Streik der Frauenhäuser: Viel Gewalt und wenige Plätze

In Frauenhäusern fehlen Betten für Frauen in Not. Mitarbeiterinnen protestieren deshalb am Dienstag vor dem Brandenburger Tor.

Auf dem Bild ist eine Wohnung zu sehen. Im Flur steht ein Dreirad und ein kleines Bällebad. Vor den Fenstern hängen durchscheindende türkise Gardinen.

Platz zum Spielen und zur Ruhe kommen: Aufenthaltsraum des Hestia-Frauenhauses in Berlin Foto: Natalia Bronny/Hestia e.V.

BERLIN taz | „Wir haben viel zu wenig Frauenhausplätze, und wir haben sie schlecht finanziert“, sagt Britta Schlichting von der zentralen Informationsstelle der Autonomen Frauenhäuser (ZIF) der taz. In ein Frauenhaus können Frauen, die vor Gewalt in der Partnerschaft oder im familiären Umfeld fliehen, unterkommen.

Fe­mi­nis­t*in­nen und Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern weisen jedoch seit Jahren darauf hin, dass es in Deutschland an ausreichendem Schutz mangelt. Die autonomen Frauenhäuser protestieren am 7. März vor dem Brandenburger Tor, um für mehr Plätze zu kämpfen. Allein in Berlin fehlen hunderte Plätze.

Fünf Jahre ist es her, dass Deutschland ein umfassendes Instrument des Europarats zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt verabschiedete. Die Istanbul-Konvention, die alle Unterzeichnerstaaten zu umfassenden Maßnahmen zur Gewaltprävention verpflichtet, trat in Deutschland am 1. Februar 2018 in Kraft. Dazu gehört die Schaffung von Frauenhausplätzen. In denen müssen Frauen und ihre Kinder schnell und unbürokratisch unterkommen können. Bei Einführung des Vertrags mangelte es laut Europarat an 15.000 Plätzen deutschlandweit.

Streik der Frauenhäuser

Am 7. März protestieren die Mitarbeiterinnen der autonomen Frauenhäuser ab 13 Uhr vor dem Brandenburger Tor. Sie fordern mehr Frauenhausplätze, eine bessere Finanzierung und die Umsetzung der Istanbul-Konvention. Dieser Vertrag des Europarats gilt in Deutschland seit 2018 und soll Frauen umfassend vor Gewalt schützen.

Plätze im Frauenhaus

Der Europarat sieht pro 10.000 Ein­woh­ne­r*in­nen einen Familienplatz in Frauenhäusern vor. Für Berlin wären das rund 920 Plätze. Aktuell gibt es laut Senatsverwaltung 7 Frauenhäuser mit 422 Plätzen. Hinzu kommen 450 Schutzplätze in Zufluchtswohnungen. Im nächsten Jahr soll ein achtes Frauenhaus mit 40 Plätzen in Betrieb genommen werden.

Häusliche Gewalt

Häusliche Gewalt beinhaltet alle Formen körperlicher, sexueller oder psychischer Gewalt sowohl in Familien als auch in Partnerschaften. Berlin verzeichnete im Jahr 2021 15.630 Fälle. Das ist ein leichter Rückgang zu 2020, trotzdem bleibt die Gewalt auf einem hohen Niveau. Der Großteil der Opfer sind Frauen, in Berlin waren es 2021 71 Prozent.

Gewaltschutz

Das bundesweite Hilfetelefon gegen Gewalt ist rund um die Uhr unter der Nummer 08000 116016 erreichbar, die Berliner BIG-Hotline von 8 bis 23 Uhr unter 030 6110300 und die Kinderschutzhotline unter 0800 1921000. Zusätzlich können sich Frauen an Fachberatungsstellen wie Lara, Wildwasser und LesMigras wenden.

Die unabhängige Ex­per­t*in­nen­-Kom­mis­si­on Grevio rügte Deutschland auch 2022 noch für erhebliche Defizite: Vor allem fehle es an einer einheitlichen und angemessenen Finanzierung der Frauenhäuser und an Angeboten für Frauen mit Fluchterfahrung oder Abhängigkeitserkrankungen.

Von Prostitution bis Stalking

Nach der Coronapandemie befürchten viele Hilfseinrichtungen zusätzlich einen höheren Bedarf an Schutzplätzen. „Wir stellten in den letzten Jahren einen Anstieg, immer nach den Wellen, fest“, sagt eine Mitarbeiterin des Hestia-Frauenhauses in Berlin. Sie muss zum Schutz der Frauen anonym bleiben. Die taz hat sich mit ihr beim Hestia-Verein getroffen, der neben dem Frauenhaus auch Beratung und Schutzwohnungen anbietet.

Berlin verzeichnete im Jahr 2021 15.630 Opfer häuslicher Gewalt. Das ist ein leichter Rückgang zu 2020, trotzdem bleibt die häusliche Gewalt auf einem hohen Niveau. Der Großteil der Opfer sind deutschlandweit Frauen, in Berlin waren es 2021 71 Prozent. Die Frauen, die den Schritt in ein Frauenhaus wagen, brauchen dann auch einen besonderen Schutz. Das bedeutet: ein geheimer Standort und ein hoher Zaun um das Gelände und eine Bannmeile, in der sich keine Frau mit jemand anderem treffen darf.

„Zu uns kommen Frauen, die Gewalt in unterschiedlichen Formen erleben. Das kann physische Gewalt sein, aber auch Zwangsprostitution, digitale Gewalt und Stalking“, erklärt die Mitarbeiterin. Die Frau melde sich meistens selbst beim Verein oder über eine der Hotlines bei häuslicher Gewalt.

