Sportliche Weissagungen: Vereiste Wüsten, fischige Menschen

Die Sportjahr 2023 mit Saudis, naturnahem Fastschnee, fortschreitender Fischwerdung im Schwimmsport und einer unaufhaltsamen Frankfurter Eintracht.

Brustschwimmerin zwischen zwei gelben Bahnmarkierungen

Evolution bei der Schwimm-WM: die Annäherung an den Fisch führt zu einer Rekordflut Foto: Patrick B. Krämer/imago

Bischofshofen, 6. Januar. Die Vierschanzentournee wird doch noch erfolgreich zu Ende gesprungen. „Der warme Dauerregen hat die Matten naturnah rutschig gemacht“, freut sich ein Verantwortlicher. „Wir sind auf einem guten Irrweg.“

Melbourne, 13. Januar. Impfverweigerer Novak Đoković ist mit einem VIP-Visum der Regierung tatendurstig in Down Under eingetroffen. Zu seinem Auftaktmatch der Australian Open sitzt er allerdings noch in einer abgeriegelten Quarantänebaracke. „Das ist Knast. Die haben mich reingelegt“, schimpft er. Die Behörden verweisen darauf, dass Regeln auch mit Spezialvisa gelten. Đoković scheitert mit einem Eilantrag beim UN-Menschenrechtsgerichtshof und verspricht nach seinem Abflug während der Achtelfinals, „dieses Folterland nie mehr zu betreten“.

Berlin, 5. März. Die Affäre um die „Trainer-Leaks“ weitet sich aus. Dokumente belegen, dass beurlaubte Bundesligatrainer Anteile ihrer weiterlaufenden Gehälter an dubiose Begünstigte mit Namen wie Señora Isla Caymanta oder die Final JerseySoccer Ltd transferierten. Das Kons­trukt ist einfach: Aussortierte Coaches machen sich ein schönes Leben, müssen aber bis zu 50 Prozent ihrer Gelder an diejenigen Klubgrößen abtreten, die sie mit milden Worten („neue Impulse setzen“) verjagt hatten. „Win-win durch Rauswürfe“, schreibt das Recherchenetzwerk Coaches Come & Go. Ein Trainer rechtfertigt sich: „Woher soll ich wissen, welche Frau auf den Kaimaninseln lebt? Und ein Jersey ist doch ein Trikot.“

Mühlhausen/Heinsberg, 2. Mai. In der Fitness-Bundesliga haben sich die 16 besten Teams (je vier Männer und Frauen) für die Endkämpfe in Mühlhausen/Thüringen qualifiziert. Bei den Workouts geht es um Kraft, Tempo, Wiederholungen und um Synchronität zweier Aktiver. Fitness als Wettkampfsport ist zeitgemäß: Die Vorkampf-Battles finden dezentral in der eigenen Halle statt und werden zur Auswertung via Youtube ins Netz gestreamt. Überraschend ist auch das Heinsberger „Boltz­camp“ um Crossfitterin Nadine Zaunbrecher (32) beim Finale dabei. „Mein Name ist Verpflichtung“, sagt die Athletin mit den Spezialitäten Deadlift, Snatch und Fence Smashing.

Münster/Aachen, 13. Mai. Preußen Münster verdaddelt trotz finanziellem Engagement einer großen westfälischen Rüstungsfirma am letzten Spieltag der Regionalliga West noch den Aufstieg in die 3. Liga: „Kein Sigsauersieg! Eine gute Nachricht in kriegerischen Zeiten“, freut sich das Münsteraner Friedensbündnis „Jovelpeace“ in der lokalen Onlinezeitung Rums. So landet unverhofft Alemannia Aachen auf Platz 1. Deren Rekord-Stadionsprecher Robert Moonen (77) beendet auf der Stelle seine fast 51-jährige Mikrofon-Karriere. „In der 3. Liga stehen uns zu viele Niederlagen bevor. Das ist nervlich nicht mehr drin. Adieda.“

München, 17. Mai. Nach dem Viertelfinalerfolg in der Champions League über die Rasenbulls Leipzig schaltet Eintracht Frankfurt im Halbfinale auch den FC Sonstimmerallesgewinnen aus München aus. Dort liegen die Nerven blank wegen der weiter andauernden Mühsal im Titelrennen („so spät waren wir noch nie Nichtmeister“), und so entlassen sich Vorstand und Trainerteam „zu verbesserten Konditionen“ gegenseitig. Vorsteher Oliver Kahn erklärt „bei der Ehre aller meiner Rolexe“, er lebe jetzt „von einer Art Bürgergeld und meinem kargen Schonvermögen“.

Köln/Freiburg, 27. Mai. Zum Ende der Bundesligasaison spielt Coaches Come & Go den Medien eine Liste zu mit den „Vergütungsrückzahlungen der Spielzeit 22/23“. Beim SC Freiburg gibt es ausdrücklich keine Vorfälle, weil Trainer Christian Streich freizeitfrei geblieben war und sich nach der spektakulären Rückrunde jetzt Meistertrainer nennen darf. Ein langjähriger Kollege (fünf vorzeitige Beurlaubungen) wird zitiert mit: „Meister? – na und! Ich würde immer die entgeltfett vergoldete Freizeit vorziehen.“

Istanbul, 10. Juni. Ohne Happy End endet für die Feinfüße von Borussia Dortmund das Champions-League-Finale. Gegner Frankfurt gewinnt dank stählerner Sevilla-Schulung aus dem Vorjahr nach Elfmeterschießen. Trainer Oliver Glasner (noch nicht entlassen) wünscht sich für nächstes Jahr „auch mal Gegner aus anderen Ländern“. Ein letzter einheimischer Widersacher wird noch in der Nacht zur Strecke gebracht – Frankfurts abgewählter Ex-OB Peter Feldmann hatte sich beim Bankett eingeschlichen und versucht staatstragend lächelnd Hand an den Henkelpott zu legen: „Ich war während der Gruppenphase noch im Amt und habe maßgeblichen Anteil am Erfolg“, tönt er. Feldmann wird von türkischen Sicherheitskräften überwältigt und landet wegen Terrorismusverdacht im Gefängnis Silivri Nr. 9.

