Elfen Lemora. Für einen dramaturgisch wirkungsvollen Kontrast sorgen der Wolfsburger VW-Montagearbeiter Sven, der als der „Gärtner der öligen Pestilenz“ durch die Handlung schleicht, und Dirk, Sekretär bei den Grünen, der als „Fürst des untoten Fleisches“ schön böse und politisch unkorrekt sein darf.

Geiger zeigt, wie sie zu Hause leben, wie sie ihre Berufe ausüben und wie sie sich dann im Spiel in die überlebensgroßen Klischeefiguren verwandeln, diese aber auch immer ihrer Persönlichkeit entsprechend darstellen. Spannend ist auch, wie unterschiedlich und komplex ihre Motivationen sind. So ist Nico extrem schüchtern, findet aber in der Rolle so viel Sicherheit und Schutz, dass sie im Rahmen des Spiels viel ungezwungener auf die Menschen zugehen kann. Sven kann nach der monotonen Arbeit am Fließband seine Fantasien ausleben und so bastelt er nach Feierabend in seinem Zimmer voller Spielfiguren am liebsten an seiner Maske und seinem Kostüm. Dirk muss bei seiner Arbeit sehr diszipliniert sein und still die Protokolle führen, während die Entscheidungsträger der Grünen miteinander debattieren. Im Rollenspiel müssen dagegen alle auf ihn hören und man merkt, wie viel Spaß er etwa bei seiner Anfeuerungsrede vor der entscheidenden Schlacht hat. Gregor ist schließlich professionell am Spiel beteiligt. Als Maskenbildner hat er sich einen erfolgreichen Versandhandel aufgebaut – am besten gehen die von ihm selber entworfenen Elfenohren und das Hochzeitskleid der Elfenkönigin, in dem überall auf der Welt weibliche Fans von „Herr der Ringe“ heiraten wollen. So macht Geiger en passant auch deutlich, dass diese Art von Rollenspielen ein lukratives Geschäft ist.

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