Roman über Kosovo-Geflüchtete: Kein Identitätskitsch

Im Roman „Meine Katze Jugoslawien“ erzählt Pajtim Statovci die Geschichte Geflüchteter aus dem Kosovo. Eine Erkundung zeitgenössischer Gefühlswelten.

Pajtim Statovcis Eltern flüchteten zwei Jahre nach seiner Geburt aus dem Kosovo nach Finnland Foto: Leonardo Cendamo/Getty Images

Stellen Sie sich vor, Sie kommen in eine Bar und sehen dort eine Katze, die laut und betrunken „Believe“ von Cher singt – die würden sie doch auch sofort mit nach Hause nehmen, oder? Der junge Bekim, der diese Szene in einer Schwulenkneipe in Helsinki erlebt, tut das jedenfalls.

Was daraus wird, sei mal dahingestellt, denn bei dieser Geschichte handelt es sich, Sie ahnen es, um eine Fabel. Bekim ist einer der beiden Protagonisten in Pajtim Statovcis Roman „Meine Katze Jugoslawien“. Die andere Hauptfigur ist Bekims Mutter Emine. Beide erzählen von ihren Gefühlen, Gedanken und Erfahrungen als Einwanderer in Finnland, wohin sie Anfang der 1990er Jahre geflüchtet sind.

Aus der inzwischen zum Genre gewordenen literarischen Verarbeitung europäischer Migrationsgeschichten sticht Statovcis Erzählung hervor. Zum einen wegen seiner literarischen Qualitäten: Statovci erzählt dicht, humorvoll, intelligent, comichaft und allegorisch und bringt durch seine Sprachmächtigkeit die Le­se­r*in­nen so nah an die Hauptfiguren heran, dass man meint, ihren Körpergeruch zu kennen. Zum anderen, weil er die Gefühle des Fremdseins, des Sich-fremd-Fühlens und der Entfremdung großartig subtil als unsichere Kantonisten behandelt.

So beschreiben Bekim und Emine einerseits die grundlegende Erfahrung von Migranten, die ihre Heimat verloren oder nie eine gehabt haben, vom Neu- oder Nieankommen in der neuen Sprache, von anderen Essens-, Familien- Geschlechterkulturen. Selbstverständlich ist auch die Erfahrung von Rassismus, Diskriminierung und Demütigung durch die Alteingesessenen ein Thema, aber eben auch der Nationalismus und die Borniertheit der eigenen Sippe.

Gefühle lassen sich nicht vom Aufenthaltsstatus ableiten

Es wird der Hass auf Freunde, Mitschüler und Arbeitskollegen geschildert, die bei noch so viel Empathie nicht wissen, was Krieg wirklich bedeutet. Aber rühren all die Probleme wirklich nur aus der Situation, aus dem Geburtsland geflohen zu sein?

Selbstverständlich nicht. Auch Migranten haben ganz normale Probleme, ihre Gefühlswelt lässt sich nicht vom offiziellen Aufenthaltsstatus ableiten. Jeder macht in seinem Leben, und das immer wieder, Entfremdungsprozesse durch, fühlt sich fremd in der eigenen Familie, im eigenen Körper, im eigenen Leben.

„Wir waren wie Landstreicher“, sagt Emine über das Leben in Finnland und erzählt, wie sie in den 1970ern als Teenager im ländlichen Kosovo davon träumt, Schauspielerin zu werden, von ihren Eltern aber auf ein Leben als traditionelle Hausfrau vorbereitet wird. Sie heiratet mit 17 den hübschen und klugen Bayram aus dem Nachbarort, der sich aber schon in der Hochzeitsnacht als gewalttätig herausstellt. Obwohl er das bleibt, verlässt sie ihn nicht, gebiert Kinder und flieht mit ihm vor dem Krieg nach Helsinki.

Der jüngste Sohn Bekim ist traumatisiert von den Erzählungen und Nachrichten über die Gewalt des Krieges und der Gewalt seines Vaters und geplagt von der Angst davor, zu enttäuschen oder enttäuscht zu werden. In seiner eigenen Wohnung versucht er seine Einsamkeit zu bekämpfen, in dem er sich eine Boa zulegt, die unter seinem Sofa und auf seinem Körper lebt, und er lässt die Katze aus der Bar bei sich einziehen und beginnt eine Affäre mit ihr.

