Russlands Sparpläne: Staat privatisiert sich

Russland will Anteile an wichtigen Staatskonzernen verkaufen, 700 Millionen Euro kassieren und so den Etat sanieren. Kritiker zweifeln am Interesse westlicher Investoren.

Investor gesucht: Gasspeicher der staatlichen Firma Rosneft. Bild: ap

ST. PETERSBURG taz | Nichts braucht Russlands Haushalt derzeit so sehr wie Finanzspritzen. Doch was sich bisher nur Oppositionspolitiker offen zu artikulieren getraut hatten, sprechen nun auch Leute ohne Furcht aus, die hohe Posten in der Regierung von Wladimir Putin innehaben. Mit dem Verkauf von staatlichen Anteilen einer Reihe von Unternehmen will man die Löcher im Staatshaushalt stopfen. Darunter die großen Konzerne wie der Pipelinebetreiber Transneft, der Ölkonzern Rosneft oder die Eisenbahngesellschaft. Auch Banken wie Russlands größte Bank, die Sberbank, gehören dazu.

Durch den Verkauf der Minderheitsanteile an diesen Unternehmen will die russische Regierung umgerechnet über 700 Millionen Euro in ihre Kassen spülen und für neue Investoren attraktiv werden. Dieser Plan stößt vielfach auf Wohlwollen, müsste Russland doch keine neuen Schulden aufnehmen. Zudem werden nur Teile des Staatseigentums verkauft, die früher oder später ohnehin auf dem Markt landen sollten. Die vorgezeichnete Entwicklung wird es Russland ersparen, Zinsen für Kreditanleihen zu bezahlen. Außerdem wird Russland weiterhin die Kontrolle über die strategischen Unternehmen ausüben: man will den ausländischen Investoren ja nur Minderheitsanteile verkaufen. Obwohl diese Privatisierungspläne schon so konkret sind, liegen noch keine Kommentare des Apparates von Wladimir Putin hierzu vor. Indes bestätigen zahlreiche Quellen in den mit Finanzen und Wirtschaft betrauten Ministerien diese Pläne. Der mögliche Verkauf der Vermögensbestände, heißt es, sei schon auf einer Sitzung der Regierung diskutiert und vom Premierminister positiv beschieden worden.

Viele Beobachter erinnern sich vor dem Hintergrund dieser zweiten Privatisierung der ersten Privatisierung zu Beginn der 90er Jahre. Damals wollte sich der Staat von schwerfälligen Vermögensbeständen, einem Erbe der Sowjetepoche, befreien. Die Käufer dieser Bestände mussten damals viel Energie aufbringen, um die Fabriken, die veraltete Produkte herstellten, zu modernen Werken umzugestalten. Viele ausländische Investoren und Consulting-Fachleute zog Russland in dieser Zeit an. Und es war die Zeit, in der die Chance bestanden hätte, einen gewaltigen Sprung nach vorne in die postindustrielle Gesellschaft zu leisten. Doch die erste Privatisierung hatte eine negative Seite: sie verlief chaotisch. Viele Unternehmen waren weit unter Wert an "Bisnessmeny", an Geschäftsleute mit exzellenten Kontakten in die Politik verkauft worden.

Liberale Wirtschaftsfachleute sind der Auffassung, dass diese Jahre einen großen Teil der Elite der russischen Wirtschaft des 21. Jahrhunderts hervorgebracht haben, die zu einem späteren Zeitpunkt mit dem Attribut "Oligarchen" belegt wurden.

Unter ihnen befanden sich Michail Chodorkowski, der heute als Kritiker von Putins Machtsystem inhaftiert ist. Dazu zählen auch der Gründer des größten unabhängigen russischen Fernsehkanals NTW, Wladimir Gusinski, der Russland inzwischen verlassen hat, und der heutige Putin-Gegner Boris Beresowski, der mit der Einleitung eines Verfahrens gegen ihn nach London übersiedelte. Nicht wenige Beobachter halten es auch für illusorisch zu glauben, westliche Investoren könnten es gar nicht mehr erwarten, sich in russische Firmen einkaufen zu können. Zu gut erinnert man sich doch an Fälle, in denen die Besitzer großer Unternehmen enteignet wurden.

Aus dem Russischen: Bernhard Clasen

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.