Ruandische Hutu-Miliz in der DR Kongo: Auf zum letzten Gefecht

Die verbleibenden ruandischen Völkermordtäter haben sich mit Kongos Armee zusammengetan. „Die Moral ist so gut wie lange nicht“, sagt ein Deserteur.

Ein Soldat steht bewaffnet mit aufreizender Pose auf der Straße an einer Mauer, im Hintergrund wird eer von einer Gruppe junger Männer beobachtet

Ein Soldat in der Frontstadt Sake im Osten der DR Kongo. Das neue FDLR-Hauptquartier ist nur wenige Kilometer entfernt Foto: Alain Uyakani/dpa

MUTOBO taz | Die Grenze zwischen Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo verläuft hoch oben in den Bergen, entlang einer Kette erloschener Vulkane. Meist hängen – sehr symbolisch – schwere dunkle Regenwolken über den Gipfeln.

Entlang der Grenze kam es in den vergangenen Wochen immer wieder zu heftigen Feuergefechten zwischen Kongos Armee, den kongolesischen Tutsi-Rebellen der M23 (Bewegung des 23. März) und ruandischen Truppen, die in den Kongo eingedrungen sind.

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Pünktlich zum 30. Gedenktag des Völkermordes in Ruanda, der Anfang April 1994 begann, erhöht sich nun die politische Spannung in der Grenzregion enorm. Kongos Präsident Félix Tshisekedi drohte seinem ruandischen Amtskollegen Paul Kagame in einem Interview mit der französischen Tageszeitung Le Monde erneut mit Krieg, wie bereits im Wahlkampf vergangenes Jahr, und warf ihm „teuflische Absichten“ vor. Umgekehrt wirft Kagame Kongos Armeeführung vor, mit ruandischen Völkermordtätern zusammenzuarbeiten, die einen Genozid an den Tutsi im Kongo anzetteln und Ruanda angreifen wollten.

Hintergrund dieser Vorwürfe ist die umstrittene ruandische Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), die sich im Osten der Demokratischen Republik Kongo in den dichten Wäldern verschanzt. In ihrer Führungsriege tummeln sich mutmaßliche Völkermörder und Offiziere der ehemaligen Hutu-Armee Ruandas, die 1994 in ihrer Heimat eines der grausamsten Menschenrechtsverbrechen der jüngeren Geschichte begingen und dann nach Kongo flohen, als in Ruanda die Tutsi-geführte RPF (Ruandische Patriotische Front) unter dem bis heute regierenden Präsidenten Paul Kagame das Land eroberte. Die flüchtigen Hutu-Offiziere formierten dann die FDLR wie einen ruandischen Exilstaat – mit dem erklärten Ziel, Ruanda zurückzuerobern. Und sie sehen dieses Ziel jetzt offenbar wieder näher rücken.

„Die Moral unserer Kommandanten und Truppen im Kongo ist so gut wie schon lange nicht mehr“, erklärt der ehemalige FDLR-Kämpfer Innocent Tuyibahe. „Sie bekommen Nahrungsmittelrationen, Munition und Waffen von Kongos Armee.“

Demobilisierung unter dem Vulkan

Seit seinem 15. Lebensjahr war der mittlerweile 28-jährige Tuyibahe Leibwächter der höchsten Militärführer der FDLR. Ende 2023 desertierte er und floh nach Ruanda, wo ein staatliches Demobilisierungsprogramm zurückkehrende ruandische Hutu-Soldaten aus Kongos Wäldern aufnimmt, damit sie ein normales ziviles Leben lernen.

Auf den ersten Blick wirkt das Demobilisierungslager in Mutobo im Nordwesten Ruandas wie eine ganz normale Berufsschule. Der 28-Jährige Tuyibahe sitzt in der Mittagspause hinter den Klassenzimmern am Rande des Fußballplatzes im Gras. Er wirkt noch etwas angespannt und verunsichert über die neu erlangte Freiheit in einer ­Heimat, die er nicht kennt, denn er ist im Kongo geboren und im Dschungel bei der FDLR aufgewachsen.

Die ruandische Hutu-Miliz gilt als eine der brutalsten und erfahrensten bewaffneten Gruppen der DR Kongo. Sie zählt heute nur noch einige hundert Kämpfer, aber die gehören zu den bestausgebildeten und erfahrensten Soldaten der Region und spielen in der DR Kongo heute eine Schlüsselrolle.

