„Tatort“ aus Münster: Bauchnabelfreier Karneval

Professor Boerne schreibt ein Buch und Thiel trifft einen alten Bekannten. Im Mittelpunkt des Geschehens: eine vom Mord bedrohte „Karl May“-Parodie.

Drei Männer sitzen in einem Kinosaal nebeneinander

Kommissar Frank Thiel und Prof. Karl-Friedrich Boerne zusammen mit dem Bestseller-Autor Stan Gold Foto: Taimas Ahangari/WDR

Weihnachten war das „Tatort“-Motto der letzten Woche, die Mordopfer und Mörder in Santa-Claus-Hüllen verpackte. Diese Woche wird es in dieser Hinsicht wieder zeitlos, denn Jan Josef Liefers und Axel Prahl tragen immer Kostüme. Schließlich ist es nicht ihre Aufgabe, ein authentisches Ermittlerduo zu verkörpern, sondern dieses überspitzt und klischeegeladen darzustellen.

Ein bisschen, wie man das mit seinem Alter Ego – Hexe, Pirat, Cowboy … – bei Karneval tut. In dieser Folge gesellt sich das selbsternannte „Dschungelkind“ Stan Gold zum missmutigen Kommissar Thiel und seinem selbstverliebten Kollegen Prof. Boerne.

Münster-„Tatort“, Der Mann, der in den Dschungel fiel“, So., 20.15 Uhr, ARD

Das Trio trifft sich auf einer Preisverleihung. Thiel motzend im Publikum, die beiden anderen auf der Bühne. Denn der Professor soll Stan Gold zum Münsteraner Stadtschreiber auszeichnen, eine Ehre, die sich dieser im paraguayischen „Dschungel“ verdient hat. Fünfzehn Jahre lebte er dort bei einem „Stamm“, erzählt er, unfreiwillig, denn sein Flugzeug stürzte auf dem Weg nach Deutschland im Urwald ab. Über seine Erlebnisse soll er nun ein Buch schreiben.

Szene Eins schlägt ihre Protagonisten wie Nägel ins Brett und wickelt die Handlung wie einen Faden darum, zackig geht’s von A nach B, kaum ist das eine passiert, stellt sich das andere ein. Schwindelig wird einem nur nicht, weil die Charaktere dabei unglaublich stabil sind, behäbige Pole, um die herum das Geschehen umso schneller kreist. Dazwischen schieben sich einzelne Szenen wie absurde Traumepisoden.

Menscheln und Morden

Startschuss des Krimi-Geschehens ist ein allergener Schock, den Stan Gold erleidet. Der Mordversuch scheitert, aber bald geht’s dann weiter, diesmal mit einer ganzen Salve an Schüssen. Hinter dem Mordlustigen vermutet Stan Gold den Paraguayaner Pablo, den er einst bei einem Waffendeal um eine Million Euro betrog.

Ab da startet ein Versteckspiel, schließlich soll Stan vor Pablo beschützt werden. Kommissar Thiel bringt ihn in ein Landhaus, in das sich schon Prof. Boerne zurückgezogen hat. Der möchte dort nämlich ebenfalls ein Buch schreiben, über die von ihm aufgeklärten Mordfälle, und ist genervt von der unerwarteten Gesellschaft.

Stan Gold und Prof. Boerne – abgedrehte Aktualisierungen von Karl May und Sherlock Holmes – teilen dann aber doch unerwartet einen rührenden Moment miteinander. Aufs Menscheln folgt ein Mord, Plottwists spinnen den Handlungsstrang nach hie und da, sodass das Ganze immer wirrer wird. Zum Glück folgt rasch die Auflösung.

Ganz schön kreativ?

Wie jeder „Tatort“ kommt dieser Inhalt nicht ohne gesellschaftlichen Bezug aus, diesmal ist es einer mit buntem Kunstdruck am Kopfkissen. Motto: Kreativindustrie. Prof. Boerne und Stan Gold wollen beide Kapital aus ihren Geschichten schlagen, die ebenfalls im Zentrum der Handlung stehende Agentin Stan Golds will sie teuer verscherbeln.

Und weil sie mit ihren Geschichten auch sich selbst verkaufen, dürfen wir die Nabelschau der beiden Autoren mitverfolgen. Stellenweise werden die Marktmechanismen, die diese Selbstdarstellung befördern, parodistisch ausgelotet, etwa als die Agentin Prof. Boerne einredet, dass seine „Tatort“-Erlebnisse ganz bestimmt Bestseller-Potenzial hätten. Seine Berechtigung, Geschichten zu erzählen, macht sie darin aus, dass er diese erlebt hat. Seine Person soll das Buch tragen, nicht seine schriftstellerische Qualität. Für das Versprechen der „Authentizität“ wirft sich Prof. Boerne sogleich in Pose.

Leider scheitern die Pointen aber oft an den Figuren. Stürzen diese über die Stolperfallen ihres Narzissmus, stehen sie auf, gehen weiter – und stolpern erneut. Das ist rasch nicht mehr witzig, sondern abgeschmackt, ein bisschen so, wie eine Endlosschleife von YouTube-Videos zu sehen, in denen Menschen ausrutschen und auf die Schnauze fallen. Der „Tatort“ nimmt seine Zu­schaue­r:in­nen nicht ernst. Es wäre schön gewesen, hätte er auch seinen Figuren mehr zugemutet.

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