Spielfilm „Träum was Schönes“: Ein sehr kurzer Moment der Freiheit

Marco Bellocchios „Träum was Schönes“ hat einen allzu romanhaften Hang zur Vollständigkeit und zum lückenlosen Bild.

Frau und Mann beim Schmusen

Urlaub von der Mutter: Bérénice Bejo und Valerio Mastandrea Foto: Movienet

Ein Mann schreit „Nein“ in der Stille der Nacht. Massimo, sieben Jahre alt, schreckt hoch aus dem Schlaf. Er begreift nicht, was geschah – und der Film zeigt es dann auch nicht. Männer kommen, der Vater, der schrie, geht mit den Männern, der Priester erzählt, dass Massimos Mutter jetzt als Schutzengel auf ihn aufpasst.

Der Tod der Mutter ist das Trauma, das Massimos Leben, und nicht nur Massimos Leben, sondern auch Marco Bellocchios Film „Träum was Schönes“ strukturiert. Der Tod und mehr noch die Lücke, die bleibt, die Deckerzählung vom plötzlichen Herzinfarkt fesseln Massimo an dieses Ereignis. Nicht dass er die Geschichte glaubt, die ihm erzählt wird. Nur wahrhaben will er nicht, dass die schwer kranke Mutter ihn durch Selbstmord im Stich ließ.

Der Film, nach einem Roman, ist romanhaft erzählt. Bellocchio blendet elegant, ja mühelos in der Geschichte vor und zurück. Jahreszahlen geben hier und da Anhalt. Des Jungen Begeisterung für den Fußball verdankt sich der Lage der Wohnung mit Blick auf das Stadion in Turin. Biografisches Erzählen nach Art der So-was-kommt-von-so-was-Teleologie.

Im Großen und Ganzen bleibt das unaufdringlich genug, Massimo wird Sportjournalist bei La Stampa, ein Könner, weitere Episoden werden lose aneinandergereiht. Der Jugendfreund, dem es zu gut geht, mit seiner Mutter, die ihm alles erlaubt: toller kurzer Auftritt von Emmanuelle Devos. Wie sie auftaucht, verschwindet sie wieder.

„Träum was Schönes – Fai bei sogni“. Regie: Marco Bellocchio. Mit Bérénice Bejo, Valerio Mastandrea u. a. Italien 2016, 134 Min.

Ihm und ihr und allen erzählt Massimo, dass seine Mutter noch lebt, im fernen New York. Wenn der Film einen allzu romanhaften Hang zur Vollständigkeit hat, dann nicht im Detail, sondern im Wunsch, ein Puzzle zu sein, in dem am Ende jedes Stück seinen Platz hat. Der verschwiegene und nicht gezeigte Selbstmord der Mutter als Auslassung, die am Ende ein lückenloses Bild generiert.

Lückenlosigkeit, die Sprünge erlaubt

Es ist eine Lückenlosigkeit, die Sprünge erlaubt. Nein, nicht erlaubt, sondern fordert – denn genau die Sprunghaftigkeit des vom verleugneten Tod der Mutter strukturierten Erlebens ist es, die der Film in seiner Form nachzubilden versucht. 1993 ist Massimo in Sarajevo, „Träum was Schönes“ mutiert für ein paar Minuten zum Kriegsfilm, durchaus gekonnt, wie an dem Film eben alles gekonnt ist.

Für einen Moment gewinnt der Film hier eine Freiheit, einen Überschwang, die ihm sonst eher fehlen

Massimo wird Zeuge, wie ein Fotograf seiner Zeitung in zynischer Weise die brutale Wirklichkeit für ein gelungenes Foto rearrangiert. Eine andere Episode zeigt Massimo im Gespräch mit einem Millionär, dem alles egal ist außer der eigenen Lebenszeit und der dann Selbstmord begeht. Und als ein verbitterter Kollege seine Ratgeberkolumne aufgibt, schreibt Massimo einen rührenden Text über Mütter.

Auch die Liebe wird episodisch zwischen die Episoden gefügt. Erst die junge und schöne Agnese, dann die nicht minder schöne Elisa (Bérénice Bejo), die ihn als Notfallärztin bei einer Panikattacke beruhigt. Wie sie auf einer diamantenen Hochzeit endgültig zueinanderfinden, gehört zu den schönsten Szenen des Films. Der von Valerio Mastandrea mit Hang zum Sauertöpfischen gespielte erwachsene Massimo erhält einen Stromschlag, fällt, steht auf, fällt und gerät im Tanz außer sich. Für einen Moment gewinnt der Film hier eine Freiheit, einen Überschwang, die ihm sonst eher fehlen.

Exzess, emphatischer Überschuss

Das Leben, ein Trauma. In der Form, wie bei Marco Bel­loc­chio oft, auch ein Melo. Einsprengsel von Musik: Schlager zum Beispiel; eine Revue im italienischen Fernsehen; aber auch klassisch orchestrale Musik, unter die Bilder gelegt. Melo heißt in der Regel: Exzess, emphatischer Überschuss über die Prosa des Lebens. In „Vincere“, seinem Mussolini-Melodram, schlug Bellocchio auf verblüffende und kühne Weise opernhaft über die Stränge. Sein Meisterwerk „Buon­giorno, notte“ gewann seine Kraft aus der Souveränität, mit der es seinen grundsätzlichen Realismus immer wieder hinter sich ließ.

Dass sich „Träum was Schönes“ nie so ganz seiner vom Titel angekündigten Traumlogik überlässt, dass die Form, was an der Erzählung übers Fassbare drängt, durch gekonnte Episodenhaftigkeit, durch flüssige Montage und auch im Detail durch elegant-bewegliche Auflösung der einzelnen Szenen in letzter Instanz immer bändigt, ist am Ende die Schwäche des Films.

Nur „frei inspiriert“ sei er, steht im Abspann, von Massimo Gramellinis zugrunde liegendem, in vielen Zügen autobiografischem Bestseller-Roman. Und doch packt der Film ambitioniert ein Leben als ganzes in seine zwei Stunden. Romanhaft baut er die schöne Kontingenz nach, die das nicht fiktive Leben besitzt. Nur dass sich im Nachbau die Kontingenz als mühsam konstruierte mit Notwendigkeit gerade verliert. Darum hilft, dass es wirklich so war, der eigenen Wahrscheinlichkeit wenig.

Die Spontaneität des Lebens müsste der Film in einer Form, die nicht bändigt, sondern befreit, wiedergewinnen. Weil ihm das nicht gelingt, ist „Träum was Schönes“ zwar virtuos, aber am Ende gescheitert.

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