Sozialkaufhaus in Hamburg-Wandsbek: Bei den Schwächsten gespart

Dem Sozialkaufhaus „Spenda Bel“ in Hamburg-Wandsbek droht die Schließung, weil der Bund Gelder kürzt. Leidtragende sind Kun­d*in­nen und Beschäftigte.

Ein Regal mit ordentlich gefaltenten Bündeln bunter Bettwäsche

Vieles ist viel günstiger als im gewöhnlichen Einzelhandel: Regal in einem Sozialkaufhaus Foto: Robert Michael/dpa

HAMBURG taz | Draußen nieselt’s, drinnen brummt’s. Das Sozialkaufhaus „Spenda Bel“ in Wandsbek ist gut besucht. Kun­d*in­nen stöbern durch die Kleiderstangen im Verkaufsraum, im Café auf der anderen Seite des Raums sind alle Tische besetzt. Auf der Speisekarte stehen Kuchen, belegte Brote und ein täglich wechselnder Mittagstisch. Der Latte Macchiato kostet hier 1,20 Euro. Einkaufen können im Spenda Bel alle, die im Monat weniger als die aktuelle Pfändungsfreigrenze zur Verfügung haben. Gerade sind das 1.402,28 Euro.

An diesem Dienstag ist Tag der offenen Tür, doch „es gibt viele Menschen, die jeden Tag hierher kommen“, erklärt Jörg Münch. Der 48-Jährige bezieht Bürgergeld und ist hier über einen Ein-Euro-Job beschäftigt, im Jobcentersprech: „Arbeitsgelegenheit“ (AGH). Heute führen Münch und seine Kol­le­g*in­nen Interessierte durch die Räume, zu denen neben dem Café eine Schneiderei und eine Werkstatt gehören.

„Die Arbeit hier war meine Rettung“, sagt die 44-jährige Langzeitarbeitslose Miriam Zorn. Wie ihr Kollege Münch arbeitet sie im Verkauf, seit drei Monaten ist sie fünf Tage die Woche hier. Vorher sei sie kaum unter Menschen gekommen, sagt sie. So geht es einigen der insgesamt 45 über eine AGH Beschäftigten im Spenda Bel.

Der Grundgedanke der „Arbeitsgelegenheit“ ist im Sozialgesetzbuch II festgeschrieben. Es geht darum, Arbeitslose für den ersten Arbeitsmarkt fit zu machen und soziale Teilhabe zu fördern. Bürgergeld-Beziehende sollen darüber bis zu 24 Monate lang 15 bis 30 Stunden die Woche in einer Einrichtung arbeiten, die „im öffentlichen Interesse liegt“. Dafür gibt es eine „Mehraufwandsentschädigung“ von zwei bis drei Euro pro Stunde, zusätzlich zum Bürgergeld. Die Arbeitsagentur kann Menschen auch zur Annahme einer AGH zwingen.

„Hier macht einen keiner dumm“

Der 26-jährige Aja Zettler hat seine Arbeitsberaterin gebeten, ihm eine AGH-Stelle zu suchen. Er macht die Arbeit wegen der Menschen und der Atmosphäre. „Hier macht einen keiner dumm, weil man etwas nicht so gut kann, wir sind hier alle gleich“, sagt er und seine Kol­le­g*in­nen nicken. Die Arbeit im Kaufhaus sei eine wichtige Stütze in ihrem Alltag, erzählen sie.

Doch diese Stütze bröckelt. Am 31. Januar wird das Sozialkaufhaus in Wandsbek wohl seine Türen schließen müssen. Hintergrund ist eine Entscheidung des Bundes, der für den Haushalt 2024 Geld für die Jobcenter einsparen will. Für Hamburg heißt das: rund 9,6 Millionen Euro weniger für Eingliederungsmaßnahmen in den Arbeitsmarkt. Mit den angekündigten Kürzungen umzugehen, ist die Aufgabe des Jobcenters Hamburg, das nun die Hälfte der insgesamt 1.600 AGH-Stellen streichen möchte.

Ohne die Finanzierung der AGH-Plätze sei das Kaufhaus in Wandsbek aber nicht mehr haltbar, erklärt Grietje Bergmeyer, eine der Geschäftsführerinnen des Trägervereins „einfal“. Besonders ärgerlich sei das, weil das Projekt vor nicht einmal zwei Jahren erst eröffnet wurde – und zwar im Zuge einer Entscheidung des Jobcenters, gerade solche Einrichtungen zu fördern, die wie das Spenda Bel „mehr sind als das klassische Sozialkaufhaus“, so Bergmeyer. Insgesamt sind sieben Einrichtungen des Trägers von den Kürzungen betroffen. In ganz Hamburg sind es 34 Projekte, darunter Sozialkaufhäuser, Cafés und Seniorenhilfen.

Bergmeyer hält die Streichung der AGH-Stellen durch das Jobcenter für eine „voreilig getroffene Entscheidung zulasten der schwächsten Gruppe in dieser Gesellschaft“. Die Sparvorhaben des Bundes hätten ihrer Meinung nach auch an anderen Stellen umgesetzt werden können, zum Beispiel in der Verwaltung des Jobcenters. Vorschläge der Landesarbeitsgemeinschaft der Beschäftigungsträger, wie die Kürzungen anders umgesetzt werden könnten als durch die Streichung der Hälfte aller AGH-Stellen, hat die Sozialbehörde allerdings als „nicht finanzierbar“ abgelehnt ohne eigene Zahlen offenzulegen, wie die taz im September berichtete.

Die Stadt sollte einspringen, sagt die Linke

Olga Fritzsche, Sprecherin für Arbeitsmarktpolitik der Fraktion Die Linke in der Hamburger Bürgerschaft, sieht die Ursache des Problems dagegen woanders: Zwar kritisiert auch Fritzsche die Kürzungspläne des Bundes, findet aber, dass Träger wie Einfal ihre Finanzierung zu sehr auf die AGH-Plätze gebaut hätten. So habe die Stadt sich jahrelang aus der finanziellen Verantwortung gezogen.

Statt auf den Erhalt der befristeten AGH-Stellen zu pochen, findet Fritzsche daher, dass die Stadt Hamburg einspringen und die Grundstruktur von Projekten wie dem Sozialkaufhaus in Wandsbek mit eigenen Mitteln finanzieren sollte, „bestenfalls sogar mit sozialversicherungspflichtigen Stellen“. Nur so könne die soziale Infrastruktur der Stadt langfristig erhalten bleiben.

Die Menschen im Sozialkaufhaus Wandsbek müssen gerade kurzfristig denken. Weil die Finanzierung über die AGH-Stellen sehr wahrscheinlich ausläuft, hat der Träger „einfal“ vorsorglich den Mietvertrag gekündigt. „Stand jetzt gehen Ende Januar hier die Türen zu“, steht für Geschäftsführerin Bergmeyer fest. Für die Beschäftigten ist das bitter. „Wenn das Kaufhaus dichtmacht, sitzen wir alle wieder in der Butze“, sagt Miriam Zorn. „Ich würde dann eingehen.“

Bevor es soweit ist, mobilisiert das Team vom Spenda Bel aber noch mal alles, um das Kaufhaus zu retten. Am vergangenen Donnerstag haben sie zusammen mit anderen betroffenen Hamburger Einrichtungen auf dem Rathausplatz demonstriert, es kamen 400 Menschen. Jörg Münch ist entschlossen: „Ohne Widerstand gehen wir nicht.“

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