„Mit rund 20 Frauen und 40 Kindern sind wir gerade voll belegt“, erzählt sie. Das sei selten anders, meistens rücke nach Auszug einer Frau schon am selben Tag die nächste nach und bringe ihre Kinder mit. Je nach Zustand der Frau bleibe sie von ein paar Monaten bis zu einem Jahr.

Auf den verschiedenen Etagen des Hauses leben die Bewohnerinnen wie in einer Wohngemeinschaft, sie erstellen gemeinsam einen Putzplan, es kann zusammen gekocht werden. Beim Aufenthalt herrsche der Selbstbestimmungsansatz. „Die Frau weiß am besten, was gut für sie ist, und organisiert das Zusammenleben selbstständig“, meint die Mitarbeiterin.

Auch vor einer Rückkehr zum Gewalttäter könnten die Mitarbeiterinnen deshalb nicht abhalten. „Wir können nur gut beraten und die Frau auf dem Weg zu einem selbstständigen Leben unterstützen.“ Nach der erlebten Gewalt sei das der nächste große Schritt: Behördengänge erledigen, manchmal brauche die Frau bei Gerichtsverfahren oder Asylanträgen Unterstützung.

16 Bundesländer, 16 Mal unterschiedliche Finanzierung

Sieben Frauenhäuser mit 422 sogenannten Family Places gibt es in Berlin. Das bedeutet rechnerisch Platz für eine Frau und 1,5 Kinder. Im April dieses Jahres soll ein weiteres eröffnen, das schaffe noch einmal 40 zusätzliche Plätze. Zu wenig, findet die Mitarbeiterin, immerhin schreibt der Europarat pro 10.000 Ein­woh­ne­r*in­nen einen Familienplatz in Frauenhäusern vor. Für Berlin wären das rund 920 Plätze.

Britta Schlichting von der ZIF kritisiert vor allem die Finanzierung: „In 16 Bundesländern gibt es 16 unterschiedliche Finanzierungsformen.“ Daraus resultiere eine vom politischen Willen abhängige, personelle und räumlich sehr unterschiedliche Ausstattung.

„Am schlechtesten ist die Tagessatzfinanzierung, wie es sie zum Beispiel in Baden-Württemberg gibt.“ Das bedeute, dass der Aufenthalt nur finanziert wird, wenn die Frau zum Beispiel Anspruch auf Bürgergeld habe. „Eine Frau mit prekärem Aufenthaltstitel, die Rentnerin, die Studentin, die berufstätige Frau, für die ist der Aufenthalt gar nicht finanziert.“

In Berlin werden die Frauenhäuser durch die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung finanziert, einen zusätzlichen Anteil finanzieren die Frauenhäuser selbst durch Spenden. Der Berliner Senat kündigte für dieses Jahr einen Landesaktionsplan zur „berlinweiten Stärkung des Schutzes und der Unterstützung von gewaltbetroffenen Frauen und Mädchen sowie die vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention“ an. Für ein umfassendes Monitoring will die Senatsverwaltung 80.000 Euro ausgeben.

Im Hestia-Frauenhaus gibt es bestimmte Personalbedarfe, die von der Senatsverwaltung aktuell aber nicht bewilligt werden. Das seien zum Beispiel Reinigungskräfte oder Personal für die Kinderbetreuung.

„Wir leben von der pauschalen Finanzierung der Anträge, die für zwei Jahre gestellt werden“, sagt die Mitarbeiterin. „Da sind spontane Ausgaben nicht immer sichergestellt“, schildert die Mitarbeiterin. Ein regelmäßiger Austausch mit der Senatsverwaltung sei ihnen wichtig, die Frauenhäuser in Berlin werden den Landesaktionsplan auch deshalb gut beobachten.

Personalmangel

Neben der schwierigen Finanzierung macht sich der Platzmangel im Arbeitsalltag der Frauenhausmitarbeiterinnen bemerkbar: Frauen müssen regelmäßig abgewiesen werden. Die Berliner BIG-Hotline bei häuslicher Gewalt sammelt Zahlen dazu.

Vergangenes Jahr vermerkte die Hotline bei rund 8.000 Anrufen 3.409 Vermittlungswünsche. 2.066 davon mussten abgewiesen werden. Es komme allerdings vor, dass Frauen mehrmals anrufen oder sich bei unterschiedlichen Stellen melden. Das sei bei der anonymen Datenerfassung nicht nachvollziehbar, erklärt Doris Felbinger von der Hotline.

Neben dem Platzmangel gebe es andere Gründe für eine Abweisung, erklärt die Mitarbeiterin. Ältere Söhne seien ein Problem, das Hestia-Frauenhaus nimmt nur Jungen bis 13 Jahre auf. Viele Häuser seien zudem nicht barrierefrei, Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen können nicht aufgenommen werden.

Besondere Hürden hätten Frauen mit Mitgrationsgeschichte, weil sie auf den Ämtern Rassismus und Diskriminierung erfahren oder zum Beispiel durch Asylverfahren nicht so einfach in eine andere Stadt gehen können. In ländlichen Regionen ist das Angebot für Frauenhausplätze meistens schlechter und die Frauen kommen in die Städte.

Ein großer Schritt

Auf die Missstände weisen Fe­mi­nis­t*in­nen und die Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser seit Jahren hin. Jetzt sei eine gute Zeit, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, meint Britta Schlichting. „Wir haben es geschafft, dass der Ausbau von Frauenhausplätzen in den Koalitionsvertrag aufgenommen wird.“

Die Regierung habe eine bundeseinheitliche Regelung bei der Finanzierung versprochen. Das sei ein großer Schritt. Demgegenüber stünden aber andere Baustellen: „Der Begriff Femizid als letzte Eskalation der Gewalt ist noch nicht anerkannt. Auch darauf wollen wir am Streiktag aufmerksam machen“, sagt Schlichting.

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