SPD-Mitgliedervotum zu Koalitionsvertrag: Was wäre, wenn …?

Bis Freitag 23.59 Uhr können 18.556 Berliner SPDler darüber entscheiden, ob es zu Schwarz-Rot kommt. Die taz skizziert, was bei einem „Nein“ passiert.

Das Bild zeigt unter einem Schirm die SPD-Vizelandesvorsitzende Cansel Kiziltepe.

Cansel Kiziltepe könnte bei einem „Nein“ zu Schwarz-Rot die neue Führungsfrau der SPD werden Foto: Christian Mang

BERLIN taz | Kurz vor 16 Uhr am Sonntagnachmittag. Draußen hat der angekündigte Regen eingesetzt, und drinnen sehen die Gesichter führender SPDler ähnlich grau aus. Drinnen, das heißt: im Erika-Heß-Saal der Berliner SPD-Zentrale im Wedding, benannt nach einer sehr beliebten früheren Bürgermeisterin. Hier ist gerade die Auszählung des Mitgliedervotums über die vom Parteivorstand angestrebte schwarz-rote Koalition zu Ende gegangen.

Ebendiesen Parteioberen ist bereits vor Beginn der Pressekonferenz anzusehen, dass es keine Zustimmung gegeben hat. Gleich werden die Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh sprechen und mutmaßlich ihren Rücktritt … Halt, so weit ist es noch nicht. Doch vier Tage vor besagter Pressekonferenz ist tatsächlich offen, ob die SPD-Basis den Koalitionsvertrag mit der CDU gutheißt.

„Unser Eindruck ist, dass die Stimmung in den letzten Wochen in Richtung einer Ablehnung des Vertrages gekippt ist“, frohlockte am Mittwoch Juso-Landeschefin Sinem Taşan-Funke bei der Deutschen Presse-Agentur. Sie hatte zum Start der Koalitionsverhandlungen im März die größte je erlebte Gegenkampagne angekündigt. Davon sei ja irgendwie nicht viel zu merken, spottete vor Ostern ein CDUler gegenüber der taz. Die Jusos sehen das anders, die Sache laufe nicht öffentlich, sondern intern. „Wir sind sehr zufrieden mit unserer Kampagne“, so Taşan-Funke.

Über 10.100 der 18.556 stimmberechtigten Berliner SPD-Mitglieder haben nach Parteiangaben bis Mittwoch votiert, rund 55 Prozent also. Am Mitgliedervotum der SPD über eine schwarz-rote Bundesregierung 2018 hatten sich bundesweit fast 80 Prozent beteiligt – und zu zwei Dritteln dafür gestimmt.Nun ist in der Partei zu hören, es könnte knapp werden. Falls das heißt: Knapp an einem Ja zur Koalition vorbei, so dürfte die Zeit von Giffey und Saleh an der Parteispitze vorbei sein. Immerhin geht es nicht um eine einzelne inhaltliche Entscheidung, bei der sich noch sagen ließe: ist ja nur eins von vielen Themen – wie im Sommer 2022, als ein Landesparteitag auch gegen den Willen von Giffey Enteignungen guthieß. Nein, es geht um die Grundsatzfrage der politischen Richtung: Stützt da nicht eine Mehrheit die Position der Vorsitzenden, sind die nicht mehr haltbar.

Grüne: Nur ohne Giffey und Saleh

Was dann passieren würde, ist nach vielen Äußerungen von Schwarz-Rot-Kritikern einerseits und von Grünen und Linkspartei andererseits ziemlich klar: Nachdem die SPD geklärt hat, wer sie künftig anführt, würde über eine Fortsetzung von Rot-Grün-Rot verhandelt.

Schon beim Landesparteitag der Grünen Anfang März hatte deren Fraktionschef Werner Graf die SPD-Mitglieder dazu aufgerufen, mit Nein zu stimmen. Damit könnten sie die Tür zu den Grünen wieder öffnen und man könne noch mal reden. Grafs Bedingung dafür: „Aber eins will ich nicht: Dass hinter dieser Tür noch mal Franziska Giffey und Raed Saleh stehen.“

Mehrfach haben seither führende Politiker von Grünen und Linken Schwarz-Rot als schlecht für Berlin abgetan, und nicht nur bei der SPD gibt es Stimmen, die die CDU reaktionär und rassistisch nennen. Jüngst warben der grüne Finanzsenator Daniel Wesener und die linke Sozialsenatorin Katja Kipping gemeinsam in einem Zeitungsbeitrag für Rot-Grün-Rot: Nur mit diesen Parteien sei „echte Veränderungspolitik“ machbar.

Die nach Parlamentssitzen ebenfalls mögliche Alternative Schwarz-Grün dürfte damit endgültig vom Tisch sein: Zu sehr haben sich führende Grüne zuletzt darauf festgelegt, wenn möglich, die rot-grün-rote Koalition fortzuführen. Und schon in den Sondierungen, als sich CDU und Grüne teils sehr nahe kamen, konnten die Grünen nicht zusichern, dass sie eine solche Koalition bei ihrer Basis durchbekämen.

Das wirft die Frage auf, wer Rot-Grün-Rot künftig anführen würde. Kurz nach der Wahlwiederholung am 12. Februar machte das Gerücht die Runde, SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert stehe bereit, die linke Berliner SPD von ihrer vergleichsweise konservativen Chefin Giffey zu befreien. Inzwischen liegt näher, dass bei einer Nein-Mehrheit am Sonntag Cansel Kiziltepe ganz nach vorne rücken würde. Die ist Kreuzberger Bundestagsabgeordnete und zugleich stellvertretende SPD-Landeschefin und parlamentarische Staatssekretärin im Bundesbauministerium.

Kiziltepe war Teil der Verhandlungsgruppe und galt in den Sondierungsgesprächen als Befürworterin einer Fortsetzung der rot-grün-roten Koalition. Doch die Empfehlung der Gruppe zu Koalitionsgesprächen mit der CDU trug auch sie mit. Für die von Giffey angestrebte schwarz-rote Regierung gilt sie als mögliche Sozialsenatorin. Für einige in der SPD hat sie sich damit schon kompromittiert, für andere aber ist sie gerade wegen ihrer Zwischenrolle als eigentlich linke Kritikerin die geeignete Frau, Gräben in der Partei zu schließen.

Bei „Ja“ wird Wegner nächste Woche gewählt

Außerdem wäre die 47-Jährige nicht nur eine weitere Chefin im Roten Rathaus, sondern die erste Ministerpräsidentin mit Migrationshintergrund – Kiziltepes Eltern kamen aus der Türkei nach Deutschland.

Das alles in der Partei zu diskutieren, einen neuen Koalitionsvertrag zu verhandeln und Kiziltepe schließlich zu wählen, dürfte bis weit in den Sommer dauern. Der bisherige Senat bliebe bis dahin im Amt.

Kommt es am Sonntag anders und im Erika-Heß-Saal tritt eine strahlende Giffey vor die Journalisten, um ein Ja zu Schwarz-Rot zu verkünden, geht alles viel schneller. Dann gibt am Montag ein CDU-Parteitag grünes Licht für die Koalition, tagt der rot-grün-rote Senat Dienstag ein letztes Mal – und dann würde Kai Wegner am Donnerstag im Abgeordnetenhaus zum ersten Regierenden Bürgermeister von der CDU seit fast 22 Jahren gewählt.

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