Schutzmasken-Affäre der Union: Die Moral der Geschichte

Bundestagsabgeordnete bereichern sich an der Coronakrise und werfen damit die Moral über Board. Doch hilft die uns überhaupt weiter?

zwei Hände mit Geldscheinen

Money, Money… und Moral Foto: imageborker/imago

Mit 13 oder 14 habe ich ein Portemonnaie in einem Kaufhaus gefunden. Um die 70 Euro waren drin. Das ist viel Geld damals, als ich mit meinen Brüdern etwas aussichtslos für die neueste Version des Videospiels „Fifa“ gespart habe, war es noch viel mehr Geld. Ich wollte es behalten, aber meine Mutter hat mich daran gehindert: „Das Geld von anderen einzustecken bringt Unglück!“ Ich habe das Portemonnaie dann samt Geld im Kaufhaus abgegeben. Auch wenn meine Mutter es ein bisschen abergläubisch verpackt hat, sprach aus ihr ihre moralische Überzeugung.

Heute höre ich im Radio Nachrichten von Bundestagsabgeordneten, die Provisionen für Coronamaskendeals kassiert, sich so an einer gesellschaftlichen Krise privat bereichert haben sollen, und ich denke an die Worte meiner Mutter; und an die Gesellschaft, in der sie moralisch interveniert hat, während andere ganz anders mit viel größeren Geldsummen umgehen. Die Moral lese ich dann vor allem als Herrschaftsinstrument.

Dass die Welt in Arm und Reich gespalten ist, ist kein Ergebnis unmoralischer Entscheidungen, sondern der als moralisch erachtete Normalzustand. Es ist Ausdruck von Eigentumsverhältnissen und einer daraus folgenden Arbeitsteilung, in der die einen im moralischen Selbstverständnis harter Arbeit nachgehen müssen, um sich selbst zu reproduzieren, und die anderen es ganz und gar nicht unmoralisch finden, dass sie das wegen glücklicher persönlicher Umstände nicht müssen, um ein viel angenehmeres Leben zu genießen.

Die bestehende Ordnung

Nun haben es wieder einmal zwei Repräsentanten dieses moralischen Normalzustands zu weit getrieben, weil ihnen dieser Vorteil nicht ausgereicht hat. Sie ziehen deshalb den Zorn der Allgemeinheit auf sich: Nicht nur das Vertrauen in die Unionsparteien stehe im Superwahljahr auf dem Spiel, sondern jenes in ein ganzes politisches System, liest man. Dabei ist es doch so, dass die bestehende Ordnung, die mit solchen Ausfällen eigentlich ihren Wesenskern offenbart, jetzt ein Opfer hergeben muss, um nicht als Ganzes in Verdacht zu geraten.

Denn die Abgeordneten haben nicht prinzipiell, sondern graduell anders gehandelt als es in dieser Ordnung der Ausbeutung der einen durch die anderen moralisch anerkannt ist. Das sieht man auch daran, dass teilweise geklärt werden muss, ob dieses Handeln überhaupt justiziabel ist.

Ist es deshalb nicht auch Betrug, moralisierend so zu tun, als würde es in der pandemisch-kapitalistischen Gegenwart gar nicht um Geschäfte, sondern um Nächstenliebe gehen? Tut die moralische Empörung nicht so, als würde es in unserer Gesellschaft jenseits der Maskendeals schon ganz gerecht zugehen? Und warum gibt meine Mutter mehr auf Moral als Bundestagsabgeordnete?

Die Antworten liegen in den materiellen Strukturen und der dazugehörigen Ideologie. Wenn man sie verstehen will, dann sollte man die Moral entsorgen. Denn Moral entpolitisiert.

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Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

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