Stiftung Organtransplantation: Monopolist der Organe

Mal wird der Hirntodnachweis lax dokumentiert, mal muss eine Mitarbeiterin gehen: Die Vorwürfe gegen DSO-Chef Günter Kirste verschärfen sich.

Sauber! Die Stiftung Organtransplantation scheint nicht ganz so sauber zu arbeiten. Bild: dioxin / photocase.com

BERLIN taz | In der Nacht vom 8. auf den 9. Dezember 2005 war Eile geboten am Heinrich-Heine-Universitätsklinikum Düsseldorf. Das Team der Entnahmechirurgen war schon eingetroffen, der OP vorbereitet. Die Herausnahme der Organe des Mannes, den Intensivmediziner und Neurologen auf der Radiologischen Intensivstation M1 nicht mehr ins Leben hatten zurückholen können, sollte beginnen.

Der junge Kollege, der die hierfür nötigen Formalitäten überprüfen musste, war damals noch nicht lange Mitarbeiter der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Aber das kleine Einmaleins der Hirntoddiagnostik – sie ist zwingende Voraussetzung für jede postmortale Organspende – kannte er.

Er wurde stutzig.

Am Mittwoch berät der DSO-Stiftungsrat die Nachfolge für den zurückgetretenen Kaufmännischen Vorstand, Thomas Beck, sowie für den amtierenden Medizinischen Vorstand, Günter Kirste. Turnusgemäß würde Kirste altersbedingt Anfang 2013 ausscheiden.

Auftraggeber der DSO sind laut Transplantationsgesetz die Bundesärztekammer, die gesetzlichen Krankenkassen sowie die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Weder sie noch das Parlament haben Kontroll- oder Sanktionsrechte. Nach dem Stiftungsrecht verfügt hierüber nur der Stiftungsrat, das Gremium, das bisher seine Kontrollfunktion vernachlässigte.

Das Parlament will die Reform des Transplantationsgesetzes ohne Anhörung bis Ende Mai durch den Bundestag peitschen. Bleibt der Gesetzentwurf unverändert, bekommt die DSO künftig sogar Richtlinienkompetenz für alle Abläufe in der Organentnahme. Dies stand bislang nur der Bundesärztekammer zu.

Es fehlte nicht bloß irgendeine Unterschrift. Es fehlte das komplette zweite ärztliche Protokoll. Jenes Dokument also, das hätte bestätigen müssen, dass bei dem Mann, der im elektronischen Spender-Meldesystem der DSO fortan D2811 hieß, der zweifelsfreie, vollständige und unwiederbringliche Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen nicht bloß ein einziges Mal diagnostiziert worden war. Sondern dass der Hirntod nach einem gewissen zeitlichen Abstand erneut und von einem zweiten Mediziner nachgewiesen worden war, um wirklich jeden Zweifel auszuschließen. Der Verdacht lag nahe, dass diese zweite Diagnostik schlicht vergessen worden war.

Der junge Mann informierte seine Vorgesetzte in der nordrhein-westfälischen DSO-Zentrale, Ulrike Wirges, und die wiederum noch in der Nacht ihren obersten Chef in der DSO-Hauptverwaltung in Frankfurt am Main, Günter Kirste. Das bezeugen Teilnehmer späterer Mitarbeiterbesprechungen sowie Briefwechsel zu dem Vorfall.

Zwischen 5.15 Uhr und 9.30 Uhr an jenem 9. Dezember wurden dem Spender D2811 den ärztlichen Aufzeichnungen zufolge Organe entnommen und der Stiftung Eurotransplant zur Vermittlung angeboten. Ohne dass eine weitere Diagnostik erfolgt wäre. Und ohne dass das vorgeschriebene zweite Hirntod-Protokoll vorgelegen hätte.

Kaum eine medizinische Prozedur ist so verbindlich geregelt wie die Hirntoddiagnostik. Seit 1997 besteht hierzu eine quasigesetzliche Regelung durch das Transplantationsgesetz. Danach müssen zwei Ärzte unabhängig voneinander den Hirntod zweimal bestimmen – und dies auch zweimal dokumentieren, und zwar schriftlich. Die Düsseldorfer Organentnahme hätte unter diesen Umständen nicht stattfinden dürfen.

