Streit ums Mauergedenken: Konfrontation am Checkpoint Charlie

Seit Jahren posieren als Soldaten verkleidete Studenten am Checkpoint Charlie für Touristen. Senat und Exkultursenator Flierl finden das geschmacklos. Der Bezirk hält die Soldaten für Künstler.

Berlins beliebtestes Fotomotiv: Schauspieler mit Fahnenattrappe vor nach dem Mauerfall gestapelten Sandsäcken. Nur der Ort des einstigen Checkpoint Charlie ist authentisch. Bild: AP

Attraktion und Ärgernis zugleich: Die studentischen Aushilfen, die sich täglich als Soldaten verkleidet am Checkpoint Charlie ablichten lassen und dafür je Bild einen Euro kassieren, sorgen für Misstöne zwischen Senat und dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg. "Uns erreichen immer wieder Beschwerden von Touristen, die beim bloßen Fotografieren des Checkpoints belästigt werden", sagt Rainer Klemke, der Gedenkstättenreferent des Senats. "Es ist einfach ärgerlich." Auch ein früherer US-Kommandant am Checkpoint Charlie habe sich bereits beschwert. Der Bezirk müsse Abhilfe schaffen.

Die für den Sommer geplante Gründung der Stiftung Berliner Mauer wird sich bis zum Herbst verzögern. "Der Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses wird sich am 1. September damit beschäftigen", sagte am Montag Rainer Klemke, der beim Senat für Gedenkstätten zuständig ist. Mit Blick auf den 9. November, den Jahrestag des Mauerfalls, solle die Stiftung dann gegründet werden. Bislang hatte es geheißen, dass sich die Abgeordneten vor der Sommerpause mit dem Thema beschäftigen. Das sei aus Termingründen nicht möglich gewesen, sagte Klemke kurz vor dem Jahrestag des Berliner Mauerbaus 1961.

In der Stiftung sollen die Gedenkstätte in der Bernauer Straße und die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde zusammengeführt werden. Organisiert ist sie als Landesstiftung mit Bundesbeteiligung, so dass die öffentliche Finanzierung gesichert ist.

Der geschäftsführende Vorstand des Vereins Berliner Mauer, Manfred Fischer, sprach von einem wichtigen Schritt in die Zukunft. "Unsere jungen Gäste haben keine rechte Vorstellung mehr, was die Mauer war", sagte er. "Durch die Historisierung ergeben sich die merkwürdigsten Vorstellungen."

Gleichzeitig fragten junge Besucher der Gedenkstätte an der Bernauer Straße verstärkt nach den Ereignissen damals. Das Interesse nehme zu, so Fischer. Seinen Angaben nach besuchten 2007 etwa 265.000 Menschen das Dokumentationszentrum der Gedenkstätte. In diesem Jahr seien es bis Ende Juli bereits knapp 164.000 gewesen.

Vor diesem Hintergrund werde die Stätte erweitert, sagte Fischer. "Mit dem Ausbau wollen wir dem gestiegenen Interesse Rechnung tragen." Der frühere innerstädtische Grenzstreifen zwischen Nordbahnhof und Brunnenstraße soll bis zum 50. Jahrestag des Mauerbaus 2011 zu einer Erinnerungslandschaft ausgebaut werden.

Zum Jahrestag des Mauerbaus ist das Informationsportal des Landes Berlin im Internet auch auf Italienisch und Spanisch abrufbar. Das Angebot steht künftig komplett auf Deutsch und in fünf Fremdsprachen zur Verfügung. Bisher informiert die Seite auch auf Englisch, Französisch und Russisch über die Mauer.

Außerdem sei es Geschichtsfälschung, wenn dort verkleidete Schauspieler in Uniformen jedweder Nation und Funktion umherstolzierten, beklagt Klemke. Er äußert sich damit ähnlich wie der frühere Kultursenator Thomas Flierl (Linke), der "die bisher einseitig touristisch-kommerzielle Orientierung" am früheren alliierten Grenzübergang als "problematisch und geschmacklos" bezeichnet hat.

In den Tagen nach dem Mauerbau am 13. August 1961 und während des Kalten Krieges hatten sich US-amerikanische und sowjetische Panzer am Checkpoint Charlie in direkter Konfrontation gegenübergestanden. Seit mehreren Jahren posieren vor dem auf einer Verkehrsinsel gelegenen Häuschen auf der Friedrichstraße von 10 bis 18 Uhr zwei "Soldaten", einer mit amerikanischer Uniform und einer in französischer oder russischer Uniform. Lassen sich Touristen mit ihnen fotografieren, müssen sie einen Euro bezahlen.

Vorwürfe, Touristen würden beim ausschließlichen Fotografieren des Checkpoints genötigt zu zahlen, weist Tom Luszeit zurück. Er ist Chef der DanceFactory, bei der die Soldaten-Schauspieler angestellt sind. "Das ist völliger Quatsch", sagt er. Selbst wenn Besucher sich mit den Männern in Uniform ablichten ließen und dann nicht zahlten, würden sie höflich behandelt. "In anderen Ländern werden Sie da bespuckt", so Luszeit. Auch der Student, der unter dem Namen "Charlie" vor dem Museum Stempel auf Papier druckt, schiebt die Kritik auf "schlechte Presse". Die Schlagzeilen kämen stets vor dem 13. August, dem Jahrestag des Mauerbau-Beginns auf, sagt der junge Mann.

Stimmt nicht, kontert Klemke von der Senatskanzlei. Er stehe seit Jahren mit dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg in einem Briefwechsel. Der zuständige Stadtrat Peter Beckers (SPD) sagt, er werde den Vorwürfen nachgehen. Dass die Schauspieler Geld verlangen, sei nicht vereinbart gewesen; das Bezirksamt sei bislang davon ausgegangen, dass es sich um Künstler, nicht um Gewerbetreibende handele. Möglicherweise solle ein alternativer Standort für die falschen Soldaten gefunden werden.

Klemke verweist gern auf das Bezirksamt Mitte, das die Situation am Brandenburger Tor gut unter Kontrolle habe. Nach den Worten des für das Ordnungsamt zuständigen Bezirksstadtrat Joachim Zeller (CDU) sind dort fliegender Handel und Stände verboten, seit es vor Jahren Probleme mit massiv auftretenden Devotionalienhändlern gab.

Der Präsident des Abgeordnetenhauses Walter Momper (SPD) sieht das Ganze entspannter. "Wo viele Menschen und Touristen sind, ist auch viel Kommerz." Momper, der zur Wendezeit Regierender Bürgermeister war, findet nicht, dass der Ort entweiht werde. "Junge Leute wollen es eben authentisch nachgestellt haben", sagt er.

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