SPD-Klausur in Leipzig: Schlimmer geht’s immer

Die SPD-Fraktion will Volksentscheide von oben einführen. Ihr Fraktionschef Raed Saleh muss im Mai um seine Wiederwahl als Parteivorsitzender fürchten.

Franziska Giffey und Raed Saleh (beide SPD) sitzen nebeneinander.

Die bisherigen SPD-Chefs Franziska Giffey und Raed Saleh, hier auf dem Landesparteitag im Mai Foto: Raed Saleh Franziska Giffey

Posaune“ heißt der Saal, in dem die SPD-Fraktion am Wochenende im Steigenberger-Hotel in Leipzig zusammensitzt, kaum fünf Gehminuten von der Thomaskirche, in der Johann Sebastian Bach wirkte. Das passt. Denn was die Berliner Abgeordneten bei ihrer Klausurtagung gleich zu Beginn hören, kann einem die Ohren dröhnen lassen. Dafür ist der Besuch von der politischen Konkurrenz zuständig: Finanzsenator Stefan Evers (CDU) ist für eineinhalb Stunden zu Gast und malt ein desaströses Bild der Landesfinanzen. Nicht knapp zwei, nein, über fünf Milliarden Euro sind demnach 2026 aus dem Landeshaushalt rauszusparen.

Klausur ist bei der SPD-Fraktion, wenn der Kalender Januar anzeigt und der sonst stets schnieke gekleidete parlamentarische Geschäftsführer im Schlabber-T-Shirt herumläuft. Da soll es dann darum gehen, dass sich die Abgeordneten noch besser kennenlernen und mal mehr Zeit ist, ein Thema intensiv zu besprechen. Fernab von Berlin passiert das, damit die Gedanken in den Diskussionen erst gar nicht dahin abschweifen, was abends zu Hause auf den Tisch soll oder noch an Besorgungen ansteht.

Dass die SPD-Fraktion dazu seit vielen Jahren in durchaus luxuriös anmutenden Steigenberger-Hotels absteigt, wirkt vor allem dann etwas unpassend, wenn es um derartige Spardebatten geht, die Abgeordnetenhaus und Senat seit Monaten beschäftigen. Von der Fraktionsführung ist zu dieser Kritik seit vielen Jahren zu hören, geeignete, genügend große Alternativen gebe es nicht.

In Leipzig also, wo sich vor rund 170 Jahren der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein als SPD-Vorläufer gründete, hören die Abgeordneten vom CDU-Finanzsenator Stefan Evers den Satz: „Das ist eine Aufgabe, wie Berlin sie noch nie gesehen hat.“ Gab es bislang schon Streit darüber, wie und bis wann aus dem laufenden Landeshaushalt knapp zwei Milliarden rauszukürzen sind, erscheint das nun fast nachrangig angesichts von „fünf bis sechs Milliarden“, die tatsächlich fehlen würden. Die Differenz decken aktuell noch Rücklagen – doch 2026 sind die aufgebraucht. Dass nach neuester Rechnung aus dem letztjährigen Haushalt laut Evers 700 Millionen übrig sind, ändert an dem Großdefizit nur wenig.

Von oben: Die SPD-Fraktion hat sich dafür ausgesprochen, dass das Abgeordnetenhaus von sich aus einen Volksentscheid ansetzen kann. Erstmals könnte das zur Frage einer Randbebaung des Tempelhofer Felds passieren.

Von unten: Bislang ist ein Volksentscheid nur nach einem mehrstufigen Volksbegehren und umfangreichen Unterschriftensammlungen möglich. Eine ohne diesen Vorlauf angesetzte Abstimmung soll laut SPD Änderungen an einem früheren Volksentscheid ermöglichen. Das Parlament soll aber auch das Recht bekommen, „einzelne andere, zu bestimmende, zu seiner Zuständigkeit gehörende Fragen einem Volksentscheid zu unterbreiten“.