Über 13.000 FDLR-Kämpfer durchliefen seit 2007, als das Lager Mutobo in Ruanda gegründet wurde, das Demobilisierungsprogramm, so die offiziellen Angaben. Meist waren fast alle 400 Betten in den Schlafsälen belegt. Doch seit drei Jahren kommen nur noch wenige an. Derzeit sind gerade einmal 68 Betten belegt.

Als Grund gibt Tuyibahe an, dass die FDLR-Führung neue Möglichkeiten sieht, mit Unterstützung von Kongos Armee Ruanda anzugreifen. „Kongos Armeeführung hat mit unseren Führern 2021 ein Abkommen unterzeichnet, um ihnen im Kampf gegen die Tutsi zu helfen“, erklärt Tuyibahe.

Als Bodyguard von FDLR-Militärführer General Omega war er bei der Unterzeichnung dabei, sagt Tuyibahe. Der 60-jährige General Omega, der eigentlich Pacifique Ntawunguka heißt, ist ein Veteran der für den Völkermord verantwortlichen ruandischen Armee. In Ägypten ausgebildet, wurde er Pilot in der ruandischen Luftwaffe, und im kongolesischen Exil ab Sommer 1994 gehörte er zu den ersten, die den Krieg zurück nach Ruanda trugen.

Als einer der Kommandanten der FDLR-Vorläuferorganisation ALIR (Ruandische Befreiungsarmee) kämpfte Omega 1997–98 in der Region um Ruhengeri am Fuße der Vulkane, wo das Demobilisierungslager Mutobo liegt. Später wurde er FDLR-Kommandant für die ostkongolesische Provinz Nord-Kivu, seit 2019 ist er der Militärchef der Organisation.

Omega, erzählt sein ehemaliger Leibwächter, traf sich 2021 im Ort Tongo mit General Hassan Mugabo, ein kongolesischer Hutu-Mililzenkommandant, der im Auftrag von Kongos Armeeführung das Abkommen mit der FDLR schloss. Ziel des Abkommens, so Tuyibahe: „Gemeinsam gegen die M23 und Ruanda kämpfen, die ruandischen Truppen schlagen und letztlich Ruanda einnehmen.“

2022 stieg Mugabo zum Chef der neugegründeten kongolesischen Reservearmee auf, in welcher zahlreiche paramilitärische Milizen – Wazalendo (Patrioten) genannt – als Teil der Streitkräfte integriert worden sind, um die M23-Rebellen zu bekämpfen. In ihrer Propaganda nehmen sie regelmäßig Ruanda als Feind ins Visier.

Seitdem habe sich für die FDLR vieles verändert, erklärt der Ex-Leibwächter. Dies bestätigen auch andere desertierte Ex-Kämpfer im Mutobo gegenüber der taz. „Unser Leben in der FDLR war seitdem besser als je zuvor“, sagen sie.

FDLR-Militärführung residiert jetzt am Kivu-See

Grund dafür ist auch, dass FDLR-Militärführer Omega vergangenes Jahr ein neues Hauptquartier aufschlagen konnte, unmittelbar vor den Toren der ostkongolesischen Provinzhauptstadt Goma: in Bambiro direkt am Kivusee, neben der Kleinstadt Sake, hinter der die Front zwischen Armee und M23-Rebellen verläuft. Von Bambiro aus können FDLR-Kämpfer nun ganz einfach nach Goma zum Einkaufen fahren, medizinisch versorgt werden – all dies war im Dschungel, wo die FDLR bislang hauste, nicht möglich.

In Bambiro lebt Omega in einem Steinhaus direkt am Ufer des Sees. Er hat Fahrzeuge und Boote, um seine Truppen zu transportieren. „Am 15. Tag jedes Monats liefert die Armee Lebensmittel, Munition und Waffen bei Omega ab“, erklärt Tuyi­bahe. Er verfüge in Bambiro über eine Einheit von 75 Mann. Weitere 75 FDLR-Kämpfer würden Kongos Armee in den Masisi-Bergen nordwestlich von Sake im Kampf gegen die M23 helfen. Auch Omegas Vizegeneral Ezéchiel Gakwerere, genannt Stany, in Ruanda als aktiver Täter des Völkermordes gesucht, ist in Bambiro stationiert.