Dass sie trotzdem erfolgte, geschah mit Billigung und unter der Verantwortlichkeit des Mannes, der damals wie heute an der Spitze der DSO steht: Günter Kirste, 64 Jahre, Professor für Chirurgie, Medizinischer Vorstand der DSO – und damit qua Amt der Monopolist für Leichenorgane in Deutschland. Wie weit Kirstes Macht reicht, macht der weitere Verlauf des Düsseldorfer Hirntod-Dramas deutlich: Eine Mitarbeiterin aus dem nordrhein-westfälischen DSO-Team, die sich für eine Klärung des Falls starkgemacht hatte, bekam die fristlose Kündigung zugestellt – per Bote um Mitternacht.

Die DSO ist nicht irgendeine Organisation des Gesundheitswesens. Sie ist eine privatrechtliche Stiftung, der der Staat die bundesweite Koordinierung sämtlicher postmortaler Organspenden überantwortet hat. Seit Monaten steht ihr Vorstand in der Kritik, dieser hoch sensiblen Aufgabe nicht gewachsen zu sein – weder kaufmännisch noch personalpolitisch noch ethisch. Kirstes Kollege, der Kaufmännische Vorstand Thomas Beck, nahm unlängst wegen Vorwürfen seinen Hut, die im Vergleich anmuten wie Bagatellen. Es ging um Vorlieben für teure Dienstwagen, einen goldenen Füller, einen Flug zum Fotoshooting in die USA auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung – Patzer, die sich unter der Kategorie menschliche Gier verbuchen lassen.

War Beck bloß ein Bauernopfer, das ablenken sollte von gravierenderen Problemen? Die Fäden in der Hand, das beklagen Mitarbeiter, halte von jeher der Medizinische Vorstand. Ihm zugeschrieben werden insbesondere das Mobbing von Mitarbeitern, ein Klima der Angst und verbale Entgleisungen. Kritiker, das bestätigt Kirste der taz, beschimpft er schon mal als „Terroristen“. Darüber hinaus wurde Kirste zuletzt auffällig wegen wiederholten Wilderns in medizinethischen Grenzbereichen.

Mal ließ er seinen Kollegen in Schulungen die umstrittene Kommunikationstechnik Neurolinguistisches Programmieren (NLP) vermitteln, die im Ruf steht, auf Gesprächspartner manipulativ einzuwirken. Seinen Mitarbeitern gegenüber ließ er nie einen Zweifel daran, dass es wünschenswert sei, Angehörigengespräche so zu führen, dass am Ende die Zustimmung zur Organspende erfolge. Dann verstieg er sich zu verschwurbelten Aussagen, die nahelegten, er befürworte das Intubieren und Beatmen von nicht hirntoten Patienten eigens zum Zwecke der Organspende. Ein klarer Bruch des geltenden Rechts, wonach Patienten nur zu ihrem eigenen Nutzen behandelt werden dürfen. Auch während eines einstündigen Telefonats mit der taz mochte sich Kirste hierzu nicht eindeutig positionieren.

Zuletzt geriet Kirste unter Beschuss, weil er als DSO-Vorstand die rechtswidrige Praxis seines Ziehvaters Axel Haverich von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) duldete, osteuropäische Chirurgen ohne Approbation zu Organentnahmen in Kliniken in ganz Deutschland auszusenden. Tatsächlich hatten die Chirurgen nur eine Berufserlaubnis für Hannover. Trotzdem vergütete die DSO die Entnahmen über Monate und verzichtete darauf, die Staatsanwaltschaft einzuschalten.

Kirste wird protegiert. Nicht nur vom Vorsitzenden des Stiftungsrats, Wolf Otto Bechstein, dem die Aufsicht über die DSO obliegt und der Kirstes Arbeit als „hervorragend“ verteidigt. Sondern auch von der Ständigen Kommission Organtransplantation (StäKO) der Bundesärztekammer sowie der ebenfalls dort angesiedelten Prüf- und Überwachungskommission, einer Art interner Gerichtsbarkeit. Und das liegt, neben personellen Überschneidungen der Mitglieder der diversen Gremien und gegenseitigen beruflichen Abhängigkeiten, auch daran, dass die DSO-Kontrolleure schon häufig in ihrer Rolle versagten.