Eine toxische Katze

Später hat er auch eine Beziehung zu einem echten Mann. Doch während er vom Körper dieses Geliebten zunächst stark angezogen ist, findet er ihn nach dem Koitus abstoßend, stinkend und hässlich. Während er diesen Mann, der ihn liebt, zurückweist, lässt er sich von der Katze, die sich als homophobes, fieses, ihn ausnutzendes Arschloch herausstellt, beleidigen und schafft es lange nicht, die toxische Beziehung zu ihr zu beenden.

Erfahrungen, die so gut wie jeder kennt, die nicht unbedingt ans Migrantendasein geknüpft sind. Und doch können weder Bekim noch Emine ihre Unsicherheiten als normal empfinden, schieben die Verantwortung für ihre komischen Gefühle immer wieder der erzwungenen Heimatlosigkeit in die Schuhe. Ihre intimen Gedanken, wie die Hingezogenheit zu Personen und Dingen, zu denen man sich eigentlich nicht hingezogen fühlen sollte, ihr Ekel vor den Körpern der anderen, teilen sie mit niemandem, schon gar nicht innerhalb der Familie. Aber auch das ist nichts, was Nichtmigrierten nicht auch passieren würde.

Die Katze sagt die Schlüsselsätze zu diesem Roman, dessen Schlüsselwort im Deutschen mit „Anderssein“ übersetzt wurde: „Anderssein ist eine Last. Zuerst versucht man, sich anzupassen, und wenn das nicht gelingt, fängt man an, die dümmsten Witze von sich zu­ ­geben, damit das eigene Anderssein im Lachen untergeht, und wenn die Witze nicht mehr lustig sind, fängt das Lügen an. Und wenn das nicht mehr reicht, ist es an der Zeit, den Koffer zu packen und abzuhauen.“

Kluge Antwort auf die deutsche Einwandererliteratur

Mal abgesehen von der wilden Geschichte mit der singenden Katze, erzählt Statovci anschaulich, plastisch, haptisch. Er wechselt verschiedene Erzählformen, die dem Beschriebenen formal begegnen: Alles beginnt mit der Darstellung eines kuriosen Chatverlaufs einer finnischen Dating-App, es folgen wilde und fantastische Traumsequenzen, in denen ­Bekim unter anderem Sex mit der Bar-Katze hat, um dann ­wieder extrem detaillierte Beschreibungen der penibel einzuhaltenden Vorbereitungen und Abläufe traditioneller Hoch­zeiten im Kosovo zu liefern.

Auch die Szenen, in denen geputzt wird, sind so penibel. Denn Emine und Bekim sind beide obsessive Putzer. Bloß alles sauber halten, damit niemand „dreckige Ausländer“ sagen kann, ist die eine Erklärung dafür. Die andere, dass Emines Familie im Kosovo sie zu absoluter Sauberkeit und Ordnung erzogen und Bekim es von ihr geerbt hat. Das fleckenlose Sauberhalten gelingt natürlich weder Emine noch Bekim. Das Leben schmeißt ihnen immer wieder Dreck vor die Füße. Es gibt keine Perfektion. Jeder riecht. Hinter jeder sauberen Fassade gibt es eine Ecke, in die kein Wischmopp passt.

„Meine Katze Jugoslawien“ liest sich wie eine sehr kluge Antwort auf die deutsche Einwandererliteratur, die sich allzu oft damit zufrieden gibt, ein schweres Schicksal wiederzugebeben. Doch Statovcis Roman ist bereits 2014, also vor exakt zehn Jahren, in Finnland erschienen. Der Autor hat natürlich Teile seiner eigenen Erfahrungen in den Roman einfließen lassen: Er wurde 1990 in Kosovo geboren, zwei Jahre später flohen seine Eltern mit ihm nach Finnland, wo er bis heute lebt und schon drei Romane veröffentlicht hat. Sein Debüt gewann etliche Preise in Finnland und in Übersee, und trotzdem ist die deutsche Übersetzung gerade erst erschienen.

Man kann die singende, fiese, aber schlaue Katze für pseudofantastischen Schmu halten, für den finnisch-kosovarischen Versuch, die Menschenkatze Behemoth aus Michail Bulgakows Roman „Der Meister und Margarita“ zu imitieren. Doch das Fabelhafte in Statovcis Roman ist so grotesk wie grandios. Es ist eben nicht erzählendes, auf Integrations- und Identitäts­probleme fokussierendes Memoir, sondern die Erkundung zeitgenössischer ­Gefühlswelten von jedermann.

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