So­zi­al­ar­bei­te­r:in­nen über Drogenpolitik: „Vertreibung schafft Konflikte“

Bremer So­zi­al­ar­bei­te­r:in­nen fordern definierte Orte für Drogenabhängige statt Vertreibung. Polizeipräsenz sehen sie kritisch.

Eine aufgezogene Spritze liegt in einem abgenutzten Etui.

Spritze eines Drogenabhängigen in einem Drogen-Konsumraum in Frankfurt Foto: dpa | Boris Roessler

taz: Paulina und Sönke, teilt ihr bei der Initiative „Fix it“ Luka Lenzins Diagnose, dass die Prohibition von Drogen gescheitert ist?

Paulina: Wenn das Ziel der Prohibition ist, Repression zu ermöglichen, ist sie erfolgreich. Wenn das Ziel aber ist, Konsum zu minimieren oder Sicherheit zu schaffen, ist sie gescheitert. Mit Repression auf außer Kontrolle geratenen Konsum zu reagieren, um ihn zu reduzieren, ergibt keinen Sinn.

Wie ist die aktuelle Situation bei der Fläche an der Friedrich-Rauers-Straße, wo Bremen Konsum toleriert?

Sönke: Sehr prekär. In die Container sind mittlerweile Personen aus der Szene eingezogen. Das Gesundheits- und das Sozialressort waren davon sehr überrascht. Dabei ist das nur ein Indiz dafür, dass es viel zu wenig Notschlafstellen und zu wenig Wohnraum gibt. Jenseits davon ist das Setting dort zwischen Bahngleisen, der Hochstraße und leer stehenden Häusern sehr stigmatisierend.

Paulina: Die Personen, die in den Containern ihren Lebensmittelunkt haben, sind von vielen Ausschlussmechanismen betroffen – weil sie ohne Zuhause sind, unter Migrationsgesetzen leiden oder keine Ansprüche auf Hilfe haben. Es stimmt zwar, dass Hilfeangebote fehlen, aber viele Personen sind sogar von der Nutzung der wenigen Angebote ausgeschlossen.

Paulina und Sönke sind Teil der Gruppe „Fix it“, in der kritische So­zi­al­ar­bei­te­r:in­nen aus der Praxis über die Probleme der Bremer Drogenpolitik berichten. Anonym bleiben sie, weil sie Nachteile am Arbeitsplatz in Reaktion auf ihre Kritik befürchten.

Hilft die Forderung nach mehr sozialen Hilfen und weniger Repression bei der Ursachenbekämpfung?

Paulina: Es ist kurzfristig sicherlich richtig, vom Staat zu fordern, die Situation nicht zu verschlimmern. Langfristig ist aber die Frage, warum bestimmte Gruppen überhaupt in diese Situation geraten. Das hängt mit weitreichenden Strukturen unserer Gesellschaft zusammen. Da geht es um Armut, Arbeitsverhältnisse, Wohnungsnot, geschlechtsbezogene Gewalt, rassistische Migrationsgesetze oder unser Strafsystem. Bei diesen grundlegenden Strukturen kann auch Soziale Arbeit nur ein Teil der Antwort sein.

Die Bremer Politik begründet ihre Vertreibungspraxis auch mit einem Unsicherheitsgefühl der Bevölkerung. Welche Alternativen seht ihr, um dieses Gefühl zu verbessern?

Sönke: Durch die Polizeipräsenz wird ein Bild erzeugt, das der Szene viel Negatives zuschreibt. Aber wie viele Leute haben denn tatsächlich negative Erfahrungen gemacht? Politiker können mit Forderungen nach mehr Sicherheit schnell eine feindliche Stimmung erzeugen, weil die Leute aus der Szene so gut wie gar nicht gehört werden.

Luka Lenzin liest aus „Nadel und Folie“, ein Comic über den Alltag in einer Drogenberatung, anschließende Diskussion, 15. 3., 19.30 Uhr, Lagerhaus, Bremen

Paulina: Die Orte um den Bahnhof haben viele Eigenschaften, die Unsicherheitsgefühle bestärken – unabhängig von der offenen Drogenszene. Beim neuen City Gate ist nach Feierabend tote Hose, stattdessen hätte man dort auch eine offene Bühne mit Licht und kulturellen Angeboten hinsetzen können. Andere Städte schaffen es auch, dass es etwa in Parks Bereiche für Kids, Bereiche für konsumierende Leute und Bereiche für Sport­le­r:in­nen gibt. Durch die ständige Vertreibung schaffen wir stattdessen Unberechenbarkeit, und das führt zu Konflikten. Wenn wir Orte hätten, von denen wir wissen, für welchen Zweck sie sind, wäre das Konfliktpotenzial schon minimiert. Polizei ist nicht die einzige Antwort auf Unsicherheitsgefühle.

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