Nach Recherchen der taz waren viele der Vorwürfe, die im Frühjahr 2012 durch ein Wirtschaftsprüfungsgutachten bestätigt wurden, dem Stiftungsrat seit etwa drei Jahren bekannt – ohne dass das Aufsichtsgremium eingriff. Erst als im Herbst 2011 durch anonyme Mails belastende Details öffentlich wurden, beauftragte der Stiftungsrat externe Prüfer. „Sie haben Kirste viel zu lange gehalten“, sagt der frühere Geschäftsführende Arzt der DSO-Region Nord-Ost, Claus Wesslau. „Wenn sie ihn jetzt fallen lassen, kommt das einem eigenen Schuldeingeständnis gleich.“

Etwa im Fall der Hirntoddiagnostik: Nachdem der Düsseldorfer Fall und Kirstes Haltung hierzu DSO-intern für breite Debatten gesorgt hatten, hätte man annehmen können, dass den DSO-Kontrollgremien an Transparenz und Aufklärung gelegen wäre. Und zwar durch Institutionen, die gemeinhin für solche Fragen kompetent sind: Staatsanwaltschaften und Gerichte. Stiftungsrat, StäKO und Überwachungskommission indes hielten es für opportun, die Sache selbst und damit unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu lösen.

Auch die DSO beendete den Fall auf ihre Art – mit Kündigung und einem arbeitsrechtlichen Prozess gegen die kritische Mitarbeiterin, die eine Aufarbeitung der umstrittenen Organentnahme gefordert hatte. In einem der vielen Schriftsätze, die daraufhin ergingen, ließ die DSO immerhin durch ihre Anwälte ein brisantes Fehlverhalten einräumen: „Richtig ist, dass es im Dezember 2005 in Düsseldorf eine Organentnahme gab, bei welcher die Hirntot-Diagnostik in einem Punkt von der bei der Beklagten üblichen und vorgegebenen Art und Weise abwich. Die Beteiligten waren sich aber sicher, dass das zweite Protokoll existent war, es konnte zum Zeitpunkt der Organentnahme nur nicht aufgefunden werden.“

Als die geschasste Mitarbeiterin daraufhin den Stiftungsrat, die Überwachungskommission und die StäKO schriftlich um Hilfe bat, wurde sie vertröstet. Im Februar 2010 schließlich, da hatte sie längst zermürbt den Auflösungsvertrag unterschrieben, teilte ihr die Überwachungskommission lapidar mit: „Die von Ihnen berichtete Sache ließ sich nicht widerspruchsfrei klären. Denkbare strafrechtliche Auswirkungen sind seit Dezember 2008 verjährt.“

Warum aber schaltete keiner die Strafverfolgungsbehörden ein, als hierfür noch Zeit war? „Ich“, rechtfertigt sich der Stiftungsratsvorsitzende Wolf Otto Bechstein heute, „habe damals die Überwachungskommission gebeten, sich zu kümmern.“ Die aber hat den Status eines eingetragenen Vereins, ihre Stellungnahmen haben den Charakter von Empfehlungen.

Und so kommt es, dass Günter Kirste, wenn man heute noch einmal mit ihm sprechen möchte über die Geschehnisse damals in Düsseldorf, gelangweilt ins Telefon seufzt und mit einer Gegenfrage kontert: „Haben Sie etwa noch nie ein Papier verlegt?“

„Mit Totschlagargumenten, wir retten ja Leben, wird unter Kirste bald alles erlaubt“, klagt Peter Gilmer, Vorsitzender des Bundesverbands Niere, der größten Selbsthilfeorganisation aus dem Bereich der Transplantationsmedizin. Seit Kirste die DSO regiere „wie ein Militärkommando“, würden Patienteninteressen hintenangestellt. Konstruktive Zusammenarbeit sei nicht möglich. Gilmer: „Man muss sich aber an ethische Grundsätze halten, sonst ist man als Vorsitzender einer solchen Stiftung untragbar.“

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