Spielerinnenproteste zur Fußball-WM: Aufstand gegen das System

Profis in Frankreich, Spanien und Kanada streiken gegen ihren Verband – mit unterschiedlichem Erfolg. Etliche Spielerinnen bleiben der WM fern.

Wendy renard im französischen nationaldress mit einer Geste der Verägerung

Schluss jetzt! Frankreichs Abwehrchefin lässt sich nicht mehr alles gefallen Foto: dpa

BERLIN taz | Es soll also endlich einmal gute Laune herrschen im französischen Team. Es gibt einen neuen Trainer. Der heißt Hervé Renard und ist bis dato im Männerfußball unterwegs gewesen. Er war bis März Trainer der Auswahl Saudi-Arabiens. Berühmt wurde seine Kabinenansprache beim Sieg seiner Saudis gegen den späteren Weltmeister Argentinien. Er wird als Stimmungskanone geschätzt. Gleich zum ersten Lehrgang unter seiner Regie erlaubte er Amel Majri ihre neun Monate alte Tochter mitzubringen. Frankreich habe in dieser Hinsicht Nachholbedarf, meinte er damals und erntete jede Menge Lob.

Es war ein langer Weg, der zu solchen Gesten geführt hat. Renards Vorgängerin Corinne Diacre stand eher für einen ungesunden Druck, mit dem sie die Spielerinnen führte. Die konnten ihre freie Zeit nicht verbringen, wie sie wollten, wurden ständig überwacht und gemaßregelt. Ex-Nationaltorhüterin Sarah Bouhaddi berichtete von Tränen, die in den Zimmern vergossen wurden.

Eine verdiente Mittelfeldspielerin wurde aus persönlichen Gründen aus dem Kader des Nationalteams entfernt, was sie in einem 14 Sekunden kurzen Telefonat erfahren hat. Die längst zur Legende gewordene Innenverteidigerin Wendy Renard berichtet in ihrer Autobiografie davon, dass sie von der Trainerin zeitweise nicht mal gegrüßt wurde.

Und so hat sich niemand gewundert, dass ­Renard mit zwei weiteren Spitzenkräften des Teams, Marie-Antoinette Katoto und Kadidiatou Diani, Anfang des Jahres ihren Rücktritt aus der Nationalelf erklärt hat. Sie mahnten Änderungen im System an, unter dem auch ihre psychische Gesundheit leiden würde.

Erzwungener Trainerinnenwechsel

Am Ende haben sie sich durchgesetzt. Diacre ist nicht mehr Trainerin. Wendy Renard ist zurück im Kreis der Nationalelf, genauso wie Diani. Katoto fehlt zwar, das liegt aber an einer langwierigen Bänderverletzung. Die Spielerinnen können sich ermächtigt fühlen.

Unterstützung in ihrem Kampf haben sie von Beginn an von Megan Rapinoe bekommen, der Weltmeisterin aus den USA, für die Fußball auch immer Aktivismus ist. Auch Ada Hegerberg, 2018 zur Weltfußballerin gewählt, unterstützte die Französinnen. Sie selbst hatte einst auch ihre Karriere im Nationalteam auf Eis gelegt, um gegen die frauenfußballverachtenden Strukturen in ihrem Verband zu protestieren.

Weit weniger erfolgreich verläuft der Kampf spanischer Fußballerinnen gegen das System, das Auswahltrainer Jorge Vilda installiert hat. Der strebt die totale Kontrolle über seine Spielerinnen an, führt Taschenkontrollen durch und schaut bis spät in der Nacht, was die Profis in ihren Zimmern machen. Im vergangenen September sind gleich 15 Nationalspielerinnen zurückgetreten, 13 von ihnen hatten drei Monate zuvor noch bei der EM in England gespielt.

Spaniens frauenfeindliche Fußballwerte

Doch der Verband blieb in diesem Fall hart. Kein Wunder. Für den Frauenfußball in Spanien ist ein gewisser Angel Vilda verantwortlich, der Vater des Nationaltrainers. Der Verband sah „die Werte des Fußballs“ durch die Spielerinnen mit Füßen getreten. Wer zurückwolle ins Nationalteam, müsse sich entschuldigen.

Drei der Protestierenden, Aitana Bonmati und Mariona Caldentey sowie Ona Batlle, scheinen das getan zu haben. Andere werden bei der WM fehlen – unter anderem die beim FC Barcelona so überragende Abwehrchefin Mapi León. Ob das hochbegabte spanische Team, das von der nach einer Kreuzbandverletzung genesenen Weltfußballerin Alexia Putellas angeführt wird, unter solchen Umständen weit kommen wird, ist reichlich ungewiss.

Vielleicht ist es ja eine Art Trotz, der die Auswahl antreibt. Mit einer solchen Haltung geht die kanadische Auswahl ins Turnier. Die kämpft seit Jahren nicht nur um gleiche Bezahlung wie die Männer, sondern auch um ein angemessenes Umfeld für das Nationalteam. Zu einem Vorbereitungsturnier in den USA ist das Team „unter Protest“ angetreten und letztlich nur deshalb, weil die Spielerinnen ohne das Geld von der Nationalelf schlicht nicht leben können.

Nun steht ihr Verband auch noch vor der Pleite, weil er sich einem Investor ausgeliefert hat, der alle Einnahmen kassiert. Der Verband hat angekündigt, sich keine weiteren Auftritte des Nationalteams mehr leisten zu können. So wird jedes Spiel der Olympiasiegerinnen um die 40-jährige Kapitänin Christine Sinclair bei dieser WM zum Schauplatz eines Existenzkampfs.

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