Schulpolitik in Baden-Württemberg: Kretschmann offen für neues G9

Baden-Württemberg beugt sich dem Votum eines Bürgerrats und einer erfolgreichen Volksinitiative. Doch es braucht Zeit für mehr Lehrpersonal.

Portrait Winfried Kretschmann

Offen für G9: der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann Foto: Marijan Murat/dpa

KARLSRUHE taz | Als letztes westdeutsches Flächenland prüft nun auch Baden-Württemberg eine Rückkehr zu G9, dem Abitur nach neun Jahren an Gymnasien. Das erklärte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nach einer Kabinettssitzung am Dienstag: „Wir sind offen für ein neues G9.“ Es werde nun ein neues Modell erarbeitet. Klar sei aber auch, dass die Priorität in der Schulpolitik in seinem Land in dieser Legislatur bei der Stärkung der Grundschulen und der frühkindlichen Bildung liege.

Kretschmann, der selbst als Anhänger von G8 gilt, reagiert damit auf den per Volksantrag und Bürgerforum geäußerten Bürgerwillen. Nach einem im Herbst erfolgreichen Volksantrag einer Elterninitiative mit über 100.000 Unterschriften, der nach der Landesverfassung zur Folge hat, dass das Thema im Landtag debattiert werden muss, hat sich nun auch ein von der Landesregierung selbst eingesetzter Bürgerrat für ein neunjähriges Gymnasium ausgesprochen.

Dabei fordert das Gremium ein reformiertes neunjähriges Gymnasium als Regelfall und pro Landkreis mindestens einen „G8-Schnellläufer-Zug“ für besonders Begabte. Die Landesregierung hatte im Rahmen von Kretschmanns selbsterklärtem Markenzeichen – der „Politik des Gehörtwerdens“ – ein Gremium aus 55 zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern beauftragt, ein Votum zu der Frage zu erarbeiten, ob das Abitur künftig in acht oder neun Jahren erreicht werden soll.

Das Bürgerforum hat sich seit September in zwei Sitzungen und vier digitalen Anhörungen mit der Reform des Gymnasiums beschäftigt und dabei 17 Experten gehört sowie 13 betroffene Lehrer, Schüler und Eltern befragt. Das Gremium sprach sich in einer ersten Kurzfassung des Abschlussberichts mit überwältigender Mehrheit für eine längere Gymnasialzeit aus, aber auch für eine tiefgreifende Reform, die Schülerinnen und Schülern aller Schularten mehr Raum für kreatives und gleichberechtigtes Lernen gibt.

Reform soll schrittweise kommen

Die Reform des Gymnasiums soll demnach schrittweise erfolgen, um Zeit für den Aufbau von Lehrpersonal zu haben. Auch soll zuvor die Auswirkung auf andere Schularten geprüft werden – etwa die ab 2011 neu eingeführte Gemeinschaftsschule. Einen ersten Impuls für G9 hatten zuvor zwei Mütter mit ihrer Initiative zum Volksantrag gesetzt, der mit 106.000 Unterschriften dreimal mehr erhielt als nötig waren. Angesichts dessen scheint auch der Erfolg eines Bürgerentscheids nicht ausgeschlossen, für den allerdings höhere Hürden gelten.

Kretschmann sagte, man werde sich jetzt auch mit den Initiatoren des Volksantrags zusammensetzen, um ihre Wünsche mit denen des Bürgerentscheids abzugleichen. Im Landtag gäbe es für die Rückkehr zu G9 längst eine Mehrheit. Selbst die CDU, die G8 eingeführt hatte, hat sich inzwischen dafür ausgesprochen. FDP und SPD sind ohnehin dafür. Nur die Grünen zögern bisher noch, weil es das endgültige Aus für den gymnasialen Zug an Gemeinschaftsschulen bedeuten könnte, der ohnehin nur selten genug Zulauf hat.

Ministerpräsident Kretschmann wie auch die grüne Kultusministerin Theresa Schopper gelten vor allem aus Kostengründen und wegen fehlender Lehrkräfte als Gegner eines neunjährigen Gymnasiums. Sie hatten immer wieder darauf hingewiesen, dass es keine belastbaren Studien gebe, die eine Rückkehr rechtfertigen. Das Kultusministerium rechnet bei der Rückkehr zu G9 mit einem Bedarf von bis zu 1.329 zusätzlichen Lehrerstellen sowie Mehrkosten von rund 112 Millionen Euro.

Tatsächlich ist es bislang in Baden-Württemberg nicht nur an einzelnen extra ausgewiesenen G9-Gymnasien möglich, das Abitur nach 13 Jahren abzulegen. Auch alle beruflichen Gymnasien führen Realschüler mit einer dreijährigen Oberstufe zum Abitur. Die Regierung werde den Volkswillen berücksichtigen. Es sei „nicht möglich, auf Dauer gegen den Willen der Mehrheit zu regieren“, erklärte Kretschmann. Eine Prognose, ob G9 bis zum Ende seiner Amtszeit wieder eingeführt werde, wollte er aber nicht wagen.

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