Schröder, Gaza und Feiertagspolitik: Nach dem Offensichtlichen fragen

Kiffen kann, wie vieles andere gerade, starke Übelkeit verursachen. Trotzdem wäre es jetzt nicht schlecht, sich ein bisschen wegzuballern.

eine große Gruppe Menschen sitzt im Görlitzer Park in Berlin und kifft, dicke Rauschschwaden steigen auf

Die Lage ist kompliziert bis deprimierend. Wenigstens das Kiff-Trauma ließe sich jetzt aber überwinden Foto: Paul Zinken/ dpa

Morgens einen Joint und der Tag ist dein Freund. Das Problem ist allerdings, dass der Stoff nicht immer in einer rauchbaren Form daherkommt. Was mein Verhältnis zu Cannabis angeht, so leide ich aus diesem Grund an einer Art posttraumatischen Belastungsstörung. Ich hatte an jenem verhängnisvollen Sommerabend auf der „Marie-Huana-Party“ Bier getrunken und, da ich noch nie allzu trinkfest war, beschlossen, mir etwas Essbares zu besorgen.

Glücklicherweise hatte jemand kleine, knuffige Schokoladenmuffins mitgebracht. Ich fand schon, dass es ein etwas ungewöhnlicher Snack zu Bier und Wein war, aber lieber schnell zuschlagen, dachte ich mir, bevor sie weg sind. Sie waren wirklich lecker. Allen anderen ist klar gewesen, dass den Küchlein eine berauschende Zutat beigemengt worden war. Nur ich hatte das Offensichtliche nicht bemerkt.

So speiübel wie in jener Nacht ist mir nicht einmal geworden, als ich aus nächster Nähe eine Rede von Martin Sellner vor Identitären in Dresden miterlebt habe.

Warum wird Schröder eigentlich noch interviewt?

Jedenfalls habe ich daraus gelernt, dass man immer nach dem Offensichtlichen fragen sollte, selbst wenn andere es nicht tun. Zum Beispiel: Warum hat Ostern zwei Feiertage? Oder: Wie kann es sein, dass Olaf Scholz Bundeskanzler geworden ist? Und ganz aktuell in dieser Woche: Warum wird Gerhard Schröder eigentlich noch interviewt? Anlässlich seines 80. Geburtstages hat der NDR eine Doku über sein heutiges Leben – „Außer Dienst? Die-Gerhard-Schröder-Story“ – erstellt. Ausführlich bringt er dort sein warmherziges Verständnis für seinen Freund Wladimir Putin zum Ausdruck.

„Es gibt freie Wahlen, das kann man nicht bestreiten“, lässt der Altkanzler wissen. Und die russische Opposition sei auch nicht direkt verboten. Putin-Gegner verschwinden oder sterben halt nur auf rätselhafte Weise, wenn sie den Mund aufmachen. Schröder erinnert dabei an einen Geisterfahrer, der im Radio die Nachricht hört, es sei auf seiner Strecke ein Falschfahrer unterwegs. „Wieso einer? Tausende!“

Apropos Tausende: In den vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) finanzierten und konzipierten Integrationskursen haben die Teil­neh­me­r*in­nen keine Möglichkeit, sich Urlaub zu nehmen – auch nicht zum Ende des Fastenmonats Ramadan, das mit dem Zuckerfest groß gefeiert wird. Es sind ganz normale Unterrichtstage, denn die festgelegten Ferien gruppieren sich größtenteils um die christlichen Feste herum. Da wissen die Zuwanderer gleich, was man in Deutschland unter Integration versteht.

Warum gibts keinen einzigen muslimischen Feiertag in Deutschland?

Die offensichtliche Frage dazu lautet: Warum existiert in einem Einwanderungsland mit mittlerweile über fünf Millionen Mus­li­m*in­nen nicht ein einziger muslimischer Feiertag? Er müsste ja nicht mal religiös benannt sein, sondern könnte auch neutral formuliert sein, etwa der Silke-Mertins-von-der-taz-zu-verdankende-Feiertag. Nur so als Beispiel.

Eine andere offensichtliche Frage, die auch in dieser Woche wieder nicht gestellt wurde, ist: Warum werden Hilfsgüter aus der Luft über Gaza abgeworfen und über improvisierte Häfen debattiert, wenn es so viel einfacher und effizienter wäre, über Ägypten massenhaft humanitäre Hilfe nach Gaza zu schaffen? Und warum fordert niemand, dass Ägypten einfach mal die Grenzen öffnet, damit von Hunger und Krieg bedrohte Frauen, Männer und Kinder sich in Sicherheit bringen können?

Die ägyptische Regierung will verhindern, dass Gaza entvölkert wird und dadurch den palästinensischen Anspruch auf den Küstenstreifen verliert. Oder anders formuliert: Die palästinensische Sache ist wichtiger als das Leben der Palästinenser. Ein bisschen Verlust ist immer. Dabei wäre den Menschen schon geholfen, wenn sie temporär im Sinai untergebracht werden würden. In Zelt- und Behelfslagern nahe der Grenze könnten sie immerhin versorgt werden.

Die Lage im Nahen Osten ist wieder einmal so ausweglos und verzweifelt, dass man am liebsten nur noch Katzenvideos anschauen würde. Oder einen Joint rauchen, wenn man dahingehend bereits Vorbereitungen getroffen hat. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir wird ja seit langem nachgesagt, entsprechende Gewächse auf seinem Balkon zu hegen und zu pflegen. Und wer weiß, vielleicht kann er auch Muffins backen. Ich bin bereit, mein Trauma zu überwinden und rechne täglich mit einer Einladung.

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