Streit um Radweg-Bau in Flensburg: Müssen Eichen weichen?

Flensburg streitet wieder über Bäume: Sie sollen für einen Radweg gefällt werden. Der Naturschutzbeauftragte hält das Vorhaben für überdimensioniert.

Radfahrer auf einem Radweg, der an beiden Seiten von Bäumen flankiert ist.

Beispiel für einen Idealfall, hier in Frankfurt am Main: Bäume und Radweg, nicht entweder oder Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

NEUMÜNSTER taz | Mehr Platz für Räder oder Bäume erhalten? Anfang Juli beschloss die Flensburger Ratsversammlung den Ausbau eines Fahrradwegs entlang einer Ein- und Ausfallroute mit dichtem Autoverkehr. Die Stadt verweist auf steigende Zahlen von Radfahrenden und den Plan, ein örtliches Netz von Velorouten zu schaffen. Anwohnende und der städtische Naturschutzbeauftragte halten das Projekt für überdimensioniert.

„Bäume sind ein emotionales Thema, besonders hier“, sagt Rathaussprecher Clemens Teschendorf. In der Stadt wird seit Jahren über ein Wäldchen am Bahnhof gestritten, auf dem ein Hotel samt Parkhaus entstehen sollte, das Ende ist noch offen. Nun erhitzt ein anderes Projekt die Gemüter in der Stadt an der dänischen Grenze: Es geht um 23 Bäume an der Einfallstraße Exe, darunter Bergahorne, Robinien, Birken, Linden und Rot­eichen, sowie um eine nicht bezifferte Anzahl von Bäumen für einen weiteren Radweg am südlichen Ende der Stadt.

Von „2.500 Quadratmetern Versiegelung“ spricht der Naturschutzbeauftragte, Ralph Müller, in einem Offenen Brief für beide Baupläne. Müller vertritt den örtlichen Naturschutzbeirat, ein ehrenamtlich besetztes Gremium, das die Untere Naturschutzbehörde der Stadt berät und Beschlüsse von Politik und Verwaltung kritisch hinterfragt. Den Ausbau des Radwegs an der Exe nennt Müller „immerhin diskutabel“, den Plan für den Stadtsüden hält er dagegen für unverhältnismäßig: „Er sollte gänzlich unterbleiben.“

Kri­ti­ke­r*in­nen der Ausbaupläne bemängeln auch die Kosten: Allein für den etwa einen Kilometer langen Radweg an der Exe werden laut Flensburger Tageblatt rund 3,9 Millionen Euro fällig, von denen die Stadt 1,7 Millionen tragen muss. „Ich befürchte, unsere städtischen Vertreter haben jegliches Augenmaß verloren“, heißt es in einem Leserbrief der Zeitung. „Millionensummen und gefällte Bäume für ein paar Meter Fahrradweg, der nicht besser und schlechter ist als 90 Prozent der Fahrradwege insgesamt.“

Der ewige Konflikt

Mit dem Konflikt zwischen Rad und Baum hat Jan Voss ständig zu tun. „Am liebsten ist uns, wenn es möglich ist, den Raum für Autos zugunsten der Fahrräder zu beschränken“, sagt der Landesgeschäftsführer des Fahrradclubs ADFC. „Das betrifft den rollenden, aber vor allem den ruhenden Verkehr – also Parkstreifen zu Radwegen.“ Auch das gebe beträchtliche Konflikte, weiß Voss. „Aber wenn wir das Ziel haben, den Autoverkehr mittelfristig einzuschränken, muss das Angebot an Parkplätzen geringer werden.“

An der Flensburger Exe besteht diese Möglichkeit nicht: Die Straße ist je einspurig und ohne Parkplätze am Rand. „Wir würden nicht ohne Not Bäume fällen“, sagt Rathaussprecher Teschendorf. „Aber diese Ecke ist eine der großen Ausfallstraßen der Stadt, der Verkehr fließt in Richtung Autobahn, zur dänischen Grenze und zur Bundesstraße 200, da ist richtig viel los, und wir haben nicht unendlich viel Platz.“

Es gehe darum, den Radfahrenden ein attraktives Angebot zu machen: „Wer auf dieser Strecke fährt, will nicht Landschaft gucken, sondern schnell von A nach B.“ Auch Räder mit Anhänger müssten Platz haben, und wer schnell – etwa mit Elektroantrieb – unterwegs sei, müsse überholen können. Nur wenn sich Radfahrende zügig und sicher bewegen könnten, gebe es Anreize, das Rad als Verkehrsmittel in der Stadt einzusetzen, sagt Teschendorf. Als Ausgleichsmaßnahme werde die Stadt doppelt so viele Bäume pflanzen, wie gefällt werden. „Und zwar im selben Viertel, nicht irgendwo am Stadtrand“, betont der Sprecher.

Dass Gemeinden zunehmend die Verkehrssicherheit der Radfahrenden im Blick haben, begrüßt ADFC-Geschäftsführer Voss. Die lokale Politik folgt damit der „Radstrategie Schleswig-Holstein“. Mit ihr soll das landesweite Radverkehrsnetz nach bestimmten Standards ausgebaut werden – trotz der Konflikte, die fast zwangsläufig auftauchen, wenn Raum neu geordnet wird.

Standards für den Ausbau von Wegen

Dabei gehe es nicht darum, den einen „Aspekt gegen den andern auszuspielen“, heißt es in einer Vereinbarung zum Umgang mit „Wurzelaufbrüchen in Radwegen“, die die Landesregierung, vertreten durch Verkehrs- und Umweltministerium, mit Verkehrs- wie Naturschutzvereinen geschlossen hat. „Im Gegenteil, beide Aspekte, sowohl die klimaschützenden Bäume als auch das klimaschützende Radfahren sind wichtig und müssen in jedem Einzelfall sorgfältig abgewogen werden.“ Auf 20 Seiten legen die Beteiligten Regeln fest, wie und wann Baumwurzeln gekappt werden sollen. Über Standards für den Ausbau von Wegen soll in einer zweiten Runde verhandelt werden.

Aber die Frage, ob ein Weg überdimensioniert oder Standard-gemäß ist, beantwortet bereits heute die Straßenverkehrsordnung. Die verlangt für „benutzungspflichtige Einrichtungsradwege“ mindestens 1,50 Meter, möglichst jedoch zwei Meter. Ist der Weg in beide Fahrtrichtungen geöffnet, sollten es 2,40 Meter sein. Ausnahmen sind demnach nur „nach sorgfältiger Überprüfung an kurzen Abschnitten“ möglich.

Aus Sicht des Naturschutzbeauftragten Ralph Müller seien solche Vorgaben für die Verwaltung praktisch: „Man kann darauf verweisen und muss den Ressourcenverbrauch und die Schäden nicht vertreten.“ Er schlägt vor, mit dem Geld besser innerstädtische Wege auszubauen. „Eine derartige Verbesserung der Radwegeinfrastruktur fände auf bereits versiegelten Flächen und ohne Gefährdung des Baumbestandes statt.“

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