Verfassung: Um diese von Kritikern als „Volksbefragung von oben“ eingestufte Möglichkeit einzuführen, bedarf es aus Sicht der SPD-Fraktion keiner Verfassungsänderung, die nur mit einer Zweidrittelmehrheit möglich ist, über welche die schwarz-rote Koalition nicht verfügt. Laut einem Gutachten des wissenschaftlichen Parlamentsdienstes von 2015, auf das sich die Fraktion stützt, reicht für eine „konsultative Volksbefragung“ ein mit einfacher Mehrheit beschließbares Gesetz. (sta)

Das ist nicht gerade ein Stimmungsaufheller für eine Partei, die sich nach fast 22 anders verlaufenen Jahren noch daran gewöhnen muss, zwar noch mitzuregieren, aber nur noch als Juniorpartnerin. In der jüngsten Umfrage für Berlin von Mitte Oktober kam die SPD nur noch auf 15 Prozent, in bundesweiten Umfragen hat sie seither weiter an Rückhalt verloren. Bildet sich das auch bei der Teilwiederholung der Bundestagswahl am 11. Februar ab, droht die SPD einen prestigeträchtigen Wahlkreis zu verlieren – den von Ex-Regierungschef Michael Müller in Charlottenburg-Wilmersdorf.

Raed Saleh, der trotz seiner erst 46 Jahre dienstälteste unter allen 16 deutschen SPD-Landtagsfraktionschefs, wirkt angesichts all dessen in Leipzig erstaunlich entspannt. Er steht zwar nicht am 11. Februar zur Wahl, aber eine dortige Klatsche hätte auch Folgen für ihn. Denn er ist nicht nur Vorsitzender der Fraktion, sondern auch der Landespartei. In der gärt es wegen der Niederlage bei der Abgeordnetenhauswahl und wegen des folgenden Streits um die schwarz-rote Koalition sowieso.

Ein miserables SPD-Ergebnis bei der Bundestagswahl könnte noch mehr Mitglieder auf die Idee bringen, dass es Zeit ist für komplett neue Gesichter an der Parteispitze. Salehs Co-Chefin Franziska Giffey hat schon Anfang Januar angekündigt, nicht wieder für den Vorsitz zu kandidieren. Wer die SPD künftig führt, soll sich im Mai entscheiden, bei einem Parteitag oder über eine Mitgliederbefragung.

„Der einsame Kai“, hatte Saleh bei der letztjährigen Fraktionsklausur über Kai Wegner gelästert, damals CDU-Spitzenkandidat. Einsam, weil laut Saleh niemand mit ihm koalieren wolle und Rot-Grün-Rot weiter regieren würde. Das sorgte für viel Gelächter bei der Fraktionsklausur und entsprechende Zeitungsschlagzeilen. Nun ist Wegner Regierender Bürgermeister und Saleh derjenige, der um seinen Posten fürchten muss. Zwei weitere Bewerbungen für den Landesvorsitz kursieren bereits, offizielle Bestätigungen dafür gibt es bislang nicht.

Salehs Rede in Leipzig ist nicht angelegt, ähnlichen Hall wie 2023 zu bewirken. Zu viel von dem, was er sagt, war schon zu hören. Saleh will die Schuldenbremse reformieren, er fordert von der Bundesregierung, einen Mietpreisdeckel zu ermöglichen. Und seine Kritik am Koalitionspartner CDU beschränkt sich weitgehend auf den Satz: „Luftschlösser wie eine Magnetschwebebahn machen noch keine Verkehrswende.“ Vorwiegend beschwört er die Wehrhaftigkeit der Demokratie gegen rechtsextremistische Tendenzen.

Das hat in einer kurzen Begrüßung auch schon sein Leipziger Parteifreund Burkard Jung getan, seit 18 Jahren dort Oberbürgermeister. Wobei die SPD über Jung hinaus in der Stadt und vor allem in ganz Sachsen nicht mehr viel zu melden hat: Auf 7 Prozent kommen die Sozialdemokraten landesweit noch, hat die Leipziger Volkszeitung am Morgen berichtet. Schon bei der jüngsten Kommunalwahl von 2019 wurde die SPD nur drittstärkste Partei, die beiden Bundestagsmandate teilen sich CDU und Linkspartei, und schon im direkten Umland dominiert die AfD.

Generell schwierige Zeiten für die SPD also, ein um seinen Parteivorsitz ringender Fraktionschef und ein AfD-Boom, dessentwegen sich die Fraktion um den gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgt. Und dazu eben noch die deprimierenden Haushaltszahlen von Finanzsenator Evers. Wobei der in all dieser Tristesse sogar noch Aufmunterndes verkündet: „Ich bin durchaus optimisch, dass wir das schaffen.“ Das allerdings bezieht er bloß auf die Finanzproblematik.

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