Schule in Berlin: Das tanzende Klassenzimmer

Das Programm "Kulturagenten" bringt Schulen und kulturelle Einrichtungen in gemeinsamen Projekten zusammen. Ein großer Vorteil: die Finanzierung über mehrere Jahre.

Schüler in rhythmischer Bewegung. Bild: dpa

„Wir sind jetzt an der Stelle, wo das Einhorn die Realwünsche geschluckt hat“, ruft Theaterpädagogin Wiebke Hagemeier. Die 55 Kinder und Jugendlichen im Alter von 5 bis 20 Jahren, die eben noch über die Bühne getobt sind, werden schlagartig ruhig. Für die Probe der letzten Szene an diesem Nachmittag bringen sie nochmal ihre ganze Konzentration auf. Wenige Tage bleiben bis zur Aufführung am Freitag unter dem Motto „MV – Alles fliegt“. MV wie Märkisches Viertel.

Das Tanztheaterstück ist Teil der Auftaktveranstaltung des Modellprogramms „Kulturagenten für kreative Schulen“ in der Reinickendorfer Hochhaussiedlung. Aufgeführt wird es unter der Leitung des freien Choreografen Mikel Aristegui sowie der Theaterpädagoginnen Uta Plate und Lydia Ziemke von der Schaubühne am Lehniner Platz. „In der Performance geht es um die tanzende Stadt“, fasst Ziemke zusammen. „Was man sieht, spürt und kennt, wird körperlich verarbeitet, in architektonischen Bildern und Bewegungschoreografien.“ Gleichzeitig seien Texte der Jugendlichen verarbeitet worden: „Es geht darum, das Leben hier zu hinterfragen. Was liebt, was hasst man? Was versteht man nicht, was wünscht man sich?“

Seit Januar 2012 arbeiten die Künstler mit Kindern und Jugendlichen dreier Schulen im „MV“ zusammen: der Hannah-Höch-Grundschule, der Bettina-von-Arnim-Sekundarschule und des Thomas-Mann-Gymnasiums. Initiiert hat das Projekt Anja Edelmann. Die Bühnen-und Kostümbildnerin arbeitet seit vergangenem September als „Kulturagentin“ an den drei Schulen. Insgesamt sind zehn „Agenten“ an 30 Berliner Schulen tätig. Ihre Mission im Rahmen des von der Kulturstiftung des Bundes und der Stiftung Mercator finanzierten Programms: Schulen und Kulturinstitutionen zusammenbringen und Projekte entwickeln, die möglichst vielen Kindern und Jugendlichen einen Zugang zu Kunst und Kultur eröffnen.

Aktionen, die verpuffen

„Die Schule zu einem Ort der Kultur machen“, so versteht Reinhard Piekarski, Schulleiter der Thomas-Mann-Schule, das Ziel der Kulturagenten. „Das Schöne an dem Projekt ist, dass es eine Zeitspanne von vier Jahren hat. In Berlin gibt es viele wundervolle Kulturprojekte mit Schülern, aber es werden Energien für einmalige Aktionen reingesteckt, die verpuffen, wenn das Geld weg ist.“

Für Anja Edelmann versucht das Programm, „eine Leerstelle zu füllen“. Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeige, dass Schulen und Kulturinstitutionen sehr wohl kooperieren wollen. „Aber die Bedingungen und Sprachen sind so verschieden, dass man einen Dolmetscher braucht.“ Die Schulkollegien empfinde sie prinzipiell als offen, sie steckten jedoch in einem Korsett aus Rahmenplänen, Prüfungen und streng getakteten Unterrichtsstunden. Ein künstlerischer Prozess brauche Freiräume. Schulleiter Piekarski bestätigt: „Wir versuchen einerseits die Projekte in den Unterricht einzubinden und andererseits Projekte nebenherlaufen zu lassen.“ Eine „Gratwanderung zwischen dem Schaffen von Möglichkeiten und der Abdeckung von Unterricht“ nennt er die Kooperation.

Aber die Öffnung der Schule bietet auch neue Potenziale: „Die Schüler profitieren davon, andere Perspektiven kennen zu lernen, mit denen man Wissen und Leistung anschauen kann“, beschreibt Kulturagentin Edelmann ihre Erfahrung. Und das zeigt auch die Entwicklung, die ihr Projekt genommen hat: Ursprünglich war die Auftaktveranstaltung von den drei Schulleitern geplant, um sich als Schulnetzwerk zu präsentieren. Als „anarchisches Moment“ empfindet Edelmann, dass sich nun das Tanztheater-Projekt „so ausbreitet und etwas in einem offiziellen Rahmen Gehör findet, was nicht geplant war: die Stimmen der Schüler“. Was nicht zuletzt an der anderen Herangehensweise liegt, die die Künstler in die Schule tragen. „Wir haben vor allem Fragen gestellt“, erzählt Theaterpädagogin Ziemke.

„Ich wünsche mir eine tanzende Stadt!“, ruft Maja, eine der Darstellerinnen in der Schlussszene. Das Standbild der Schüler gerät daraufhin in Bewegung. Eine Gruppe beginnt mit einem Walzer, eine andere bewegt sich zu HipHop, die hintere Reihe dreht Pirouetten – bis am Ende alle 55 Schüler tanzen.

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