Mannem/Monnem, 22. Juli. Der TV 1880 Käfertal lädt zur 16. Faustball-WM nach Mannfrauheim. Besonderheit: Die Vorrunde findet outdoor im Stadion statt, die Finalrunde indoor auf extra verlegtem Naturrasen. Man erwarte „einen Quantensprung in der medialen Außenwirkung des Faustballsports“, erklärt IFA-Präsident Jörn Verleger optimistisch. Für diese Zeitung ist kein Quantenwunsch nötig: Die taz hat den Faustkampf mit Ball seit 1988 schon in Dutzenden Texten beleuchtet; einmal war das urdeutsche Spiel sogar Kandidat für die „randigste Randsportart“.

Fukuoka, 31. Juli. Einen Tag nach Ende der Schwimm-WM in Japan staunt die Welt über neue spektakuläre Bestleistungen. Die Weltrekorde sind in Größenordnungen angekommen, wie um das Jahr 1800 die schnellsten Menschen zu Fuß waren, wissen Historiker. Mark Spitz, siebenfacher Olympiasieger und Weltrekordler in München 1972, würde mittlerweile in den Vorläufen ausscheiden. „Offenbar evolutionärt sich homo sapiens durch eine neue Generation von genverändernden Turbopräparaten zu einer fischigen Spezies“, heißt es beim Institut für globale Sportkriminalität der Sporthochschule Köln.

Brisbane, 3. August.Bei der Frauenfußball-WM ­scheidet die deutsche Elf durch die „Schmach von Brisbane“ überraschend in der Vorrunde aus: 0:2 gegen Südkorea. „Männer dürfen niemals Vorbild sein“, hatte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg mit Rückblick auf Kasan in Russland 2018 noch erfolglos gewarnt. Das Finale gewinnen die USA im ungekühlten Stadium Australia in Sydney gegen Europa-Champion England mühelos mit 4:1.

Wolfsburg, 29. August. Schon am zweiten Spieltag der neuen Bundesligasaison (Männer) verzichten bei einer Begegnung alle vier Torschützen eisgesichtig auf jede Jubelgeste. Der Grund: Alle haben mal beim Gegner gespielt. Branchenexperten halten mittlerweile mathematische Modelle vor, nach denen bald an einem ganzen Spieltag kein Tor mehr gefeiert wird, weil die Spieler „wegen der inflationären Wechselitis“ nur noch gegen Ex-Klubs treffen.

Rom, 30. September. Der Ryder Cup der Golfer, früher Saisonhöhepunkt zwischen Europa und den USA, findet erstmals auf einem Minigolfplatz statt, auf dem noblen Betoncourse des Parco Tutti Insieme zu Rom. „Wir haben kaum spielfähige Profis mehr gefunden“, so das Ryder-Komitee, „alle sind wegen Verpflichtungen in der saudischen LIV Series unabkömmlich oder ohnehin wegen ihrer Fahnenflucht gesperrt.“ Dafür ist der ewige Bernhard Langer (66) in der ewigen Stadt für Europa am Start: „Putten war schon immer meine Stärke. Und harte Plätze liebe ich.“

Doha/London, 20. November. Erstmals gibt es einen „Weltfeiertag für den Fußball“, erklärt die internationale Fanvereinigung ProBall4Ever in einer Pressemitteilung. „Heute beginnt kein WM-Turnier in Katar. Bei Allah, welche Wohltat.“

Dschidda, 21. November. Der Konter für „so viel antiarabische Arroganz und arrogante Gotteslästerung“ folgt umgehend: Direkt nebenan kündigt der saudische Sportminister Abdullaziz bin Turki al-Faisal für die asiatischen Winterspiele 2029 in seinem Land einen Outdoormarathon für Schlittschuhläufer an. Als Vorbild gilt die niederländische Elfstedentocht (Elfstädtetour) in Friesland, die wegen Klimaerhitzung allerdings seit 1997 nicht mehr gelaufen werden konnte. „Wenn wir wollen, schockfrosten wir unsere ganze Wüste Rub al-Khali. Das ist schon die größte Einöde der Welt, aber für uns nicht mehr als ein Sandkorn, das man tieffrieren kann.“ Und, fügt al-Faisal hinzu: „die Bewerbung für Winterolympia läuft. Herr Bach hat schon den Daumen gehoben.“

Zürich, 10. Dezember. Bemerkenswerter Rekord: Der stets vorzeitige Zürcher Silvesterlauf („Dä Lauf für alli“) findet in diesem Jahr schon 21 Tage vor dem Jahreswechsel statt. „Wir arbeiten uns weiter Richtung Sommer“, sagt Organisatorin Ruedina Krestathaler-Büchli, „ab 2024 machen wir die Rücksprünge monatsweise.“

Oberstdorf, 29. Dezember. Gegen alle „Kassandrarufe dieser Klimapessimisten“, so der Ski­club Oberstdorf von 1906 e. V., kann die Vierschanzentournee auch 2023/24 stattfinden. Längst ist allerdings bekannt, dass die Veranstalter Alternativen in der Hinterhand haben: Vier­bädertauchen, Crosscountry-Almläufe und Synchronwalking auf winterlich überhitzten Berggipfelstrecken. „Oder wir gehen gleich auf die Schanzen nach Saudi-Arabien.“

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