Rückgabe von tätowierten Māori-Köpfen: Zwei Köpfe für ein Gewehr

Sie waren begehrte Objekte für private Sammler und Institutionen: tätowierte Köpfe der neuseeländischen Māori. Immer mehr Toi Moko gelangen zurück.

Kisten mit menschlichen Überresten von Maori werden während einer Rückgabezeremonie abgedeckt

Kisten mit menschlichen Überresten von Maori werden während einer Rückgabezeremonie abgedeckt Foto: Jan Woitas/dpa/picture alliance

Te Urutahi singt. Es sind weinerliche Töne, von Trauer untermalt, aber auch von Hoffnung getragen. Im Schatten des Berges Taranaki im Süden der neuseeländischen Nordinsel erinnert sich die Māori-Frau ihrer Ahnen. Urutahi gehört zu einer wachsenden Zahl erster NeuseeländerInnen, die ihre Kultur auf traditionelle Art und Weise ehren: mit einem Tā Moko, einer Gesichtstätowierung.

Blauschwarze Spiralen und Striche des Tattoos ziehen sich von ihrem Kinn zur Unterlippe. Die symmetrisch angeordneten Symbole zeigen Urutahis Rang in der Familie, und ihre Herkunft in Aotearoa – so heißt Neuseeland in der Sprache der Māori. Sie trage ihre Tätowierung „mit Stolz, Ehre und Verantwortung“, sagt die Frau.

So grotesk und makaber es heute klingt: Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte Gefahr bestanden, dass der Kopf von Te Urutahi nach ihrem Tod in Europa oder den USA in einer privaten Sammlung landet oder einem Museum. Sammler waren bereit, hohe Summen zu bezahlen, um an einen mit einem Tattoo verzierten Kopf zu kommen – einen sogenannten Toi Moko.

Die Praxis des Tätowierens war vor Beginn der europäischen Kolonialisierung in Teilen des Pazifiks und in Neuseeland weit verbreitet. Laut der Archäologin Donna Yates von der Maastricht-Universität war ein Tā Moko „ein höchst persönliches und heiliges Zeichen des Ranges“. In der Kultur der Māori und der Moriori, den Bewohnern der zu Neuseeland gehörenden Chatham-Inseln, gilt das Haupt als heiligstes Körperteil.

Gesichtstätowierung heißt Tā Moko

Die komplizierte Musterung eines Gesichtsmokos sei „vergleichbar mit Fingerabdrücken: Individuen waren anhand ihres Mokos identifizierbar, auch nach dem Tod“, schreibt Yates. Während der männliche Moko in der Regel einen Großteil des Gesichts bedeckte, konzentrierte sich der weibliche Moko normalerweise auf die Lippen und das Kinn. Die Prozedur, traditionell mit aus Bambus geschnittenem Werkzeug, ist äußerst schmerzhaft. Je nach Größe und Komplexität kann es Jahre dauern, bis ein Tā Moko fertig ist.

Ein Mann in traditioneller Tracht mit einem Gesichtstattoo

Maori Chef Wetani Rore Tatangi 1905 mit einem Gesichtstattoo Foto: United Archives International/imago

An Köpfen fehlte es laut historischen Quellen nicht: Māori waren kriegerische Völker. Stämme standen regelmäßig in blutigem Konflikt miteinander. In der Regel ging es bei den Kriegen um Landbesitz und um natürliche Ressourcen wie Jagd- und Fischgründe. „Nach dem Ende einer Schlacht gehörte es vielerorts zur Tradition, den Besiegten den Kopf abzuschneiden“, sagt Te Herekiekie Herewini im Gespräch mit der taz.

Laut dem Chef der Gruppe für die Repatriierung von Kulturgütern am neuseeländischen Nationalmuseum Te Papa in Wellington wurden die Häupter geräuchert und in der Sonne getrocknet und als Kriegstrophäen zur Schau gestellt – „als Zeichen des Spottes“.

Ehrung der Toten

Aber auch die Köpfe wichtiger Familienangehöriger seien auf diese Art konserviert worden. Der mit Haut überzogene Schädel wies noch die Tätowierung auf, die eine Identifizierung als Individuum ermöglichte. Damit konnte ein Verstorbener Mitglied seiner Gemeinschaft bleiben. „Es war eine Form der Ehrung des Toten“, so Herewini, „eine Form des Respekts“.

Die Köpfe hatten aber auch eine andere Funktion: Sie waren Handelsobjekte. Nicht nur im Austausch zwischen verschiedenen Māori-Stämmen. „Genauso wie Kulturgüter wie Schnitzereien aus Jade oder Holz oder fein geflochtene Gewänder und Netze waren sie eine heiß begehrte Sammlerware für Europäer und Nordamerikaner“, erklärt Herewini. „Schon im Jahr 1769 mit der Ankunft von Kapitän James Cook, also dem ersten Europäer, der seinen Fuß auf unseren Boden setzte, begann der Handel mit Toi Moko“, so Herewini.

Die mumifizierten Köpfe seien Beispiele für die damals als exotisch und mysteriös empfundene Kultur der ersten Völker Neuseelands gewesen. Aber auch Gebeine waren begehrt. Wissenschaftler in verschiedenen Ländern nutzten Knochen verstorbener Māori zum Studium. Toi Moko dagegen seien „als Kuriosität gesammelt und an Königshäuser verkauft worden“, sagt Herewini. Dort seien sie in Schränke gestellt und staunenden Gästen zugänglich gemacht worden, „als Konversationsanreger“.

