Simulierter Super-GAU: Das Problem bleibt ungelöst

Der Schutz der Bevölkerung würde im Falle eines Super-GAUs an unklaren Zuständigkeiten scheitern. Das Problem ist bekannt – und ungelöst.

Die bisherigen Gesetze sind nicht geeignet, radioaktive Gefahren zu stoppen. Bild: dpa

BERLIN taz | Bei einer Super-GAU-Übung vor einem Jahr hat sich gezeigt: Wenn Radioaktivität aus einem deutschen Atomkraftwerk austritt, brauchen die Krisenstäbe von Bund und Ländern viel zu lange, um die Öffentlichkeit zu informieren. Die Empfehlung an die Betroffenen, im Haus zu bleiben und Fenster und Türen zu schließen, erreichte die Menschen in einigen Städten erst fünf Stunden nach der radioaktiven Wolke.

Nun macht man solche Übungen ja nicht, damit dort alles rund läuft. Man macht sie, um herauszufinden, wo es im Ernstfall hakt. Beunruhigend ist also nicht, dass die Übung vor einem Jahr schief gegangen ist – sondern dass die erforderlichen Konsequenzen seither nicht gezogen wurden.

Die Ursache für das Problem war nach der Übung schnell ausgemacht: Die Zuständigkeiten sind nicht eindeutig verteilt. In dem Abschlussbericht Thüringens, den die taz.am Wochenende exklusiv veröffentlicht hatte, heißt es: „Die langwierigen Diskussionen während der Telefonkonferenzen hierzu haben gezeigt, dass es dringend erforderlich ist, bundesseitig gesetzliche Regelungen zu fassen, die die Zuständigkeiten eindeutiger definieren, als es bis jetzt der Fall ist. Ein realer Fall darf in Krisensituationen nicht in Zuständigkeitsbetrachtungen untergehen. Hier wären die Konsequenzen unabsehbar.“

Niedersachsen schrieb: „Zudem darf es in der Telefonkonferenz zu keinen Zuständigkeitsdiskussionen kommen. Die Zuständigkeiten sollten vorher vom BMU dargestellt und ggf. im Vorfeld in den entsprechenden Ausschüssen vorgestellt und diskutiert werden.“

„Sehr viel Interpretationsspielraum“

Baden-Württemberg: „Es sollten im Vorfeld zur nächsten Übung einige Rechtsgrundlagen geklärt werden. Ohne eine Klärung der Rechtslage besteht ansonsten die Sorge, dass es im Ernstfall zu nicht zu vertretenden Grundsatzdiskussionen kommt.“

Hessen: „Die Belastbarkeit des Strahlenschutzvorsorgegesetzes bei einer großflächigen Gefahrenlage steht in Frage. Die rechtliche Grundlage lässt sehr viel Interpretationsspielraum, dies haben die teilweise sehr langen Diskussionen während der Telefonkonferenzen gezeigt.“

Bei einem Treffen, bei dem die Verantwortlichen die Übung auswerteten, hieß es im Protokoll: „Zusammenfassend besteht die Sorge, dass die zuständigen Behörden aufgrund dieser rechtlichen Unklarheiten derzeit nicht handlungsfähig sind.“

Das Bundesumweltministeriums schrieb in seinem Bericht: „Die Forderung nach Anpassung des Strahlenschutzvorsorgegesetzes wurde durch das Referat aufgegriffen.“

Wenn sich offenbar alle Betroffenen einig sind und wenn es um ein wichtiges Thema geht - dann sollte es doch eigentlich schnell gehen? Was ist also in den 13 Monaten seit der Übung passiert?

Kein Gesetzentwurf

Das Strahlenschutzvorsorgegesetz wurde bis heute nicht angepasst. Es ist auch noch keine Drucksache mit einem Gesetzentwurf für eine Änderung bei Bundesrat oder Bundestag eingegangen. Eine taz-Anfrage vom 23. September nach dem Stand der Dinge hat das Bundesumweltministerium bisher nicht beantwortet.

Die Grünen-Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl fordert die Verantwortlichen auf, keine Zeit mehr zu verlieren: „Das Bundesumweltministerium und die Innenminister müssen endlich ernsthaft Gas geben, bei dem Thema geht es buchstäblich um Leben und Tod.“ Das Ergebnis der Übung hat sie verblüfft: „Schockierend ist die Art der Defizite. Da hakt es an Zuständigkeitsfragen und Technikproblemen, die seit Jahrzehnten geklärt und eingespielt sein sollten – nicht etwa an Neuerungen, die nach Fukushima beschlossen wurden. Das lässt ernsthaft daran zweifeln, ob unsere Behörden der gewaltigen logistischen Aufgabe gewachsen sind, die die seit Fukushima nötige deutliche Ausweitung des nuklearen Katastrophenschutzes bedeutet.“

Auch das Niedersächsische Umweltministerium forderte am Montag „mehr Tempo bei Überarbeitung der Notfallschutzmaßnahmen für Atomkraftwerke“. Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne): „Viel zu lange ist man offenbar davon ausgegangen, dass keine wirklichen Gefahren drohen“, teilte er mit. „Spätestens seit Fukushima wird aber offenbar auch immer mehr Atomkraftbefürwortern klar, dass in jedem Land der Welt Ereignisse denkbar sind, die vorher als Ereignisse jenseits der praktischen Vernunft definiert wurden.“ Auch er sieht das Bundesumweltministerium in der Verantwortung, denn die „Kommunikationsübung zwischen Bund und Ländern hatte Schwachpunkte beim Bund aufgezeigt“.

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