Südkoreas Industriestrategie: Mit Atomkraft zum Ökovorbild

Südkorea will durch „grünes Wachstum“ weniger Klimagase ausstoßen. Milliarden-Investitionen für die Ökotechnik sollen die Industrie fit machen.

Da funkelt es, das „große O“, Symbol des neuen „grünen“ Südkorea. Bild: dpa

TOKIO taz | Im Hafen der südkoreanischen Küstenstadt Yeosu bestaunen täglich tausende Besucher der Expo 2012 das „Große O“. Mit der Weltausstellung über „Lebende Ozeane, lebende Küsten“ präsentiert sich Südkorea noch bis Mitte August als führende Technologienation mit ökologischem Bewusstsein.

Die Expo 2012 fügt sich in die nationale Wirtschaftsstrategie „Go Green“ ein: Präsident Lee Myung Bak hatte Südkorea vor vier Jahren zum Vorbild einer klimafreundlichen Volkswirtschaft ausgerufen. Durch „grünes Wachstum“ will das Land bis 2020 dreißig Prozent weniger Klimagase ausstoßen. Dafür baut man die Atomenergie aus, fördert den öffentlichen Nahverkehr und erhöht die Energieeffizienz von Gebäuden und Wohnungen.

Mit großer Verspätung reagiert Asiens viertgrößte Wirtschaftsmacht mit ihren energieintensiven Stahl-, Schiffs- und Autoindustrien damit auf die globale Umweltdebatte. Bislang gehörte man zu den größten Ökosündern. 2010 lag Südkorea im Umweltranking des World Economic Forum auf dem letzten Platz unter den entwickelten Ländern.

Doch die Regierung scheint es mit dem Klimaschutz ernst zu meinen: Bis 2014 werden über fünf Jahre jeweils zwei Prozent der Wirtschaftsleistung – insgesamt 107 Milliarden Dollar – für „grünes Wachstum“ ausgegeben.

Emissionshandel gibt es ab 2015

Schon ein 38 Milliarden Dollar schweres Konjunkturprogramm während der Finanzkrise floss zu 80 Prozent in Ökoprojekte wie neue Eisenbahn- und Fahrradstrecken, in Seoul entstand ein „Institut für globales grünes Wachstum“. Das Parlament beschloss soeben den Emissionshandel von 500 Firmen ab 2015. In Asien sind nur Australien und Neuseeland schon so weit.

Die 30 größten Unternehmen haben sich verpflichtet, bis 2013 insgesamt 15 Milliarden Euro in Umwelttechnologien zu investieren. „Korea ist zwar ein Spätstarter im Umweltschutz, erhält aber eine Menge Aufmerksamkeit für seine Anstrengungen für ein grünes Wachstum“, freut sich der frühere Ministerpräsident Lee Hong Koo.

Doch einige Beobachter kritisieren Südkoreas Vorpreschen als „Mogelpackung“. Die Umweltexpertin Yun Sun Jin von der Universität Seoul meint, die Politik betone zuerst die „Wirtschaft“ und danach „grün“. So fließt mehr als ein Drittel der „grünen“ Investitionen in die CO2-freie Atomkraft.

Zwei neue Atomreaktoren werden gebaut

Als Anfang Mai in Japan der letzte Atommeiler vom Netz ging, begann Südkorea in Shin Ulchin an der Ostküste mit dem Bau der ersten zwei Atomreaktoren mit einheimischer Technik für sechs Milliarden Dollar.

„Nuklearenergie ist derzeit die einzige Alternative zu fossilen Brennstoffen“, erklärte Präsident Lee bei der Grundsteinlegung. Bis 2022 soll die Zahl der AKWs von heute 21 auf 33 steigen, ihr Anteil an der Stromproduktion bis 2030 von 35 auf 59 Prozent. Dagegen werden 2020 nur sechs Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien stammen.

„Grünes Wachstum“ sei eine industrielle Strategie, meint auch John Mathews von der Macquarie-Universität in Sydney. Südkorea wolle Schlüsselindustrien vorantreiben, die als nächste Entwicklungsstufe Exportchancen eröffnen. Durch die staatliche Förderung verschafft sich die Industrie Wettbewerbsvorteile und zieht sich mit Dumpingpreisen Aufträge für Atomkraftwerke und Umwelttechnologien an Land.

Experte bemängelt „Mystifizierung von Wachstum“

„Südkorea nutzt Selbstverpflichtungen anderer Staaten im Klimabereich gnadenlos aus, um eigene wirtschaftliche Ziele zu erreichen“, urteilt ein deutscher Korea-Kenner. Bis 2030 sollen 80 Reaktoren für 400 Milliarden US-Dollar exportiert werden.

Der Experte Lee Sang Hun von der Universität Hanshin kritisiert „Go Green“ als eine Frucht der anhaltenden Mystifizierung von Wachstum, das zum Selbstzweck geworden sei. Aufgrund der Verordnung von oben fehle in Südkorea ein sozialer Konsens über die Verringerung der Klimagase, meint Lee.

Die Industrie gab ihren Widerstand gegen Klimazertifikate nur auf, weil die Firmen 95 Prozent der Papiere umsonst erhalten. Die Hersteller zahlen nicht einmal den vollen Strompreis. Die restlichen 10 Prozent bis zur Kostendeckung übernimmt die Regierung.

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