Viele der Überreste wurden einst gestohlen und unrechtmäßig ins Ausland gebracht

Laut der Archäologin Donna Yates hatte der Verkauf von Toi Moko an die Besucher vom anderen Ende der Welt auch wirtschaftliche Gründe. Māori hätten so Munition und Waffen erwerben können, die sie zum Schutz ihres Stammes benötigten. Es wird geschätzt, dass bis 1831 Hunderte von Köpfen exportiert wurden.

Große Nachfrage nach Gebeinen

Die europäische Nachfrage nach Toi Moko sei laut Yates so groß gewesen, „dass es Berichte über Sklaven gibt, die nach ihrem Tod tätowiert wurden, um Köpfe für den kommerziellen Verkauf herzustellen, was zu tätowierten Köpfen führte, die mit ikonografischen Fehlern übersät waren“, so Yates. Das Interesse ging so weit, dass selbst die Knochen führender Personen ihren Gruften entnommen wurden.

„Bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurde noch damit gehandelt“, räumt Herewini ein. Viele Überreste seien gestohlen worden. „Die Familien dieser Verstorbenen waren nicht damit einverstanden, dass sie ins Ausland gebracht werden. Es war ein sehr dunkles Kapitel in der Geschichte unseres Landes.“

Ein Kapitel, mit dem sich Neuseeland erst 2003 ernsthaft zu befassen begann. Seither sei es die Rolle seines Teams, „diese Überreste heimzubringen“, erklärt Herewini. Seine Fahnder fanden Hinweise darauf, dass zwischen 1769 bis in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts über 1.300 sterbliche Überreste ins Ausland verschickt worden waren. „Bis heute haben wir rund 900 davon repatriiert“, sagt Herewini, aus Ländern wie Deutschland, der Schweiz, Österreich und den USA.

Die Gruppe habe einen „sehr methodischen Zugang“, um eine Rückführung einzuleiten. „Wir schreiben erst mal einen Brief, in dem wir erklären, wer wir sind.“ Daraus ergebe sich in der Regel ein Austausch mit der Institution im Ausland, der nach teilweise jahrelangen Verhandlungen im Idealfall mit einer Rückführung endet. „Als wir mit den ersten Repatriierungen begannen, stießen wir auf Widerstand. Heute aber sind die meisten Museen einer Rückführung gegenüber positiv eingestellt.“

Deutsche Institutionen geben Objekte zurück

Das habe stark mit dem Generationswechsel in den Institutionen zu tun, glaubt Herewini. „Die alten MuseeumsdirektorInnen und -kuratorInnen hatten ein anderes Verständnis gegenüber der Wichtigkeit und Bedeutung der Rückführung von indigenen Sammlerobjekten.“ Jüngere Verantwortliche in den Museen seien „sehr viel offener“. So haben in den letzten Jahren auch mehrere deutsche Institute Objekte zurückgegeben, vom Linden Museum in Stuttgart über die Staatliche Ethnografische Sammlung Sachsen bis hin zur Berliner Charité.

Eine Repatriierung ist ein langwieriger, aufwändiger, schließlich aber auch feierlicher Anlass. „Wir haben das Glück, dass uns die neuseeländische Regierung großzügig unterstützt“, sagt Herewini. Ein Team von Māori-ExpertInnen fliegt dazu ins Geberland und koordiniert gemeinsam mit den KuratorInnen der Sammlung den Versand der Körperteile. Die Übergabe erfolgt dann in feierlichem Rahmen – untermalt von einer Trauerzeremonie der Māori und meist im Beisein des neuseeländischen Botschafters.

Die Berliner Charité hat 2019 die Gebeine von 109 Vorfahren der Māori und Morioru aus ihren vormaligen anthropologischen Sammlungen an das Museum Te Papa übergeben. Die Knochen seien im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert „in vermeintlich wissenschaftlicher Absicht vor dem Hintergrund rassisch wertender Weltanschauung gesammelt worden“, erklärte damals Axel Radlach Pries, Dekan der Charité.

Dies sei „ethisch nicht tragbar“ und missachte die Menschenwürde der indigenen Ahnen. „Dafür möchte sich die Charité als wissenschaftliche Institution bei den Nachfahren in aller Form entschuldigen“, so Pries. Bei den menschlichen Überresten handelte es sich um Schädel und Skelettteile von Personen verschiedenen Alters und Geschlechts.

Übergabe mit Zeremonie

Einmal in Neuseeland angekommen, werden die Überreste in einem geheimen Raum im Museum Te Papa eingelagert, bevor sie im Rahmen einer Zeremonie den Nachkommen übergeben werden – in der Regel zur Bestattung im Ort, in dem die Menschen lebten und gestorben waren.

„Das Museum bringt die Ahnen zu ihren Familien und Stämmen zurück, wo sie wieder respektiert, geehrt und liebevoll gepflegt werden, wie es bei den Māori üblich ist“, sagt Herewini. Dies sei die primäre Aufgabe des Rückführungsprogramms. Eine Entscheidung über die Beerdigung oder eine allfällige „Ausstellung und wissenschaftliche Untersuchung“ menschlicher Überreste liege „einzig bei den Herkunftsgemeinschaften“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.