Die FDLR-Kommandanten seien inzwischen auch dafür zuständig, die kongolesischen Wazalendo-Milizen zu trainieren – an schweren Waffen und in Taktik. Die FDLR verfügt seit jeher über eine interne Militärschule, in welcher sie ihren eigenen Nachwuchs ausbildet. Im Juli und August 2023 habe General Mugabo mehrere Treffen der Wazalendo in Goma abgehalten, die FDLR-Führung schickte Vertreter. Seitdem soll Omega für die Koordination der Wazalendo zuständig sein. Milizionäre bestätigen dies telefonisch auf taz-Nachfrage.

Doch die neue Rolle der FDLR im Krieg zwischen den beiden Nachbarländern hat ihre Schattenseiten. Innerhalb der FDLR-Führung kam es jüngst offenbar zu Konflikten. Unter den 68 Ex-Kämpfern in Mutobo sind erstaunlich viele Deserteure der Spähtruppe CRAP, einer Eliteeinheit, deren Aufgabe es stets war, verdeckt in ihr Heimatland Ruanda vorzudringen und hinter feindlichen Linien zu operieren. Dass CRAP-Kämpfer desertieren, war bisher sehr selten. Das hat sich geändert.

Junge Männer stehen zusammen in einem Hof und sprechen

Das Demobilisierungslager Mutobo im Nordwesten Ruandas. 13.000 FDLR-Kämpfer sind hier in ein ziviles Leben eingeführt worden Foto: Bugurimfura Rachid

Vier der desertierten CRAP-Kämpfer in Mutobo sind unter 18 Jahre alt und damit Ex-Kindersoldaten, die taz soll deswegen ihre Namen nicht nennen. Kommandant der CRAP-Einheiten war bislang Protogène Ruvugayimikore, bekannt unter seinem Kriegsnamen Ruhinda. Der 54-jährige Oberst, der innerhalb der FDLR für seine Angriffe auf Ruanda als Held galt, starb Anfang Dezember 2023 unter bislang unbekannten Umständen.

Seine Ex-Kämpfer in Mutobo bestätigen jetzt gegenüber der taz: Die CRAP-Truppe – insgesamt keine hundert Mann – sei fast vollständig in ­Kongos Armee integriert. Ruhinda selbst habe einen Großteil seiner Zeit nicht im FDLR-Hauptquartier in Bambiro verbracht, sondern in der nahe gelegenen Armeekaserne, dort gegessen und oft sogar dort geschlafen.

„Doch Omega hatte Angst, die Kontrolle über seine CRAP an die Armee zu verlieren“, erklärt Tuyibahe. „Eines Nachts, als Ruhinda nach langem Aufenthalt bei der Armee wieder bei uns geschlafen hat, explodierte eine Granate unter seinem Bett.“ Er wurde in Bambiro beerdigt. Die Ex-FDLR-Kämpfer in Mutobo mutmaßen, Omega selbst habe den Mord in Auftrag gegeben.

Entspannungsversuche aus Angola

Mittlerweile gibt es erste Anzeichen, dass die Partnerschaft zwischen Kongos Armee und der FDLR nicht für immer halten kann. In den vergangenen Wochen trafen sich Regierungsdelegationen aus der DR Kongo und Ruanda in Luanda, der Hauptstadt Angolas. Der dortige Präsident João Lourenço wurde von der Afrikanischen Union (AU) beauftragt, Friedensverhandlungen zwischen Kongo und Ruanda einzuleiten.

Als Voraussetzung fordert die ruandische Seite die „Neutralisierung der FDLR“, so geht es aus einer Erklärung des letzten Treffens Ende März hervor. Laut verschiedenen Quellen sucht die kongolesische Regierung in Kinshasa nun nach Vermittlern, die eine „Scheidung“ zwischen der Armee und der FDLR aushandeln könnten.

In Ruanda hegt man Hoffnung, dass bald wieder viel mehr FDLR-Kämpfer desertieren. „Wir haben Kapazitäten und sind bereit, jederzeit auch ganze Einheiten von mehreren hundert Mann zu empfangen und zu beherbergen“, so Valerie Nyirahabineza, Vorsitzende der Demobilisierungskommission. Aber wenn nicht, steht Ruanda auch militärisch Gewehr bei Fuß.

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