Shlomo Bistritzky über Einbürgerung: „Wir wollen in die Zukunft schauen“

Rabbiner Shlomo Bistritzky hat sich einbürgern lassen, weil er dauerhaft bleiben und für die neue Generation ein Zeichen setzen will.

Seine Einbürgerung bedeutet nicht, dass der Holocaust vergessen ist: Rabbiner Shlomo Bistritzky. Bild: dpa

taz: Herr Bistritzky, warum haben Sie sich am Freitag in Deutschland einbürgern lassen? Ist der Holocaust vergessen?

Shlomo Bistritzky: Der deutsche Pass bedeutet nicht, dass ich mit der Geschichte einverstanden bin. Aber ich wohne seit zwölf Jahren hier, bin Landesrabbiner und will hier bleiben. Und vor gut zwei Jahren hat mir ein Freund, der ehemalige Kultursenator Reinhard Stuth, vorgeschlagen, mich einbürgern zu lassen. Unter der Bedingung, dass ich meinen israelischen Pass behalten darf, habe ich ja gesagt. Denn es ist ein starkes Symbol für eine neue Generation von Juden und Deutschen.

Von selbst hätten Sie die Einbürgerung nicht betrieben?

Nein, ich hatte nicht daran gedacht. Aber da es an mich herangetragen wurde, war es in ok.

Ihr Großvater floh 1938 aus Hamburg vor den Nazis. Versteht er Ihre Entscheidung?

Er lebt inzwischen nicht mehr, und über die Einbürgerung haben wir nicht gesprochen. Er hat uns aber zweimal hier besucht. Und die Entscheidung, mit meiner Familie in Hamburg zu leben und jüdisches Leben wieder aufzubauen, haben sowohl er als auch mein Großvater mütterlicherseits, der das KZ überlebte, geschätzt.

Was empfinden Sie, wenn Sie auf den Spuren Ihres Großvaters und Urgroßvaters durch Hamburg gehen?

Diese Frage höre ich auch von vielen Juden: wie es ist, als Jude in Deutschland zu leben. Man muss da unterscheiden zwischen dem Alltag und besonderen Momenten. Der Alltag unterscheidet sich nicht von dem in London, Paris oder New York. An Holocaust-Gedenktagen ist der Gang auf die Straße aber ganz anders – unabhängig vom deutschen Pass in der Tasche. Denn denke ich, das war hier in Deutschland, die Menschen damals waren genau wie die Menschen heute, ganz normale Bürger.

37, geboren in Israel, leitet seit 2003 das Chabad-Zentrum, das eine orthodoxe Linie vertritt, und ist Landesrabbiner der dortigen Gemeinde.

Und wie empfinden Sie die „besonderen Situationen“?

Ich war zum Beispiel vor kurzem in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Ich besuchte sie, anders als vor zehn Jahren, jetzt mit sehr guten Deutschkenntnissen und konnte alle Dokumente lesen und verstehen. Das hat mir schon weh getan zu sehen, das die bürokratische Sprache der deutschen Dokumente damals dieselbe war wie heute.

Was bedeutet das für den Hamburger Alltag?

Dass wir alles tun müssen, damit sich so etwas nicht wiederholt. Andererseits können wir als Gemeinde für mehrere 1.000 Juden, die in Hamburg leben, keine Zukunft gestalten, wenn wir immer an die Vergangenheit denken. Diese Versöhnung gilt übrigens zwischen allen Völkern. Und das jüdische Leben in Hamburg entwickelt sich ja gut. Wir haben jetzt einen Kindergarten, eine Schule, koschere Geschäfte – es ist eine neue Generation deutscher Juden.

Trotzdem wurden Sie in Hamburg einmal auf der Straße attackiert. Haben Sie keine Angst?

Nein. Der Antisemitismus ist in Deutschland sehr viel schwächer als zum Beispiel in Frankreich. Andererseits hat der Westen insgesamt Angst vor radikalem Terror – einerseits durch radikale Islamisten, andererseits durch Neonazis. Man darf diese Gefahr nicht ausblenden, aber sie existiert nicht nur für uns als Juden.

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